25.11.2010 Strafrecht

OGH: Zur Wiederaufnahme iSd § 221 FinStrG

§ 221 Abs 1 FinStrG betrifft jeden Fall von Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteilten aufgrund von die Gerichtszuständigkeit oder den strafbestimmenden Wertbetrag in Frage stellenden "neuen Tatsachen oder Beweisen" (einschließlich der Fälle des § 223 FinStrG), sodass über die Wiederaufnahme nach § 220 FinStrG mangels besonderer Anordnung ein mit drei Richtern besetzter Senat (§ 195 Abs 1 FinStrG iVm § 31 Abs 5 Z 2 StPO), über eine solche nach §§ 221 bis 223 FinStrG hingegen der nach § 221 Abs 1 FinStrG zur Entscheidung allein berufene Vorsitzende des (nach § 357 Abs 1 letzter Fall StPO zuständigen) Gerichts zu entscheiden hat; sofortiger Freispruch nach § 360 StPO scheidet bei Wiederaufnahme nach § 221 FinStrG aus


Schlagworte: Finanzstrafrecht, Wiederaufnahme, Spruchkörper, Freispruch
Gesetze:

§ 221 FinStrG, § 32 Abs 3 StPO, § 31 Abs 5 Z 2 StPO, § 360 StPO

GZ 13 Os 93/10s, 30.09.2010

OGH: Zur Frage des gesetzlichen Spruchkörpers ist klarzustellen, dass sich diese im vorliegenden Fall nicht nach § 31 Abs 5 Z 2 StPO bestimmt, weil § 221 Abs 1 FinStrG durch den Verweis auf § 32 Abs 3 StPO eine abweichende Regelung trifft. Die angesprochene Verweisungsnorm iSe Weiterverweises auf § 31 Abs 5 Z 2 StPO zu verstehen, würde dieser Bestimmung den Sinn nehmen, weil § 195 Abs 1 FinStrG ohnedies die subsidiäre Geltung der StPO im gerichtlichen Finanzstrafverfahren anordnet.

Nicht zuletzt mit Blick auf das verfassungsrechtliche Erfordernis eines stets klar erkennbaren gesetzlichen Richters (Art 83 Abs 2 B-VG) betrifft § 221 Abs 1 FinStrG jeden Fall von Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteilten aufgrund von die Gerichtszuständigkeit oder den strafbestimmenden Wertbetrag in Frage stellenden "neuen Tatsachen oder Beweisen" (einschließlich der Fälle des § 223 FinStrG), sodass über die Wiederaufnahme nach § 220 FinStrG mangels besonderer Anordnung ein mit drei Richtern besetzter Senat (§ 195 Abs 1 FinStrG iVm § 31 Abs 5 Z 2 StPO), über eine solche nach §§ 221 bis 223 FinStrG hingegen der nach § 221 Abs 1 FinStrG zur Entscheidung allein berufene Vorsitzende des (nach § 357 Abs 1 letzter Fall StPO zuständigen) Gerichts zu entscheiden hat.

Zielt schließlich die Wiederaufnahme außerhalb des Regelungsbereichs des § 221 Abs 1 FinStrG auf einen Freispruch des Verurteilten, gelten mangels besonderer Bestimmungen im FinStrG jene der StPO (§ 195 Abs 1 FinStrG), womit auch in diesen Fällen die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme dem Landesgericht als Senat von drei Richtern obliegt (§ 31 Abs 5 Z 2 StPO).

Indem die Generalprokuratur in der Urteilsfällung nach § 360 StPO ohne erneute Anklageerhebung eine Gesetzesverletzung erblickt, reklamiert sie im Ergebnis Urteilsfällung entweder vor Rechtswirksamkeit oder aber ohne Anklage. Wenn auch Anwendbarkeit des § 360 StPO von erneuter Anklage dispensiert, hat der OGH demnach zu prüfen, ob die Behauptung der Generalprokuratur, Urteilsfällung nach Wiederaufnahme hätte erneuter Anklage bedurft, in Fällen von Wiederaufnahme nach §§ 221 ff FinStrG zutrifft. Dies ist aus nachstehenden Gründen der Fall.

Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz kommt nämlich schon deshalb nicht in Betracht, weil strafbestimmende Wertbeträge einerseits die gerichtliche Strafbarkeit, andererseits den Strafrahmen, niemals aber den Strafsatz (= Strafgesetz), also die Subsumtion entscheiden. Was die Strafbarkeit anlangt, unterscheidet das FinStrG zwischen gerichtlicher und sonstiger Ahndung, also zwischen Finanzvergehen, die gerichtlich strafbare Handlungen (rechtliche Kategorien) sind und anderen Finanzvergehen. § 221 FinStrG meint allein diese Trennlinie, nicht aber sonstige Fälle verneinter gerichtlicher Strafbarkeit, indem er die Entscheidung über Zuständigkeit oder Unzuständigkeit der Gerichte "zur Ahndung" anspricht. Für den Fall der Wiederaufnahme bloß wegen Unzuständigkeit der Gerichte zur Ahndung von Finanzvergehen ordnet die iSd § 195 Abs 1 FinStrG "etwas Besonderes" vorschreibende Bestimmung des § 221 Abs 3 FinStrG "im Übrigen" die Anwendung des § 202 FinStrG an. § 202 Abs 2 FinStrG hinwieder schreibt vor, das Gericht habe "sich in seinem Beschluss auf die Entscheidung zu beschränken, ob ihm die Ahndung der Tat als Finanzvergehen zukomme" und "im Beschluss darzulegen, aus welchen Gründen es die gerichtliche Zuständigkeit annehme oder ablehne". Der einer solchen Ablehnung nachfolgende Freispruch wegen Unzuständigkeit der Gerichte "zur Ahndung" hätte solcherart keinen über die schon beschlussförmig abgelehnte Zuständigkeit der Gerichte "zur Ahndung" hinausgehenden Inhalt. Da dem Gesetz kein sinnloser Formalakt unterstellt werden darf, scheidet sofortiger Freispruch nach § 360 StPO bei Wiederaufnahme nach § 221 FinStrG aus.