07.09.2011 Zivilrecht

OGH: Verjährung gem § 12 VersVG iZm Pflichtversicherung gem § 158b VersVG – ist es dem Versicherer auf Grund des § 158c Abs 1 VersVG verwehrt, sich gegenüber dem geschädigten Dritten auf den Eintritt der Verjährung der Ansprüche seines Versicherungsnehmer zu berufen?

In der Pflichtversicherung gem § 158b VersVG kann dem Geschädigten die Verjährung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers nicht entgegengehalten werden


Schlagworte: Versicherungsrecht, Pflichtversicherung, Verjährung, geschädigter Dritter
Gesetze:

§ 158b VersVG, § 158c VersVG, § 12 VersVG

GZ 7 Ob 108/11z [1], 06.07.2011

 

OGH: Der geschädigte Dritte hat - abgesehen von wenigen Ausnahmen (zB Kfz-Haftpflichtversicherung) - gegen den Versicherer keinen direkten Anspruch, sondern ist auf einen Schadenersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer beschränkt. Er kann aber zur Hereinbringung der Schadenersatzforderung im Exekutionsverfahren den Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer pfänden und sich überweisen lassen. Dieser wandelt sich dadurch jedenfalls in einen Geldanspruch um. Der Geschädigte kann dann vom Versicherer unmittelbar Ersatz verlangen. Er tritt dabei in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers ein.

 

Der Kläger macht keine eigene Forderung, sondern die exekutiv zu seinen Gunsten gepfändete und ihm zur Einziehung überwiesene Forderung der Rechtsanwältin als Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer und Drittschuldnerin geltend. Für diese Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss gem § 21a RAO für die Rechtsanwältin eine gesetzliche Verpflichtung bestand (und besteht), gilt gem § 158b VersVG ua die Bestimmung des § 158c VersVG.

 

In der obligatorischen Haftpflichtversicherung genießt der Geschädigte zusätzlichen Schutz. Hier ist ihm der Versicherer im Rahmen des versicherten Risikos auch dann haftpflichtig, wenn im Verhältnis zum Versicherungsnehmer Leistungsfreiheit besteht (§ 158c VersVG). Zwar hat auch der Geschädigte in diesem Fall keinen unmittelbaren Ersatzanspruch gegen den Versicherer (§ 158c Abs 5 VersVG); er kann aber zur Hereinbringung seiner Schadenersatzforderung im Exekutionsverfahren den - nur fingierten - Anspruch des Versicherungsnehmers pfänden lassen und dann direkt gegen den Versicherer vorgehen. Der besondere Schutz des Geschädigten besteht allerdings nur im Rahmen der obligatorischen Mindestversicherungssumme (§ 158c Abs 3 VersVG).

 

Nach § 158c Abs 1 VersVG bleibt die Verpflichtung des Versicherers in Ansehung des Dritten auch dann bestehen, wenn der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei ist. Der (geschädigte) Dritte soll nach der Absicht des Gesetzgebers in seinem berechtigten Vertrauen auf den Bestand eines Versicherungsvertrags geschützt und sein Ersatzanspruch soll im Deckungsprozess von den Zufälligkeiten der oft verworrenen Versicherungsrechtsbeziehungen des Versicherers zum Versicherungsnehmer unabhängig gemacht werden.

 

„Leistungsfreiheit“ des Versicherers bedeutet allgemein seine einseitige Befreiung von seiner Einstandspflicht für einen Versicherungsfall. Gem § 158c Abs 1 VersVG wird ungeachtet der Leistungsfreiheit des Versicherers im Verhältnis zum Versicherungsnehmer oder Mitversicherten im Verhältnis zwischen Versicherer und geschädigtem Dritten das Bestehen eines Versicherungsanspruchs des Versicherungsnehmers oder Mitversicherten fingiert.

 

Als Fälle der Leistungsfreiheit nach § 158c Abs 1 VersVG, die dem geschädigten Dritten nicht entgegengehalten werden können, sind bisher in der Rsp des OGH anerkannt: Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer oder einen Mitversicherten; Ablauf der Klagefrist nach § 12 Abs 3 VersVG; Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung; Leistungsfreiheit beim Prämienzahlungsverzug.

 

§ 158c Abs 1 dVVG aF (nunmehr: § 117 Abs 1 dVVG) war wortgleich mit § 158c Abs 1 VersVG. Nach der Rsp des BGH kann in einer Pflichtversicherung gem § 158b dVVG aF bei einem gestörten Versicherungsverhältnis dem Geschädigten die Verjährung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers in analoger Anwendung von § 158c Abs 1 dVVG nicht entgegengehalten werden. Vielmehr ist für den zugunsten des Geschädigten fingierten Deckungsanspruch ein eigener Verjährungsbeginn maßgeblich. Begründet wird diese Rechtsansicht mit der Besonderheit der Pflichtversicherung gegenüber der allgemeinen Haftpflichtversicherung, dem Dritten einen umfassenden Schutz gegen ihm nachteilige Handlungen oder Unterlassungen des Versicherungsnehmers zu gewähren, gegen die er sich sonst überhaupt nicht oder doch nur schwer schützen kann. Dabei einen kleinlichen Maßstab anzulegen, würde dem Schutzgedanken des § 158c dVVG aF widersprechen. Eine unmittelbare Anwendung des § 158c Abs 1 dVVG aF auf die Einrede der Verjährung sei allerdings ausgeschlossen, weil es sich im Fall der Verjährung nach § 12 Abs 1 dVVG aF um kein „Freiwerden“ des Versicherers handle.

 

Gruber schließt sich der herrschenden deutschen Ansicht an und führt aus, dass im Fall der Verjährung des Versicherungsanspruchs (§ 12 Abs 1 VersVG) § 158c Abs 1 VersVG zumindest analog gelte. Ausgehend vom Schutzzweck des § 158c VersVG ist die Rechtsansicht des BGH überzeugend und infolge vergleichbarer österreichischer Rechtslage auf den vorliegenden Fall übertragbar.

 

Diese Gesetzesanalogie hält die Beklagte für unzulässig, weil § 12 Abs 1 VersVG - anders als § 12 Abs 1 dVVG aF (entsprach § 12 Abs 1 VersVG idF vor BGBl Nr 509/1994) - eine Differenzierung zwischen der Verjährung von Ansprüchen des Versicherungsnehmers und solchen bestimmter Dritter gegen den Versicherer vorsehe. Somit liege keine außerplanmäßige Lücke vor.

 

Gem § 12 Abs 1 VersVG verjähren die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in drei Jahren. Steht der Anspruch einem Dritten zu, so beginnt die Verjährung zu laufen, sobald diesem sein Recht auf die Leistung des Versicherers bekannt gegeben worden ist; ist dem Dritten dieses Recht nicht bekannt gegeben worden, so verjähren seine Ansprüche erst nach 10 Jahren.

 

Durch die Ausweitung auf alle Dritte mit Ansprüchen gegen den Versicherer soll klargestellt werden, dass der zweite Satz des § 12 Abs 1 VersVG in all jenen Fällen gilt, in denen die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag einer vom Versicherungsnehmer (also dem Vertragspartner des Versicherten) verschiedenen Person zustehen. Der geschädigte Kläger ist aber - jedenfalls bis zur Pfändung und Überweisung des Anspruchs der Rechtsanwältin als Versicherungsnehmerin gegenüber der beklagten Haftpflichtversicherung - kein selbständig anspruchsberechtigter Versicherter iSd § 12 Abs 1 zweiter Satz VersVG. Die Differenzierung des Fristenlaufs des Verjährungsbeginns zwischen Versicherungsnehmern und selbständig anspruchsberechtigten Versicherten spricht somit nicht gegen die Gesetzesanalogie, weil der geschädigte Kläger dadurch nicht geschützt ist. Für geschädigte Dritte, die im Rahmen der obligatorischen Haftpflichtversicherung geschützt sind und denen - wie hier - keine unmittelbaren Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer zustehen (§ 158c Abs 5 VersVG), enthält § 12 Abs 1 VersVG keine Verjährungsregelung.

 

Die Parteien führen übereinstimmend aus, dass die zuständige Rechtsanwaltskammer mit Schreiben vom 9. 11. 2006 dem Kläger „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ die Haftpflichtversicherung der Rechtsanwältin nicht bekannt gab. Mangels Kenntnis des Haftpflichtversicherers hätte daher der Kläger die beklagte Haftpflichtversicherung - bis zu deren Bekanntgabe mit nachfolgendem Schreiben der Rechtsanwaltskammer vom 4. 3. 2008 (so die Behauptung des Klägers) - gar nicht auf Feststellung der Deckungspflicht klagen können.

 

Nach der Rsp des OGH kann der geschädigte Dritte gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers die Klage auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers erheben, sofern er ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung hat, wobei das Klagebegehren auf den Versicherungsnehmer zu beziehen ist. Ein solches Feststellungsinteresse besteht va dann, wenn dem geschädigten Dritten der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt entzogen zu werden droht, etwa durch Verjährung oder durch Ablauf der Frist des § 12 Abs 3 VersVG, die auch durch Klage des Dritten gewahrt werden kann, oder wenn der Versicherer seine Eintrittspflicht verneint und der Versicherungsnehmer nichts unternimmt. In diesen Entscheidungen ging es weder um eine Pflichtversicherung noch um ein gestörtes Versicherungsverhältnis und damit auch nicht um einen zugunsten des Geschädigten fingierten Deckungsanspruch. Bei einem gestörten Versicherungsverhältnis in der Pflichtversicherung liegt eine andere Konstellation vor. Wenn feststeht, dass der Versicherungsanspruch gegenüber dem Versicherungsnehmer verjährt ist (§ 12 Abs 1 VersVG), hilft dem Geschädigten eine auf die Leistungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer gerichtete Feststellungsklage nicht weiter. Da an der Feststellung eines verjährten Rechts kein rechtliches Interesse bestünde, wäre die Klage des Geschädigten abzuweisen. Ein derart sinnloses Vorgehen ist dem Geschädigten nicht zuzumuten.

 

Die Verjährung des nach § 158c Abs 1 VersVG zum Schutz des Dritten (Kläger) fingierten Deckungsanspruchs beginnt im Regelfall (mit hier nicht behaupteten Ausnahmen) erst nach Pfändung und Überweisung der fingierten Haftpflichtversicherungsforderung. Die Verjährung richtet sich nach § 12 Abs 1 VersVG. Der Kläger hat sich zur Hereinbringung seiner Schadenersatzforderung gegenüber der Rechtsanwältin im Dezember 2008 im Exekutionsverfahren deren fingierte Haftpflichtforderung pfänden und überweisen lassen, wodurch sich - wie vorstehend dargelegt - dieser Anspruch jedenfalls in einen Geldanspruch umwandelte, sodass der Kläger von der beklagten Haftpflichtversicherung unmittelbar Ersatz verlangen kann. Der Kläger ist ab diesem Zeitpunkt selbständig anspruchsberechtigter Versicherter und damit Dritter iSd § 12 Abs 1 zweiter Satz VersVG. Im Hinblick auf die Einbringung der Klage am 13. 10. 2009 ist daher der fingierte Klagsanspruch des Klägers noch nicht verjährt.

 

Da in der Pflichtversicherung gem § 158b VersVG aus den angeführten Gründen dem Geschädigten die Verjährung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers nicht entgegengehalten werden kann, muss auf den Charakter der Streitverkündung des Klägers als Geltendmachung seines Anspruchs gegenüber der Versicherungsnehmerin (Rechtsanwältin) nicht eingegangen werden.