23.07.2012 Zivilrecht

OGH: Entziehung / Einschränkung der Obsorge gem § 176 ABGB

Ohne Gefährdung des Kindeswohls und eine dadurch bedingte Notwendigkeit der Änderung eines bestehenden Zustands kommt eine Verfügung nach § 176 Abs 1 ABGB - und zwar unabhängig davon, ob sie eine (Teil-)Entziehung der Obsorge oder eine „Auflage“ mit inhaltlichen Vorgaben für die Ausübung des Obsorgerechts ausspricht, jedenfalls nicht in Betracht, auch wenn sie zweckmäßig oder sinnvoll wäre


Schlagworte: Familienrecht, Entziehung / Einschränkung der Obsorge, Auflage, Jugendwohlfahrtsträger, Gefährdung des Kindeswohls
Gesetze:

§ 176 ABGB, § 215 ABGB

GZ 3 Ob 41/12v [1], 15.05.2012

 

Mit der Rekursentscheidung gab das Rekursgericht dem Rekurs der Mutter dahin Folge, dass es die Obsorgeübertragung an den JWT durch einen Auftrag an diesen einschränkte, zur Vorbereitung der Rückführung des Kindes zur Mutter die Aufnahme der Mutter in eine ganz bestimmte Einrichtung zu veranlassen und das Kind der Mutter nach der Aufnahme wieder zu übergeben. Dieser Anordnung erkannte es vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit gem § 44 AußStrG zu.

 

OGH: Dem Rekursgericht ist zuzugestehen, eine vom Ergebnis her durchaus sinnvolle Entscheidung getroffen zu haben, weil auf die Änderung der Tatsachengrundlage Bedacht genommen und die rasche Zusammenführung von Mutter und Kind in einem betreuten und geschützten Bereich angestrebt wurde, dennoch aber Unsicherheiten zum zukünftigen Verhalten der Mutter nicht unberücksichtigt blieben. Allerdings lässt sich damit allein eine Auftragserteilung an den Obsorgeberechtigten nach der Judikatur nicht rechtfertigen.

 

Ohne Gefährdung des Kindeswohls und eine dadurch bedingte Notwendigkeit der Änderung eines bestehenden Zustands kommt eine Verfügung nach § 176 Abs 1 ABGB - und zwar unabhängig davon, ob sie eine (Teil-)Entziehung der Obsorge oder eine „Auflage“ mit inhaltlichen Vorgaben für die Ausübung des Obsorgerechts ausspricht, jedenfalls nicht in Betracht, auch wenn sie zweckmäßig oder sinnvoll wäre. Das Argument des JWT, ein Auftrag an ihn (gleichzeitig mit der Übertragung der Obsorge) hätte erfordert, dass er durch Maßnahmen oder Versäumnisse das Kindeswohl gefährde, trifft daher zu.

 

Eine solche hat das Rekursgericht aber gar nicht angenommen, weil es nur damit argumentierte, der Auftrag an den JWT entspreche dem Kindeswohl am besten. Nach der (erkennbar durch die nachträglich erklärte Bereitschaft der Mutter zur Aufnahme in eine betreute Wohngemeinschaft bedingten) Aufgabe des (doch etwas voreilig erscheinenden) Plans des JWT, das Mädchen schon etwa zwei Monate nach seiner Abnahme, jedoch noch vor dem Vorliegen einer Rechtsmittelentscheidung auf einem Dauerpflegeplatz unterzubringen, kann auch nach der Aktenlage eine solche nicht erkannt werden. Somit ist aber eine Aufrechterhaltung der Rekursentscheidung im bekämpften Umfang nicht möglich, weil es an der Voraussetzung für die Erteilung des Auftrags fehlte.

 

Das erübrigt eine Auseinandersetzung mit der weiters vom JWT aufgeworfenen Rechtsfrage zu einem allfälligen Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung.

 

Als Folge der unzutreffenden Rechtsansicht des Rekursgerichts kommt es aber nicht (nur) zu einer ersatzlosen Beseitigung des rekursgerichtlichen Auftrags unter Aufrechterhaltung der Obsorgeentziehung und -übertragung. Die unter einem vorgenommene teilweise Bestätigung der Obsorgeentscheidung des Erstgerichts iVm der ergänzenden Anordnung einer die Ausübung der Obsorge gravierend einschränkenden Maßnahme stehen nämlich in einem untrennbaren Sachzusammenhang, der - ungeachtet der unterbliebenen Anfechtung der Rekursentscheidung durch die Mutter - eine voneinander losgelöste Beurteilung der beiden Komplexe ausschließt.

 

Dabei bedarf es der Berücksichtigung der nach der Entscheidung des Erstgerichts und auch des Rekursgerichts aktenkundig gewordenen Entwicklungen, die nicht nur in der nachträglich erklärten (bloßen) Bereitschaft der Mutter zur Aufnahme in eine betreute Wohngemeinschaft bestehen, sondern auch - als Folge des Ausspruchs des Rekursgerichts nach § 44 AußStrG - in deren Umsetzung einschließlich der Zusammenführung von Mutter und Kind seit mehreren Monaten. Das lässt eine wesentliche Veränderung der Tatsachengrundlage erkennen, die nach der Judikatur bei Obsorgeentscheidungen auch in letzter Instanz nicht unberücksichtigt bleiben darf.

 

Deshalb sind die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie die Zuteilung der Obsorge zwischen der Mutter und dem JWT betreffen, aufzuheben; die Pflegschaftssache muss somit zur entsprechenden Verfahrensergänzung und Prüfung der neuen Situation an das Erstgericht zurückverwiesen werden. Dieses wird auf aktueller Grundlage zu erheben haben, ob die Voraussetzungen für den Antrag des JWT nach § 215 ABGB (noch) gegeben sind und sodann neuerlich darüber zu entscheiden haben.