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20.08.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, inwieweit Unterhaltszahlungen, die auf unterschiedlichen Tatbeständen des § 136 Abs 4 GSVG (§ 258 Abs 4 ASVG) beruhen, bei der Bemessung der Witwenpension nebeneinander zu berücksichtigen sind

Die Bestimmungen des § 136 Abs 4 lit a bis c und lit d GSVG (§ 258 Abs 4 lit a bis c und lit d ASVG) können auch kumulativ angewendet werden


Schlagworte: Allgemeines / gewerbliches Sozialversicherungsrecht, Pensionsversicherung, Witwenpension, Bemessung, Unterhalt, Titel, Deckung des Unterhaltsbedarfes
Gesetze:

§ 258 ASVG, § 136 GSVG

GZ 10 ObS 65/12z [1], 26.06.2012

 

Die Klägerin weist darauf hin, im vorliegenden Fall sei zu klären, ob die zusätzlich zum Unterhaltsbetrag von 500 EUR (laut Scheidungsvergleich) geleisteten Zahlungen, die zweifellos Unterhaltscharakter hätten, Einfluss auf die Witwenpension zukomme. Nach dem festgestellten Sachverhalt sei ein Teil des Unterhalts im Scheidungsvergleich festgelegt worden, ein anderer Teil in einer zusätzlichen vertraglichen Verpflichtung, die vor Auflösung der Ehe eingegangen worden sei (§ 136 Abs 4 lit b und lit c GSVG). Hätte man Zweifel, ob dies allein genüge, so ergäben die Feststellungen, dass (auch) tatsächlich zur Deckung des Unterhaltsbedarfs diese Zahlungen von der Scheidung bis zum Tod des unterhaltspflichtigen Ehegatten geleistet worden seien, sodass auch § 136 Abs 4 lit d GSVG erfüllt sei. Die Gegenargumente des Berufungsgerichts seien nicht überzeugend, weil die Betriebskosten eines Hauses bestimmbar seien und sich aufgrund der Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes ergäben. Es treffe daher nicht zu, dass der Begriff „Betriebskosten“ völlig unbestimmbar sei. Dass der Witwenpensionsanspruch gem § 136 Abs 4 lit d GSVG nur als Ersatz für einen fehlenden Unterhaltstitel anzusehen sei, weshalb die Ergänzung eines vorhandenen Titels um solche Zahlungen nicht möglich sei, finde im Gesetz keine Deckung. Nach der zitierten Gesetzesstelle spreche nichts dagegen, es für zulässig zu erachten, den Unterhalt teils in einem gerichtlichen Vergleich und teils in einer Zusatzvereinbarung vor dem Scheidungsvergleich zu vereinbaren, noch dazu wenn feststehe, dass diese außergerichtliche Vereinbarung hinsichtlich der Betriebskosten der Grund gewesen sei, warum es überhaupt zu einem Scheidungsvergleich nach den Wünschen des verstorbenen Ehegatten gekommen sei. Die Argumentation des Berufungsgerichts, wonach ausschließlich die Unterhaltszahlung entweder aufgrund eines Urteils, eines gerichtlichen Vergleichs oder einer vor der Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung oder die tatsächliche Leistung maßgebend sei, eine Kombination dieser Anspruchsgrundlagen aber nicht, könne nicht gefolgt werden. Daher sei die Pensionshöhe falsch errechnet worden und primär das bekämpfte Urteil aufzuheben.

 

OGH: Der Witwenpensionsanspruch der Klägerin gründet sich hinsichtlich der im Scheidungsfolgenvergleich vereinbarten monatlichen Unterhaltszahlung von 500 EUR auf § 136 Abs 4 lit b GSVG. Insoweit kommt es nur darauf an, dass der verstorbene Ehegatte diesen Unterhalt aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs zu leisten hatte. Maßgeblich für den Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf Witwenpension nach § 136 Abs 4 lit a bis c GSVG ist ausschließlich der Rechtsanspruch auf Unterhalt. Ob der Unterhaltsschuldner diesen Unterhalt tatsächlich auch geleistet hat, ist nicht entscheidend.

 

Soweit der frühere Ehegatte der Klägerin darüber hinaus ohne titelmäßige Verpflichtung Zahlungen mit Unterhaltscharakter an die Klägerin geleistet hat, kann der Anspruch der Klägerin auf Witwenpension mit Erfolg auf die Bestimmung des § 136 Abs 4 lit d GSVG, die der gleichartigen Regelung des § 258 Abs 4 lit d ASVG entspricht, gestützt werden (vgl in diesem Sinne auch VwGH 2010/12/0027 zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 19 PG).

 

Das entspricht auch der Entstehungsgeschichte des § 136 Abs 4 lit d GSVG (§ 258 Abs 4 lit d ASVG), der die Witwenpension dem früheren Ehepartner des Versicherten, nunmehr auch dann gewährt, wenn ihm dieser zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) geleistet hat, und zwar regelmäßig zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ab einem Zeitpunkt nach der Rechtskraft der Scheidung bis zu seinem Tod, mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor seinem Tod, wenn die Ehe mindestens 10 Jahre gedauert hat.

 

Diese Bestimmung soll dann, wenn die Voraussetzungen nach § 136 Abs 4 lit a bis c GSVG nicht erfüllt sind, Härtefälle vermeiden, indem unter den genannten Voraussetzungen von den Erfordernissen eines gerichtlichen Unterhaltstitels bzw einer Unterhaltsvereinbarung abgesehen und die tatsächliche Unterhaltsleistung des Versicherten den sonst für den Anspruch auf Witwenpension erforderlichen Unterhaltstiteln gleichgesetzt wird.

 

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt die Anwendung des § 136 Abs 4 lit d GSVG auch bei Vorliegen eines Titels nach § 136 Abs 4 lit b GSVG in Betracht (vgl VwGH 95/12/0263, 99/12/0203; 99/12/0349 ua zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 19 PG):

 

Nach stRsp des OGH ist der Begriff des Unterhaltsbedarfs in § 136 Abs 4 lit d GSVG (bzw § 258 Abs 4 lit d ASVG) nämlich nicht gleichsinnig mit jenem des Unterhaltsanspruchs. Er ist vielmehr einschränkend dahin auszulegen, dass es nur auf den faktischen (also auf den tatsächlichen) Leistungsbetrag, nicht aber auf einen - gar nicht weiter zu prüfenden - rechtlichen Anspruch auf Unterhalt ankommt, sofern nur ein Unterhaltsbedarf besteht. Sowohl der Gesetzeswortlaut des § 258 Abs 4 lit d ASVG als auch die Gesetzesmaterialien stellen darauf ab, dass die erbrachten Leistungen einen Unterhaltsbedarf decken müssen. Unterhalt dient nach der Rsp der Befriedigung der notwendigen und üblichen materiellen menschlichen Bedürfnisse, insbesondere jener nach Nahrung, Kleidung und Wohnung, Heizung und Stromversorgung, Hygiene, medizinische Betreuung und der übrigen Bedürfnisse wie etwa nach Erholung, Religionsausübung, Kultur- und Freizeitgestaltung, Benützung von Kommunikations- und Massenmedien uä.

 

Wesentlich ist dabei, dass einer der beiden (geschiedenen) Ehegatten dem anderen geldwerte Leistungen erbringt, um die Erfüllung dessen genannter Bedürfnisse zu gewährleisten. Die Maßgeblichkeit der „Deckung des Unterhaltsbedarfes“ laut § 258 Abs 4 lit d ASVG berührt daher diejenigen Fälle, in denen Leistungen erbracht werden, die nicht Unterhaltscharakter haben, sondern anderen Zwecken dienen.

 

Da die Hinterbliebenenpension an einen geschiedenen Ehepartner Ersatz für den Entfall der Unterhaltsleistungen des früheren Ehepartners sein soll, können auch nur Leistungen, die Unterhaltscharakter haben, zur Begründung eines Witwenpensionsanspruchs führen. Dabei betrifft die Frage, ob der verstorbene Versicherte mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor seinem Tod tatsächlich regelmäßige Zahlungen an seinen geschiedenen Ehegatten geleistet hat, eine vom Revisionsgericht nicht mehr überprüfbare Beweisfrage. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen in der Entscheidung 10 ObS 70/02w zu verstehen. Dem gegenüber stellt die Frage, ob vom verstorbenen Versicherten zur Deckung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten regelmäßig „Unterhalt“ geleistet wurde, eine Rechtsfrage dar, die auch vom OGH im Revisionsverfahren überprüft werden kann.

 

Im vorliegenden Fall ist nach den nicht mehr angreifbaren Feststellungen der Tatsacheninstanzen davon auszugehen, dass der verstorbene, fast 24 Jahre mit der Klägerin verheiratete, seit 14. 5. 2008 von ihr geschiedene Versicherte während des letzten Jahres vor seinem Tod (14. 7. 2010) tatsächlich regelmäßig die vom Erstgericht detailliert ermittelten Beiträge zur Deckung des Unterhaltsbedarfs der Klägerin geleistet hat. Die Witwenpension steht daher unabhängig davon zu, ob (auch) nach zivilrechtlichen Grundsätzen ein Anspruch auf Unterhalt bestand, der die im Scheidungsvergleich vereinbarten 500 EUR monatlich übersteigt.