OGH > Zivilrecht
13.07.2015 Zivilrecht

OGH: Zu den Sorgfaltsanforderungen an Veranstalter, Kurssetzer und Rennteilnehmer bei Schirennen im freien Gelände (bei fehlender Besichtigungsmöglichkeit der Rennläufer)

Der Veranstalter eines Schirennens im freien Gelände hat bei vorgegebenem Streckenverlauf die Rennteilnehmer vor geschaffenen atypischen Gefahren zu sichern; dabei ist das von ihm von den Teilnehmern „eingeforderte“ Risiko zu berücksichtigen; die Beklagten mussten davon ausgehen, dass die Teilnehmer den vorgegebenen Streckenverlauf im Renntempo abfahren würden; sie konnten nicht erwarten, dass die Teilnehmer ohne entsprechender Warnung auf Sicht fahren würden, was einem Wettkampf bei einer vorgegebenen Strecke wesensfremd wäre, zumal gerade das eigene Können ausgelotet werden soll


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Haftung, Veranstalter, Kurssetzer, Schirennen im freien Gelände, Sicherheitsvorkehrungen, fehlende Besichtigungsmöglichkeit
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB

 

GZ 7 Ob 68/15y, 20.05.2015

 

OGH: Die Kläger haben die Teilnahmebedingungen der erstbeklagten Rennveranstalterin unterschrieben und den Teilnahmebeitrag von 30 EUR (inklusive 10 EUR für den Lift) entrichtet. Auf Grund dieses Vertragsabschlusses haftet die Erstbeklagte gegenüber den Klägern aus Vertrag für die Einhaltung der einen Veranstalter eines Schirennens treffenden Sorgfaltspflichten. Sie hat zu beweisen, dass sie die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat.

 

Der zweitbeklagte Vorstandsvorsitzende der Erstbeklagten übernahm die Streckenauswahl. Damit hatte er sich beim Treffen der Sicherheitsvorkehrungen an dem für einen Veranstalter eines Schirennens geltenden Maßstab zu orientieren.

 

Die Sorgfaltsanforderungen an einen Rennveranstalter sind wesentlich strenger als die an einen Pistenhalter; der Teilnehmer an einem Schirennen wird ja vom Veranstalter geradezu zum riskanten Fahren aufgefordert. Der Umfang der zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen hängt ganz erheblich von der Größe und Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung einer Gefahr sowie davon ab, ob und inwieweit der Schifahrer selbst in der Lage ist, einer Unfallgefahr zu begegnen. Für die Prüfung der konkreten Sorgfaltspflichten kommt es auf eine ex-ante-Beurteilung an.

 

Das freie Schigelände außerhalb des organisierten Schiraums ist grundsätzlich nicht zu sichern. Eine Ausnahme davon besteht jedoch hinsichtlich geschaffener atypischer Gefahren dann, wenn eine entsprechende Benützung - wie hier bei einem vorgegebenen Streckenverlauf - konkret bekannt ist.

 

Zu sichern sind nur atypische Gefahren, also solche Hindernisse, die der Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann. Dabei ist die - hier durch die Markierung des Streckenverlaufs mit Torstangen - nach der Übung des redlichen Verkehrs geschaffene Vertrauenslage zu berücksichtigen.

 

Es ist nun zu prüfen, ob die Kläger einer atypischen Gefahr ausgesetzt wurden und es den Beklagten vorzuwerfen ist, dass sie keine Sicherungsvorkehrungen getroffen haben.

 

Eine Grabenmulde von 4-5 m im freien Gelände ist an sich nicht untypisch. Damit muss ein Schifahrer außerhalb einer Wettkampfsituation grundsätzlich rechnen. Hier wurde aber ein Rennen abgehalten und sogar ein einzelnes Richtungstor unmittelbar auf der Geländekante angebracht. Da der Zweitbeklagte die Teilnehmer vor dem Start anwies, sich an den gesteckten Toren zu orientieren, musste er davon ausgehen, dass sie das Richtungstor auf der Geländekante anvisieren würden, weil sich in der Nähe kein weiteres Richtungstor befand und auch seine Fahrspur dorthin führte. Demnach wurden die Teilnehmer geradezu zum Gefahrenbereich ohne Absicherung hingeleitet.

 

Da der Streckenverlauf zwar unbekannt, aber durch Richtungstore vorgegeben war, war davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer nur auf die vor ihnen liegende markierte Rennstrecke selbst konzentrieren würden. Nur so konnte der der vorliegenden Veranstaltung zugrunde liegende Wettkampfgedanke, die Rennstrecke in kürzestmöglicher Zeit zu bewältigen, umgesetzt werden. Aus diesem Grund mussten die Beklagten davon ausgehen, dass die Teilnehmer den vorgegebenen Streckenverlauf im Renntempo abfahren würden. Sie konnten nicht erwarten, dass die Teilnehmer ohne entsprechender Warnung auf Sicht fahren würden, was einem Wettkampf bei einer vorgegebenen Strecke wesensfremd wäre, zumal gerade das eigene Können ausgelotet werden soll.

 

Daraus folgt, dass die Beklagten durch das Setzen eines einzelnen Richtungstors auf der Geländekante eine atypische Gefahr geschaffen haben, weil den Teilnehmern eine gefahrenträchtige Fahrlinie in der Nähe der Grabenmulde vorgeschrieben wurde. Das Gelände hätte nämlich nur mit 20 km/h gefahrlos bewältigt werden können.

 

Der Zweitbeklagte hat bei seiner Abfahrt (mit einer geringeren Geschwindigkeit) die Grabenmulde zwar noch rechtzeitig erkannt und konnte abschwingen. Dennoch gab er keine Anweisungen an seine Mitarbeiter, wo unter diesen Umständen zur Entschärfung der Gefahrenlage Richtungstore gesetzt werden sollten. Er kontrollierte auch nicht, wo das Tor letztlich aufgestellt war. Er unterließ jeden Versuch, die erkannte Gefahr durch die Grabenmulde (er wählte diesen Weg nicht) zu entschärfen, obwohl er wusste, dass die Teilnehmer das Gelände nicht kannten. Dass die Position des Richtungstors für die Unfälle entscheidend war, ergibt sich (neben der Feststellung) auch daraus, dass durch ein geringfügiges Versetzen des Tores bei den Snowboardfahrern keine derartigen Unfälle passierten. Die Beklagten haben damit die fahrlässige Schaffung einer ungesicherten atypischen Gefahrenlage zu verantworten.