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29.06.2011 Zivilrecht

OGH: Angemessenheit des Anwaltshonorars

Als Kriterien der Angemessenheit der Anwaltsleistung gelten deren Umfang, deren Schwierigkeit und Komplexität, die Bedeutung der Angelegenheit für den Einzelnen, das Haftungsrisiko, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten, aber auch die Erfahrung des Anwalts, der Grad seiner Spezialisierung etc; eine allfällige Überschreitung von disziplinarrechtlichen Grenzen ist unerheblich, weil selbst die standeswidrige Vereinbarung eines zu hohen Honorars durch einen Rechtsanwalt allein für die Annahme der Sittenwidrigkeit oder Nichtigkeit iSd § 879 ABGB nicht ausreicht


Schlagworte: Rechtsanwalt, Honorar, angemessen
Gesetze:

§ 16 RAO, § 2 RATG, §§ 1002 ff ABGB, § 1152 ABGB, § 879 ABGB, § 934 ABGB

GZ 7 Ob 259/10d [1], 30.03.2011

 

Den Gegenstand des Revisionsverfahrens bilden die aus einer Stundensatzvereinbarung abgeleiteten, im Herbst 2000/Frühjahr 2001 angefallenen Honorarforderungen der Klägerin für zwei Causen, und zwar eine arbeitsrechtliche mit einem Streitwert von 3.000.000 ATS und einen Honorarstreit.

 

OGH: Auf den Vertrag des Rechtsanwalts mit seinem Klienten ist zunächst die RAO anzuwenden; hilfsweise gelten die Bestimmungen über den Bevollmächtigungsvertrag. § 16 Abs 1 RAO sieht (ebenso wie § 2 Abs 1 RATG) die Möglichkeit der freien Vereinbarung des Honorars für den Rechtsanwalt vor, gewährleistet also die Privatautonomie zwischen Klient und Rechtsanwalt. Die Rangfolge der Rechtsgrundlagen für das Anwaltshonorar lautet: 1. Parteienvereinbarung, 2. RATG und 3. angemessenes Entgelt nach § 1152 ABGB, wobei jede Rechtsgrundlage die nachfolgende ausschließt.

 

Als Kriterien der Angemessenheit der Anwaltsleistung gelten deren Umfang, deren Schwierigkeit und Komplexität, die Bedeutung der Angelegenheit für den Einzelnen, das Haftungsrisiko, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten, aber auch die Erfahrung des Anwalts, der Grad seiner Spezialisierung etc. Zu beurteilen sind daher die jeweils konkreten Umstände des Einzelfalls, weshalb generalisierende Aussagen iSv - der freien Vereinbarkeit widersprechenden - absoluten Grenzbeträgen nicht möglich sind. Bei der Prüfung der Angemessenheit des Anwaltshonorars stellt sich daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage.

 

Eine solche vermag der Beklagte durch eine Gegenüberstellung mit einem nach RATG errechneten Honoraranspruch schon deshalb nicht aufzuzeigen, weil er bei seiner Berechnung nur Schriftsätze und Tagsatzungen samt Einheitssatz berücksichtigt, ohne - trotz der zahlreichen (persönlichen und telefonischen) Besprechungen mit dem Beklagten - auf das Wahlrecht der Klägerin nach § 23 Abs 2 RATG Bedacht zu nehmen, die einzelnen Nebenleistungen zu verrechnen.

 

Im Übrigen vertrat die Klägerin den Beklagten in insgesamt 14 verschiedenen, zum Teil sehr komplexen arbeits- und gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten mit zum Teil sehr hohem Streitwert, sodass bei der Beurteilung des für alle Causen generell vereinbarten Stundensatzes nicht einzelne Verfahren isoliert betrachtet werden dürfen. Schließlich darf nicht außer Betracht bleiben, dass die Klägerin nicht nur mit üblichen Vertretungshandlungen vor Gericht beauftragt war, sondern der Beklagte von ihr auch umfangreiche (auch strategische) Beratung mit dem Ziel einer umfassenden vergleichsweisen Lösung in Anspruch nahm.

 

Eine allfällige Überschreitung von disziplinarrechtlichen Grenzen ist unerheblich, weil selbst die standeswidrige Vereinbarung eines zu hohen Honorars durch einen Rechtsanwalt allein für die Annahme der Sittenwidrigkeit oder Nichtigkeit iSd § 879 ABGB nicht ausreicht.

 

In der Beurteilung der Vorinstanzen, der zwischen den Parteien vereinbarte Stundensatz sei angemessen, ist somit keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erblicken (vgl Thiele, Anwaltskosten² [2007], 15 FN 90, der Beträge von 220 bis 400 EUR als durchaus angemessen erachtet).

 

Für Honorarvereinbarungen gelten die Verbote des Ansichlösens der Streitsache (§ 879 Abs 2 Z 2 erster Fall ABGB; § 16 Abs 1 RAO), der quota litis (§ 879 Abs 2 Z 2 zweiter Fall ABGB), des Wuchers (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) und der laesio enormis (§ 934 ABGB).