OGH > Zivilrecht
17.08.2011 Zivilrecht

OGH: § 934 ABGB - zur Anwendung der Regeln über die laesio enormis auf Spekulationsgeschäfte

Für die Anwendung von § 934 ABGB ist grundsätzlich auf den Marktwert zum Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts abzustellen; Marktpreise, die auf Annahmen der Marktteilnehmer über zukünftige Entwicklungen beruhen, enthalten ein aleatorisches Element; richten sich Vertragspartner nach solchen Marktpreisen, liegt dieses Element auch dem Vertrag zugrunde


Schlagworte: Verkürzung über die Hälfte, Spekulationsgeschäfte, Marktwert
Gesetze:

§ 934 ABGB

GZ 4 Ob 44/11s [1], 05.07.2011

 

OGH: Nach § 934 ABGB wird das Missverhältnis des Wertes nach dem Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts bestimmt. Der Wert der gekauften Sache ist daher für diesen Zeitpunkt festzustellen. Der nach § 934 ABGB maßgebende „gemeine Wert“ ist nach stRsp der „gemeine Preis“ des § 305 ABGB. Das ist jener Nutzen, den die Sache mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet; in der Regel also deren Verkehrswert. Auch für die Anwendung von § 934 ABGB ist daher grundsätzlich auf den Marktwert abzustellen. Wenn sich kein „wahrer Markt“ gebildet hat oder dieser im Verdacht „ungerechter Preisbildung“ steht, soll allerdings nach einem obiter dictum in 6 Ob 187/99i auf den Ertrags- oder Gestehungskostenwert abzustellen sein.

 

Im vorliegenden Fall haben schon die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass die Aktien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses um etwa 160 CHF gehandelt wurden. Sie hatten daher einen konkreten Marktwert; aus den Feststellungen lässt sich ableiten, dass es auch dem Kläger möglich gewesen wäre, die von ihm erworbenen Aktien zu diesem Preis wieder zu verkaufen. Er selbst hat dafür sogar um 10 CHF weniger gezahlt. So gesehen liegt daher keinesfalls eine Verkürzung über die Hälfte vor.

 

Es mag zwar zutreffen, dass der auf dem „grauen“ Markt gezahlte Preis angesichts des Zustands des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens objektiv - möglicherweise auch deutlich - überhöht war. Der Berücksichtigung dieses Umstandes steht aber der spekulative Charakter des Geschäfts entgegen. Das ergibt sich aus der Wertung des § 1268 ABGB: Marktpreise, die auf Annahmen der Marktteilnehmer über zukünftige Entwicklungen beruhen, enthalten ein aleatorisches Element. Richten sich Vertragspartner - wie hier - nach solchen Marktpreisen, liegt dieses Element auch dem Vertrag zugrunde. Eine Korrektur nach den erst nachträglich zu ermittelnden tatsächlichen Gegebenheiten liefe daher - ebenso wie bei Glücksverträgen (§ 1268 ABGB) - dem von den Parteien gewollten Charakter des Geschäfts zuwider. Nach Ansicht des Senats besteht daher zumindest im vorliegenden Fall kein Grund, eine „ungerechte“ Preisbildung anzunehmen und aus diesem Grund auf einen - wie auch immer bestimmten - „tatsächlichen“ Wert der Aktien abzustellen.