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18.07.2012 Wirtschaftsrecht

VwGH: Gegen den Grundsatz des Wettbewerbes verstoßende Abreden nach § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006 (hier iZm Mehrfachbeteiligung am Vergabeverfahren)

Eine Mehrfachbeteiligung als Bieter und Subunternehmer darf nicht automatisch und in jedem Fall als eine wettbewerbswidrige Abrede beurteilt werden; vielmehr muss den betroffenen Bietern durch den öffentlichen Auftraggeber (bzw die vergebende Stelle) im Rahmen einer Aufklärung die Möglichkeit gegeben werden, nachzuweisen, ob der Inhalt der abgegebenen Angebote durch das fragliche Abhängigkeitsverhältnis beeinflusst worden ist bzw dass die Angebote völlig unabhängig voneinander formuliert worden sind und folglich eine Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter Bietern nicht besteht


Schlagworte: Vergaberecht, Ausscheiden von Angeboten, gegen den Grundsatz des Wettbewerbes verstoßende Abreden, Mehrfachbeteiligung als Bieter und Subunternehmer
Gesetze:

§ 129 BVergG 2006, § 19 BVergG 2006

GZ 2010/04/0011 [1], 18.06.2012

 

Die Auftraggeberin schied das Angebot der mitbeteiligten Partei (Teilangebot betreffend Verglasungsarbeiten) gem § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006 aus, weil die mitbeteiligte Partei neben dem eigenständigen Teilangebot auch als Mitglied einer Bietergemeinschaft ein Gesamtangebot gelegt habe und diese Vorgangsweise gegen den Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbs verstoße.

 

VwGH: Gem § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006 hat der Auftraggeber vor der Wahl des Angebotes für die Zuschlagsentscheidung auf Grund des Ergebnisses der Prüfung Angebote von Bietern auszuscheiden, die mit anderen Unternehmern für den Auftraggeber nachteilige, gegen die guten Sitten oder gegen den Grundsatz des Wettbewerbes verstoßende Abreden getroffen haben.

 

Gem § 19 Abs 1 BVergG 2006 sind Vergabeverfahren nach einem unter diesem Bundesgesetz vorgesehenen Verfahren ua entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbes durchzuführen.

 

Nach den Materialien zu dieser Bestimmung hat der Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbs neben der innerstaatlichen auch eine gemeinschafts(jetzt: unions)rechtliche Grundlage, wobei die Erläuterungen auf ein Urteil des EuGH in der Rechtssache C-243/89 verweisen, wonach die Richtlinie 71/305/EWG die Entwicklung eines echten Wettbewerbs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge bezweckt und daher Selektions- und Zuschlagskriterien aufstellt, die einen solchen Wettbewerb gewährleisten sollen.

 

In dieser Hinsicht hat der EuGH in seiner Rsp festgehalten, dass "die Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts erlassen wurden, in dem der freie Verkehr gewährleistet und Wettbewerbsbeschränkungen unterbunden sind" (vgl. das Urteil vom 19. Mai 2009 in der Rechtssache C-538/07, Assitur Srl/Camera di Commercio, Industria, Artigianato e Agricoltura di Milano, Slg 2009, I-04219, Randnr 25, mwN).

 

Die Materialien führen zu den Begriffen freier, lauterer bzw fairer Wettbewerb weiters aus, der freie Wettbewerb sei der nicht behinderte, dh zB keinen (Zugangs- oder Ausübungs-)Beschränkungen unterliegende Wettbewerb; der faire Wettbewerb betreffe das Verhältnis Auftraggeber-Bewerber/Bieter und der lautere Wettbewerb betreffe das Verhältnis zwischen den Bewerbern/Bietern. Ein unlauterer Wettbewerb sei dann gegeben, wenn ein Unternehmer zB durch Bestechung, Preisabsprachen mit bestimmten Mitkonkurrenten oder Ausnützen seiner marktbeherrschenden Position einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu erlangen suche.

 

Der Ausscheidungstatbestand des § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006 steht in einem systematischen Zusammenhang zu § 19 Abs 1 BVergG 2006. Während sich § 19 Abs 1 BVergG 2006 an den Auftraggeber richtet und diesen verpflichtet, Vergabeverfahren entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen, richtet der Ausscheidenstatbestand des § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006 die korrespondierende Pflicht zu einem diesen Grundsätzen entsprechenden Verhalten an die Unternehmer.

 

Dieser Ausscheidenstatbestand setzt einerseits voraus, dass eine Abrede von einem Bieter (§ 2 Z 13 BVergG 2006) getroffen wurde. Der Begriff der Abrede umfasst nicht nur ausdrückliche (und schlüssige) Vereinbarungen zwischen Unternehmern, sondern auch Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und va aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmern, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.

 

Abreden verstoßen gegen den Grundsatz des Wettbewerbs, wenn eine Abrede das Wettbewerbsverhalten von Unternehmen in einem konkreten Vergabeverfahren koordiniert und dadurch eine für den Auftraggeber nachteilige Beeinflussung des Wettbewerbsergebnisses beabsichtigt oder (tatsächlich oder möglicherweise) bewirkt wird. Abreden, die gegen den Grundsatz des Wettbewerbes (oder gegen die guten Sitten) verstoßen, sind per se für den Auftraggeber nachteilig, was weitere Voraussetzung des Ausscheidenstatbestandes des § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006 ist.

 

Zur Mehrfachbeteiligung am Vergabeverfahren:

 

Fallbezogen erblickte die bf Auftraggeberin in der mehrfachen Teilnahme der mitbeteiligten Partei durch die Legung eines eigenen Angebotes und weiters durch die Bildung einer Bietergemeinschaft und die Legung eines Angebotes durch diese Bietergemeinschaft einen Verstoß gegen den Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbs und somit die Erfüllung des Ausscheidungstatbestandes des § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006.

 

Was die mehrfache Legung von Angeboten betrifft, kann schon aus den Regelungen des BVergG 2006 über Abänderungsangebote (§ 2 Z 1) und Alternativangebote (§ 2 Z 2) im Gegensatz zu Angeboten (§ 2 Z 3) abgeleitet werden, dass die Legung zweier der Ausschreibung entsprechender Angebote, die sich nur im Preis unterscheiden (zweier Angebote iSd § 2 Z 3 BVergG 2006), nicht zulässig ist.

 

Was die Mehrfachbeteiligung am Vergabeverfahren im Allgemeinen anlangt, ist auf die einschlägige Rsp des EuGH auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge hinzuweisen (diese Rsp ist, wenn sie auch zur Richtlinie 92/50/EWG bzw außerhalb des Anwendungsbereiches der Richtlinie 2004/18/EG zu den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit ergangen ist, schon deshalb vorliegend im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG maßgeblich, weil nach dem zweiten Erwägungsgrund dieser Richtlinie "die Vergabe aller Aufträge in den Mitgliedstaaten für Rechnung der Stelle, die die Eigenschaft eines öffentlichen Auftraggebers innehat, an die Einhaltung der grundlegenden Vorschriften des Vertrags gebunden ist", wie der EuGH selbst im Urteil Serrantoni, Randnr 23, festhält).

 

In dieser Rsp hat der EuGH klargestellt, dass ein automatischer Ausschluss bzw ein absolutes Verbot einer Mehrfachbeteiligung im Vergabeverfahren dem Gemeinschafts(jetzt: Unions)recht widerspricht. So hat der EuGH im Tenor des Urteils vom 23. Dezember 2009 in der Rechtssache C-376/08, Serrantoni Srl und Consorzio stabile edili Scrl gegen Comune di Milano, Slg 2009, I-12169, festgehalten, dass das "Gemeinschaftsrecht … einer nationalen Regelung … entgegensteht, die in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags … den automatischen Ausschluss sowohl eines festen Konsortiums als auch seiner Mitgliedsunternehmen von der Teilnahme an diesem Verfahren und die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen gegen sie vorsieht, wenn diese Unternehmen im Rahmen derselben Ausschreibung konkurrierende Angebote zu dem des Konsortiums eingereicht haben, auch wenn das Angebot des Konsortiums nicht für Rechnung und im Interesse dieser Unternehmen abgegeben worden sein soll". Im Tenor des Urteils Assitur kommt der EuGH zum Ergebnis, das "Gemeinschaftsrecht steht einer nationalen Vorschrift entgegen, mit der in Verfolgung der legitimen Ziele der Gleichbehandlung der Bieter und der Transparenz im Rahmen der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge ein absolutes Verbot für Unternehmen, zwischen denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht oder die miteinander verbunden sind, aufgestellt wird, sich gleichzeitig in Wettbewerb zueinander an ein und demselben Ausschreibungsverfahren zu beteiligen, ohne dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, nachzuweisen, dass sich dieses Verhältnis nicht auf ihr jeweiliges Verhalten im Rahmen dieses Ausschreibungsverfahrens ausgewirkt hat".

 

Vielmehr besteht - so der EuGH weiter - im "Kontext eines einheitlichen Binnenmarkts mit echtem Wettbewerb … für das Gemeinschaftsrecht ein Interesse daran, dass die Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung sichergestellt wird".

 

Ein automatischer Ausschluss der Mehrfachbeteiligung (im dortigen Fall der automatische Ausschluss eines festen Konsortiums als auch seiner Mitgliedsunternehmen) am Vergabeverfahren kann - so der EuGH - trotz des "legitimen Ziels der Bekämpfung potenziell kollusiven Verhaltens zwischen dem fraglichen Konsortium und den ihm angehörenden Unternehmen nicht gerechtfertigt werden …" weil er "über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist" (Urteil Serrantoni, Randnr 45; zur potenziellen Kollusion auch Urteil Assitur, Randnr 22).

 

Vielmehr ist entscheidend "ob der jeweilige Inhalt der von den betreffenden Unternehmen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens abgegebenen Angebote durch das fragliche Abhängigkeitsverhältnis beeinflusst worden ist". Dies bedarf "einer Prüfung und tatsächlichen Würdigung, deren Vornahme Sache der Vergabestellen ist" (Urteil Assitur, Randnr 32). Entscheidend ist für den EuGH weiters, "dass es dem Konsortium oder den betroffenen Unternehmen ermöglicht würde, nachzuweisen, dass ihre Angebote völlig unabhängig voneinander formuliert worden sind und folglich eine Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter Bietern nicht besteht" (Urteil Serrantoni, Randnr 39, und Urteil Assitur, Randnr 30, jeweils mwN).

 

Dagegen berechtigt "die bloße Feststellung, dass zwischen den betroffenen Unternehmen durch Eigentum oder die Anzahl der Stimmrechte, die in der ordentlichen Gesellschafterversammlung ausgeübt werden können, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, die Vergabestelle noch nicht dazu, diese Unternehmen automatisch von dem Vergabeverfahren auszuschließen, ohne zu prüfen, ob sich ein solches Verhältnis auf das Verhalten der Unternehmen im Rahmen dieses Verfahrens ausgewirkt hat" (Urteil Assitur, Randnr 32).

 

Vor dem Hintergrund dieser Rsp des EuGH darf eine Mehrfachbeteiligung als Bieter und Subunternehmer nicht - wie von der bf Auftraggeberin angenommen - automatisch und in jedem Fall als eine wettbewerbswidrige Abrede beurteilt werden, führt doch eine solche Mehrfachbeteiligung als Bieter und Subunternehmer rein zahlenmäßig zu einer Verbesserung der Wettbewerbssituation, nämlich zu mehr Bietern, was auch im Interesse des Wettbewerbs gelegen sein könnte. So hat auch der VfGH in dem von der Auftraggeberin für ihre Auffassung ins Treffen geführten Erkenntnis vom 22. September 2003, B 1725/01 ua, eine Mehrfachbeteiligung von Bewerbern nicht grundsätzlich als Verstoß gegen den Grundsatz des Wettbewerbs angesehen, sondern in seiner Beurteilung auf den konkreten Fall abgestellt.

 

Vielmehr muss den betroffenen Bietern durch den öffentlichen Auftraggeber (bzw die vergebende Stelle) im Rahmen einer Aufklärung (vgl § 123 Abs 2 Z 1 iVm §§ 126 und 127 BVergG 2006) die Möglichkeit gegeben werden, nachzuweisen, ob der Inhalt der abgegebenen Angebote durch das fragliche Abhängigkeitsverhältnis beeinflusst worden ist bzw dass die Angebote völlig unabhängig voneinander formuliert worden sind und folglich eine Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter Bietern nicht besteht (vgl in diesem Zusammenhang auch § 129 Abs 2 BVergG 2006 und das hiezu ergangene Erkenntnis vom 21. März 2011, 2008/04/0083).

 

Ausgehend vom Obgesagten ist die von der belangten Behörde fallbezogen vorgenommene Beurteilung nicht als rechtswidrig zu erkennen:

 

Ein (iSd EuGH-Rsp) absolutes Verbot einer Mehrfachbeteiligung enthält die vorliegende (im Übrigen bestandsfeste) Ausschreibung nicht. Nach der Ausschreibung ist die Bildung von Bieter- bzw Arbeitsgemeinschaften zulässig, ohne dass ein Verbot der Beteiligung in mehreren Bietergemeinschaften festgelegt worden wäre (vgl Pkt 2.10 in Teil A "1. Allgemeine Ausschreibungsfestlegungen"). Es trifft allerdings auch nicht zu - wie von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid weiters angeführt - dass die Ausschreibung eine derartige Mehrfachbeteiligung ausdrücklich zugelassen hätte.

 

Jedoch hat die mitbeteiligte Auftraggeberin das Angebot der Bf alleine mit der Begründung ausgeschieden, dass diese sich mehrfach am Vergabeverfahren beteiligt habe. Wie oben dargelegt, kann dies allein einen Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren nicht rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Inhalt der abgegebenen Angebote durch das fragliche Abhängigkeitsverhältnis beeinflusst worden ist bzw dass die Angebote völlig unabhängig voneinander formuliert worden sind.

 

Zu einem solchen Nachweis müssen die Vergabestellen, im vorliegenden Fall also die mitbeteiligte Auftraggeberin, den betroffenen Bietern die Möglichkeit geben.

 

Dies hat die mitbeteiligte Auftraggeberin im Beschwerdefall nicht getan. Sie hat daher zu Unrecht angenommen, dass bereits durch die Mehrfachbeteiligung der Bf am Vergabeverfahren an sich bereits der Ausscheidenstatbestand des § 129 Abs 1 Z 8 BVergG 2006 verwirklicht worden sei, was vor dem Hintergrund der oben angeführten Rsp des EuGH überschießend war.