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25.02.2014 Wirtschaftsrecht

VwGH: Unerbetene Nachrichten – Tatort iSd § 107 Abs 6 TKG 2003

Es kommt nicht auf den Standort des Servers an, auf dem die E-Mail zum Abruf bereit liegt; auch wenn die unerbetene Nachricht zunächst dort einlangt und dort gespeichert wird, entfaltet sie ihre verpönte Wirkung im Ergebnis am Endgerät


Schlagworte: Telekommunikationsrecht, unerbetene Nachrichten, Tatort, Server
Gesetze:

§ 107 TKG, § 109 TKG

GZ 2012/03/0052 [1], 19.12.2013

 

Die Beschwerde macht im Wesentlichen Folgendes geltend:

 

Der für die Tatortfiktion des § 107 Abs 6 TKG 2003 maßgebende Begriff "Anschluss" sei im TKG 2003 nicht definiert. § 3 Z 20 TKG 2003 definiere den "Teilnehmeranschluss", Z 13 den "Netzabschlusspunkt". Es müsse sich dabei jeweils um eine einzige (bewegliche oder unbewegliche) Einrichtung handeln, an der ein direktes Erreichen des Teilnehmers möglich sei. Bei email könne dies nur das elektronische Postfach des Teilnehmers sein, weil die unerbetene Nachricht lediglich dort einlange. Dort sei der Netzabschlusspunkt bzw die bestimmte Netzadresse, die den Teilnehmeranschluss ausmache. Diese liege in den USA, weshalb es an einem inländischen Tatort und damit an einer Zuständigkeit der Behörde fehle.

 

Die Auffassung der belBeh würde dazu führen, dass praktisch jeder Abruf einer email in Österreich erfasst wäre, und zufällige, vom Absender nicht vorhersehbare und beeinflussbare Ergebnisse bewirken, je nachdem wo der Abruf der email erfolge.

 

Vielmehr sei hinsichtlich des Tatorts auf den Standort des Servers abzustellen, auf dem die E-Mail zum Abruf bereit liege. Da Schutzzweck des Spam-Verbots die Privatsphäre sei, die - abhängig von den unterschiedlichen Übermittlungsformen - in unterschiedlicher Intensität beeinträchtigt würde, müsse auch beachtet werden, dass zwar bei Annahme eines unerbetenen Anrufs die Privatsphäre intensiv beeinträchtigt werde, was aber nicht für Werbung per Briefpost gelte, die leicht "entsorgt" werden könne. Ähnliches gelte auch für E-Mails, zumal alle Mailprogramme die Möglichkeit böten, eine E-Mail nicht abzurufen, sondern nach Lesen der gezeigten Absende- und Empfangsadresse und des Betreffs gleich zu löschen; damit werde die Privatsphäre des Empfängers vollkommen unbeeinträchtigt gelassen.

 

VwGH: Seit der Novelle BGBl I Nr 133/2005 erfasst die "Tatortfiktion" nach § 107 Abs 6 TKG 2003 alle in den Absätzen 1, 2 und 5 inkriminierten Fälle der Übermittlung unerbetener Nachrichten über elektronische Kommunikationsnetze in gleicher Weise. In all diesen Fällen wird dabei an den "Ort, an dem die Nachricht den Anschluss des Teilnehmers erreicht", angeknüpft.

 

Vor dem Hintergrund der Richtlinie, die dem Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation einen erheblichen Stellenwert beimisst und den Mitgliedstaaten aufträgt, wirksame und effektive Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die den nach der Richtlinie getroffenen innerstaatlichen Maßnahmen zuwiderhandeln (vgl die Erwägungsgründe 43 und 47), ist augenscheinlicher Zweck der Regelung des § 107 Abs 6 TKG 2003 die Erleichterung der Rechtsverfolgung in Fällen, in denen die unerbetene Nachricht ihren Ausgang im Ausland genommen hat, die verpönte Wirkung (Verletzung der Privatsphäre, die zudem nicht nur eine Belastung bzw einen Kostenaufwand für den Empfänger bedeuten, sondern auch Schwierigkeiten für die Kommunikationsnetze bzw die Endgeräte der Empfänger verursachen kann, vgl Erwägungsgrund 40) aber im Inland eintritt.

 

Die Regelung ist insofern Ausfluss des "Schutzprinzips" (vgl VwGH vom 26. März 2008, 2007/03/0221): Die Strafbarkeit des im Ausland handelnden Täters knüpft daran an, dass die verpönte Wirkung im Inland entfaltet wird.

 

Die Regelung des § 107 Abs 6 TKG 2003 bestimmt für alle in den Absätzen 1, 2 und 5 normierten Fälle den Ort als maßgebend, an dem die Nachricht den Anschluss des Teilnehmers erreicht; das die Strafbarkeit und die örtliche Zuständigkeit bestimmende Merkmal ist also das gleiche, unabhängig davon, ob die unerbetene Nachricht den Empfänger als "Anruf" (Abs 1) telefonisch über das Festnetz oder über ein Mobiltelefon erreicht, oder als "elektronische Post" (Abs 2) mittels SMS oder E-Mail.

 

Hält man sich weiter den Zweck der Regelung (Schutz vor Verletzung der Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten) vor Augen, so kann es, anders als die Beschwerde meint, auf den Standort des Servers nicht ankommen:

 

Auch wenn die unerbetene Nachricht zunächst dort einlangt und dort gespeichert wird, entfaltet sie ihre verpönte Wirkung im Ergebnis am Endgerät. Dieser "Ort" ist es, an dem die Nachricht den Empfänger erreicht, dort verursacht sie im Wesentlichen die in Erwägungsgrund 40 dargelegten Unannehmlichkeiten für den Empfänger.

 

Entgegen der Auffassung der Beschwerde kann auch nicht gesagt werden, dass die regelmäßig von Mailprogrammen gebotene Möglichkeit, eine unerwünschte E-Mail "gleich" - nach Lesen der Absende- und Empfangsadresse und des Betreffs, ohne Aufruf ihres Inhalts - zu löschen, eine Verletzung der Privatsphäre des Empfängers ausschließen lasse; auch in diesen Fällen entsteht für den Empfänger der unerbetenen Nachricht zumindest ein Zeitaufwand für das "Entsorgen" der E-Mail (vgl dazu auch Erwägungsgrund 44, wonach ein solches Verfahren "zusätzlich" zu den in der Richtlinie festgelegten allgemeinen Verpflichtungen von Nutzen sein kann, die aus der Richtlinie erfließenden Verpflichtungen also nicht etwa aufhebt).

 

Vor dem dargestellten Hintergrund ist es zutreffend, dass die belBeh zur Beurteilung des Tatorts auf den Ort abgestellt hat, an dem die unerbetene Nachricht vom Empfänger abgerufen wurde.

 

Die gegen die Annahme eines inländischen Tatorts gerichteten Beschwerdeausführungen gehen daher fehl.