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01.03.2016 Wirtschaftsrecht

VwGH: Reduzierte Gebührensätze iZm BVergG 2006 – zur Frage, ob (bzw allenfalls unter welchen Voraussetzungen) ein nach der Bezeichnung der bekämpften Entscheidung gem § 322 Abs 1 Z 1 BVergG 2006 auf die Anfechtung der gesondert anfechtbaren Entscheidung "Aufforderung zur Angebotsabgabe" (iSd § 2 Z 16 lit a sublit dd BVergG 2006) gerichteter Nachprüfungsantrag als Antrag auf Nachprüfung der Ausschreibungsunterlagen iSd § 3 Abs 1 BVwG-PauschGebV Vergabe angesehen werden kann

Da die Aufforderung zur Angebotsabgabe und die Ausschreibungsunterlagen eine Einheit darstellen, ist für die Beurteilung, ob ein Nachprüfungsantrag dem reduzierten Gebührensatz nach § 3 BVwG-PauschGebV Vergabe unterliegt, fallbezogen maßgeblich, ob der erkennbare Wille des Antragstellers darauf gerichtet ist, die Festlegung des Auftraggebers, welche Leistung er zu welchen Bedingungen erhalten möchte, somit die Ausschreibung (gem der Begriffsbestimmung des § 2 Z 10 BVergG 2006) zu bekämpfen; im vorliegenden Fall haben die revisionswerbenden Parteien zutreffend darauf hingewiesen, dass im Nachprüfungsantrag der mitbeteiligten Partei Rechtswidrigkeiten im Leistungsverzeichnis bzw in den Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen geltend gemacht worden sind; der Umstand, dass als nichtig zu erklärende, gesondert anfechtbare Entscheidung die "Aufforderung zur Angebotsabgabe" genannt wurde, vermag nichts daran zu ändern, dass der Antrag seinem Inhalt und seiner Zielsetzung nach gegen die Ausschreibung gerichtet war.


Schlagworte: Vergaberecht, reduzierte Gebührensätze, Nachprüfungsantrag, Aufforderung zur Angebotsabgabe
Gesetze:

 

§ 3 BvwG-PauschGebV, § 320 ff BVergG 2006, § 322 BVergG 2006, § 325 BVergG 2006,§ 103 BVergG 2006

 

GZ Ra 2014/04/0045 [1], 16.12.2015

 

VwGH: Vorauszuschicken ist, dass die von der mitbeteiligten Partei entrichteten Pauschalgebühren iHv EUR 18.468,- dem Sechsfachen (siehe § 2 Abs 2 BVwG-PauschGebV Vergabe) des Gebührensatzes betreffend Lieferaufträge im Oberschwellenbereich (gem § 1 BVwG-PauschGebV Vergabe: EUR 2.052,-) plus dem Sechsfachen des entsprechenden Gebührensatzes für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (EUR 1.026,-) entsprechen.

 

Im vorliegenden Fall ist die Frage zu klären, ob - bzw allenfalls unter welchen Voraussetzungen - ein nach der Bezeichnung der bekämpften Entscheidung gem § 322 Abs 1 Z 1 BVergG 2006 auf die Anfechtung der gesondert anfechtbaren Entscheidung "Aufforderung zur Angebotsabgabe" (iSd § 2 Z 16 lit a sublit dd BVergG 2006) gerichteter Nachprüfungsantrag als Antrag auf Nachprüfung der Ausschreibungsunterlagen iSd § 3 Abs 1 BVwG-PauschGebV Vergabe angesehen werden kann.

 

Gem § 103 Abs 9 BVergG 2006 sind der Aufforderung zur Angebotsabgabe die Ausschreibungsunterlagen beizufügen (sofern sie nicht im Internet bereitgestellt werden). Der VwGH hat zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe und den Ausschreibungsunterlagen um eine Einheit handle und die Ausschreibungsunterlagen daher gemeinsam mit der gesondert anfechtbaren Aufforderung zur Angebotsabgabe angefochten werden können (siehe das Erkenntnis vom 22. April 2009, 2007/04/0065; dort bezogen auf ein nicht offenes Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung, für das aber im Hinblick auf die Regelung in § 103 BVergG 2006 insoweit nicht anderes gilt als für ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung).

 

Wie die revisionswerbenden Parteien zutreffend festhalten, gibt es zur hier zu klärenden Frage hinsichtlich § 3 Abs 1 BVwG-PauschGebV Vergabe noch keine Rsp des VwGH. Allerdings stellt sich diese Frage nicht nur iZm den Gebührensätzen für die zu entrichtenden Pauschalgebühren, sondern auch iZm der maßgeblichen Nachprüfungsfrist nach § 321 BVergG 2006, dessen Abs 4 für die Anfechtung der Ausschreibung eine - von den allgemeinen Regelungen des § 321 Abs 1 und 2 BVergG 2006 für die Anfechtung sonstiger gesondert anfechtbarer Entscheidungen - abweichende Anfechtungsfrist vorsieht.

 

Der VwGH hat sich im Erkenntnis vom 22. Juni 2011, 2007/04/0037, mit der Frist befasst, die für einen Antrag auf Nichtigerklärung der - gemeinsam mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe übermittelten - Ausschreibungsunterlage maßgeblich ist. Zur Frage, gegen welche Entscheidung der Nachprüfungsantrag gerichtet war, stellte er fest, dass der dort zugrunde liegende Antrag nicht nur förmlich und explizit gegen die Ausschreibung gerichtet war, sondern sich auch inhaltlich gegen die von der Auftraggeberin festgelegten Bedingungen, zu denen sie die Leistung erhalten wollte, richtete. Ausgehend davon wäre für den Nachprüfungsantrag die besondere - für die Bekämpfung der Ausschreibungsunterlagen vorgesehene - Frist maßgebend gewesen. Im Erkenntnis vom 21. Jänner 2014, 2011/04/0003, erachtete der VwGH - anders als im zuvor zitierten Fall - die reguläre Frist des § 321 Abs 1 (damals noch: Z 7) BVergG 2006 für maßgeblich, weil "die hier gegenständlichen Nachprüfungsanträge auch nach ihrem Inhalt und nach ihrer Zielsetzung nicht gegen die Ausschreibungsunterlagen gerichtet" waren, sondern mit der Anfechtung der Aufforderung zur Angebotsabgabe der Sache nach die Wahl der Verfahrensart bekämpft wurde.

 

Diese Überlegungen lassen sich auf die hier vorliegende Konstellation übertragen. Dass in § 321 Abs 4 BVergG 2006 seit der BVergG Novelle 2012 nicht mehr von den "Ausschreibungs- oder Wettbewerbsunterlagen", sondern von der "Ausschreibung" die Rede ist, steht dem nicht entgegen, zumal durch diese Umformulierung nach den Erläuterungen lediglich in einer Mehrzahl von Bestimmungen die Bezeichnungen "Ausschreibungs- und Wettbewerbsunterlagen" bzw "Bekanntmachungen" einheitlich durch den Überbegriff "Ausschreibung" gem der Definition des § 2 Z 10 BVergG 2006 ersetzt werden sollten. Die Erläuterungen zur BVwG-PauschGebV Vergabe begründen die Reduktion des Gebührensatzes damit, dass bei den angeführten Nachprüfungsanträgen in einem frühen Stadium ohne allzu großen Aufwand eine gesetzeskonforme Ausgestaltung des Vergabeverfahrens ermöglicht werden könne. Auch der VfGH erachtet in seinem Erkenntnis vom 28. November 2014, E 577/2014-10, die reduzierten Gebührensätze des § 3 BVwG-PauschGebV Vergabe schon deswegen als sachlich gerechtfertigt, weil damit Unklarheiten in den Grundlagen eines Vergabeverfahrens in einer frühen Phase geklärt werden können. Diese Erwägungen sind auch für den Fall maßgeblich, in dem die Ausschreibungsunterlagen gemeinsam mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe zur Verfügung gestellt werden und ein Nachprüfungsantrag - wenn auch nach seiner Bezeichnung gegen die Aufforderung zur Angebotsabgabe gerichtet - die behauptete Rechtswidrigkeit der Ausschreibung zum Inhalt hat.

 

Da die Aufforderung zur Angebotsabgabe und die Ausschreibungsunterlagen eine Einheit darstellen, ist für die Beurteilung, ob ein Nachprüfungsantrag dem reduzierten Gebührensatz nach § 3 BVwG-PauschGebV Vergabe unterliegt, fallbezogen maßgeblich, ob der erkennbare Wille des Antragstellers darauf gerichtet ist, die Festlegung des Auftraggebers, welche Leistung er zu welchen Bedingungen erhalten möchte, somit die Ausschreibung (gem der Begriffsbestimmung des § 2 Z 10 BVergG 2006) zu bekämpfen. Im vorliegenden Fall haben die revisionswerbenden Parteien zutreffend darauf hingewiesen, dass im Nachprüfungsantrag der mitbeteiligten Partei Rechtswidrigkeiten im Leistungsverzeichnis bzw in den Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen geltend gemacht worden sind. Der Umstand, dass als nichtig zu erklärende, gesondert anfechtbare Entscheidung die "Aufforderung zur Angebotsabgabe" genannt wurde, vermag nichts daran zu ändern, dass der Antrag seinem Inhalt und seiner Zielsetzung nach gegen die Ausschreibung gerichtet war.

 

Ausgehend davon sind in einem Fall wie dem vorliegenden die reduzierten Gebührensätze des § 3 BVwG-PauschGebV Vergabe maßgeblich.

 

Soweit die revisionswerbenden Parteien die Nichtbeachtung des § 318 Abs 1 Z 5 BVergG 2006 (Sonderbestimmung für sog Folgeanträge) rügen, ist Folgendes festzuhalten:

 

Das BVwG hat festgestellt, dass sämtliche Ausschreibungsunterlagen der ersten Aufforderung zur Angebotslegung (vom 13. Juni 2014) von den revisionswerbenden Parteien zurückgenommen worden sind, "nachdem die Antragstellerin (die mitbeteiligte Partei) einen Nachprüfungsantrag gestellt" hatte. Zwar lässt sich den diesbezüglichen Feststellungen nicht entnehmen, ob der erste Nachprüfungsantrag seinem Inhalt und seiner Zielsetzung nach ebenfalls gegen die Ausschreibung gerichtet war. Dies vorausgesetzt (was im fortzusetzenden Verfahren zu klären ist), wären aber auch die Reduktionsregelungen des § 318 Abs 1 Z 5 BVergG 2006 bzw des § 3 Abs 2 BVwG-PauschGebV Vergabe zu beachten.