OGH: Hausdurchsuchung gem § 12 WettbG und freiwillige Nachschau nach § 11a WettbG
Besondere Belehrungspflichten für die Bundeswettbewerbsbehörde bestehen nach den §§ 11a, 12 WettbG nicht; ein „dringender Tatverdacht“ ist weder nach dem KartG noch nach der StPO Voraussetzung für eine Hausdurchsuchung; es ist an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Auskunftsverlangen; die Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG umfasst - im Gegensatz zur Hausdurchsuchung im Strafverfahren - nicht auch die Beschlagnahme
§ 12 WettbG, § 11a WettbG
GZ 16 Ok 7/11, 20.12.2011
OGH: Dass im Rahmen von Hausdurchsuchungen bei anderen Unternehmen auch Unterlagen sichergestellt wurden, die die Achtantragsgegnerin betreffen, ist nicht unzulässig, dient die Hausdurchsuchung bei einem Unternehmen doch allgemein zur Erlangung einschlägiger Beweismittel und nicht nur solcher gegen das jeweilige Unternehmen.
Die Siebentantragsgegnerin hat einer freiwilligen Nachschau zugestimmt. Besondere Belehrungspflichten für die Bundeswettbewerbsbehörde bestehen nach den §§ 11a, 12 WettbG nicht. Inwiefern die Bundeswettbewerbsbehörde von der Vorgangsweise nach § 11a WettbG abgewichen wäre, sodass ihr Vorgehen als Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG zu qualifizieren gewesen wäre, ist dem Rekurs der Siebentantragsgegnerin nicht zu entnehmen. Soweit sich diese auf Umstände während der Durchführung der Nachschau beruft, sind diese Ausführungen nicht geeignet, dass Fehlen einer Zustimmung iSd § 11a WettbG darzutun. Die Motive für eine derartige Zustimmung haben außer Betracht zu bleiben.
Gestattet der Betroffene die Maßnahme freiwillig, so liegt kein Eingriff vor. Diesfalls gelten die Einschränkungen des KartG nicht. In der Literatur wird betont, dass eine vorsichtige Beurteilung des Vorliegens der Freiwilligkeit geboten ist. Selten werde Freiwilligkeit zu bejahen sein, wenn Sicherheitsbeamte vor der Tür stehen und mit einer Durchsuchungsanordnung „drohen, wenn sie nicht gleich eingelassen werden“. Dies war hier nicht der Fall. Vielmehr hat die Siebentantragsgegnerin nach der vollen Beweis bildenden Niederschrift vom 3. und 4. 8. 2011 ausdrücklich einer freiwilligen Nachschau zugestimmt.
Durch die an die Stelle der Hausdurchsuchung tretende freiwillige Nachschau nach § 11a WettbG wurde der Hausdurchsuchungsbefehl konsumiert. Eine weitere Nachschau gegen den Willen der Siebentantragsgegnerin könnte nicht mehr auf den seinerzeitigen Hausdurchsuchungsbefehl gestützt werden. Insoweit fehlt es daher an einem schutzwürdigen Interesse an der Überprüfung des seinerzeitigen Hausdurchsuchungsbefehls.
Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens sind ausschließlich die angefochtenen Hausdurchsuchungsbefehle. Die konkrete Durchführung der Hausdurchsuchung kann im Rechtsmittel gegen den Hausdurchsuchungsbefehl nicht überprüft werden, weil im Rahmen eines Rekurses gegen die Bewilligung einer Hausdurchsuchung nur das Vorliegen der Voraussetzungen zum Bewilligungszeitpunkt zu prüfen ist.
Aus den angefochtenen Hausdurchsuchungsbefehlen ergibt sich klar und überprüfbar, aufgrund welcher Beweismittel und aus welchen Gründen das Erstgericht seine Entscheidung fällte, insbesondere auch, aufgrund welcher Umstände das Erstgericht einen entsprechenden Verdacht bejahte.
Nichtigkeit läge nur bei völligem Fehlen einer Begründung vor.
Nach § 12 Abs 1 WettbG hat das Kartellgericht, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde bei Vorliegen eines begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen die §§ 1, 5 oder 17 KartG 2005 oder Art 81 oder 82 EG (nunmehr Art 101 und 102 AEUV) eine Hausdurchsuchung anzuordnen. Diese Hausdurchsuchung ist nach § 12 Abs 3 WettbG vom Senatsvorsitzenden im Verfahren außer Streitsachen mit Beschluss anzuordnen.
Die Bestimmung des § 12 WettbG ist weitgehend dem Europäischen Recht, insbesondere Art 20 der Verordnung Nr 1/2003 über die Nachprüfungsrechte der Europäischen Kommission, nachgebildet. Danach muss die konkrete Nachprüfungshandlung zur Erfüllung der durch die Verordnung 1/2003 übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Selbst wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen.
Begründet ist ein Verdacht dann, wenn er sich rational nachvollziehbar dartun lässt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen die in § 12 Abs 1 WettbG genannten Wettbewerbsbestimmungen vorliegt. Ein „dringender Tatverdacht“ ist weder nach dem KartG noch nach der StPO Voraussetzung für eine Hausdurchsuchung. Im Strafverfahren wurde selbst eine anonyme Anzeige als ausreichend erachtet.
Hausdurchsuchungen können sich nicht nur gegen die eines kartellrechtlichen Verstoßes verdächtigen Unternehmen, sondern auch gegen Dritte richten, bei denen geschäftliche Unterlagen iSd § 12 WettbG aufgefunden werden könnten.
Bei einer Hausdurchsuchung darf auch nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind.
Die Erforderlichkeit ist anhand des verfolgten und dem Adressaten bekannt gegebenen Zwecks zu beurteilen. Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem der Verfahrensgegenstand beurteilt werden muss.
Innerhalb der der Bundeswettbewerbsbehörde zustehenden Ermittlungsbefugnisse trifft das WettbG keine hierarchische Ordnung. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens noch dessen Ankündigung Voraussetzung für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Auskunftsverlangen und Nachprüfung sind zwei voneinander unabhängige Verfahren.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bilden. Es ist deshalb an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Auskunftsverlangen. Im Einzelfall kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Einschränkung der Wahlfreiheit ergeben. Zweckmäßig ist eine Nachprüfung insbesondere dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr besteht.
Wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass ein Kartell trotz ausdrücklichen Verbots fortgesetzt wird, ist regelmäßig die Besorgnis berechtigt, die Unternehmen versuchten Beweismittel zu unterdrücken, sollten sie von den Erhebungen Kenntnis erlangen. Aus diesem Grund kann in derartigen Fällen in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung einer Hausdurchsuchung unverhältnismäßig ist.
§ 12 Abs 3 WettbG enthält kein Gebot einer Befristung des Hausdurchsuchungsbefehls. § 12 Abs 4 WettbG verweist auf §§ 142, 145 Abs 1 StPO aF. Während § 105 StPO in der geltenden Fassung vorsieht, dass das Gericht bei der Bewilligung von Zwangsmitteln eine Frist zu setzen hat, nach deren Ablauf die Bewilligung außer Kraft tritt, kannte § 140 StPO aF dieses Erfordernis nicht. Der Zweck der Befristung einer gerichtlichen Bewilligung liegt in der Verpflichtung zur periodischen Prüfung, ob die Voraussetzungen ihrer Erteilung noch unverändert vorliegen.
Zweck einer Fristsetzung ist es danach, die Durchsetzung von Zwangsmitteln zu verhindern, wenn in der Zwischenzeit deren Voraussetzungen weggefallen sind.
Zwischen der Erlassung der Hausdurchsuchungsbefehle und deren tatsächlichem Vollzug lag ein Zeitraum von zwei Monaten und drei Wochen. Dabei ist allerdings einerseits zu berücksichtigen, dass dieser Zeitraum in die allgemeine Urlaubszeit fiel. Auch ist zu berücksichtigen, dass die gleichzeitige Hausdurchsuchung an bis zu acht Standorten naturgemäß einer gewissen Vorbereitungszeit und Abstimmung mit der Wirtschaftspolizei, den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt bedurfte.
Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die Gründe für die Verzögerung dem Kartellgericht bereits Mitte Juli 2011 mitgeteilt und die Hausdurchsuchung für Anfang August 2011 angekündigt. Dem Kartellgericht wurde damit eine ausreichende Prüfung ermöglicht, ob die Hausdurchsuchung nach wie vor erforderlich ist. Eine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Antragsgegnerinnen war damit nicht verbunden.
Die Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG umfasst - im Gegensatz zur Hausdurchsuchung im Strafverfahren - nicht auch die Beschlagnahme. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollen keine Beschlagnahmen stattfinden, sondern Kopien bzw Ausdrucke der relevanten Unterlagen angefertigt werden, um den Eingriff in die Sphäre der Unternehmen möglichst gering zu halten.
Die Rekursausführungen zur „Beschlagnahme“ wenden sich konkret jedoch nur gegen das Kopieren von Datenträgern. Insoweit liegt jedoch entgegen den Rekursausführungen gerade keine Beschlagnahme (vgl zum Begriff § 143 StPO aF, §§ 109, 115 StPO nF) vor, weil die Daten nur kopiert wurden. Mit dem Kopieren der Datenträger hielt die Bundeswettbewerbsbehörde jene Vorgangsweise ein, die nunmehr in § 111 Abs 2 StPO ausdrücklich angeordnet ist. Danach hat jedermann, wenn auf Datenträgern gespeicherte Informationen sichergestellt werden sollen, Zugang zu diesen Informationen zu gewähren und auf Verlangen einen elektronischen Datenträger in einem allgemein gebräuchlichen Dateiformat auszufolgen oder herstellen zu lassen. Überdies hat er die Herstellung einer Sicherungskopie der auf den Datenträgern gespeicherten Informationen zu dulden.
Wurden aber in Wahrheit gar keine Datenträger oder sonstigen Unterlagen im Rechtssinne „beschlagnahmt“, so kommt es auf die Zulässigkeit der diesbezüglichen Ermächtigung im Hausdurchsuchungsbefehl gar nicht an.