OGH: Sexuelle Belästigung gem § 6 GlBG – zur Frage, ob dem Arbeitgeber durch mit Arbeitgeberfunktionen betrauten Personen begangene sexuelle Belästigungen (iSd Abs 1 Z 1) zuzurechnen sind
Maßgeblich ist, ob und inwieweit diese Personen zur selbständigen Ausübung von Unternehmer- und insbesondere Arbeitgeberfunktionen berechtigt sind und die sexuelle Belästigung damit in einem inneren Zusammenhang steht
§ 6 GlBG, § 12 GlBG, §§ 1295 ff ABGB, § 1313a ABGB, § 26 Z 4 AngG
GZ 9 ObA 118/11k, 21.12.2011
Der Vorgesetzte der Klägerin, T***** C*****, versandte an acht männliche Mitarbeiter der Beklagten ein E-Mail mit dem Begleittext „Wir haben eine neue Servicetechnikerin, kann sein, dass das Geschäft mit den Wartungsverträgen jetzt steil bergauf geht ...“ und einer beigefügten Videodatei, auf der eine Servicetechnikerin mit kurzem Rock und Strapsen bekleidet zu sehen ist, die unter dem Schreibtisch eines Arbeitskollegen hantiert und dabei Gesäß und Geschlechtsteile entblößt.
OGH: Im vorliegenden Fall ist die Beklagte eine Personengesellschaft (KG). Schon aufgrund ihrer Rechtsfähigkeit (§ 105 iVm § 161 Abs 2 UGB) kann entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zweifelhaft sein, dass ihr auch die Funktion des Arbeitgebers der Klägerin zukommt.
Bei der KG sind nach dem Prinzip der Selbstorganschaft die unbeschränkt haftenden Gesellschafter für die Geschäftsführung verantwortlich (§§ 164, 114 ff iVm § 161 Abs 2 UGB) und zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt (§§ 170, 125 ff iVm § 161 Abs 2 UGB). Unstrittig ist, dass der Belästiger kein Komplementär der Gesellschaft ist und daher keine einem vertretungsbefugten Organ gleichzuhaltende Stellung innehat. Nach dem Vorbringen der Klägerin führt er aber de facto die Geschäfte der Beklagten und ist auch für Personalagenden zuständig, sodass zu prüfen ist, ob er ungeachtet des Fehlens einer Organstellung der Beklagten iSd § 6 Abs 1 Z 1 GlBG zuzurechnen ist.
Der OGH hat in der Entscheidung 9 ObA 18/08x bereits ausführlich zur Zurechnung eines Vertretungsorgans an eine juristische Person Stellung bezogen und diese zusammengefasst mit folgender Begründung bejaht:
Beim Verbot der sexuellen Belästigung eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin durch den Arbeitgeber handelt es sich um eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht und um die ausdrückliche Sanktionierung ihrer Verletzung (§ 6 Abs 1 iVm § 12 Abs 11 GlBG). Nach § 12 Abs 11 GlBG wird der Arbeitgeber dann schadenersatzpflichtig, wenn er den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin entweder selbst belästigt (§ 6 Abs 1 Z 1 GlBG) oder einer allfälligen Belästigung durch Dritte nicht auf angemessene Weise abhilft (§ 6 Abs 1 Z 2 GlBG). In beiden Fällen verletzt der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht durch eigenes Verhalten. Dass eine juristische Person als Arbeitgeber ihre Fürsorgepflicht nicht selbst wahrnehmen kann, heißt nicht, dass sie keine Fürsorgepflicht trifft. Trifft sie aber eine diesbezügliche Pflicht, dann kann sie diese auch verletzen. Dabei sind die von ihr mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betrauten natürlichen Personen als Erfüllungsgehilfen anzusehen. Ein Vertretungsorgan (dort: Geschäftsführer einer GmbH) muss jedoch nicht besonders mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betraut werden. Der Geschäftsführer handelt damit als Belästiger nicht nur deliktisch, sondern verletzt durch sein Tun auch die vertragliche Fürsorgepflicht der von ihm vertretenen GmbH, also des Arbeitgebers.
Zur Zurechnung sexueller Belästigungen von Gehilfen an juristische Personen:
Dass auch eine juristische Person als Arbeitgeber vertragliche Fürsorgepflichten gegenüber ihren Arbeitnehmern treffen und diese von ihr auch verletzt werden können, wurde bereits zu 9 ObA 18/08x dargelegt. Nimmt sie diese nicht (nur) durch ihre Organe wahr, sondern überträgt sie die Erfüllung dieser Pflichten - gleich, ob ausdrücklich oder stillschweigend - auf Gehilfen, so sind jene Handlungen von Gehilfen, die in einem inneren Zusammenhang mit der übertragenen Fürsorgepflicht stehen, dem Arbeitgeber gem § 1313a ABGB zuzurechnen. Das trifft zweifellos auf die Verletzung der Pflicht, bei sexueller Belästigung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin Abhilfe zu schaffen (Z 2), zu.
Die Frage, inwieweit dem Arbeitgeber auch die sexuelle Belästigung selbst (Z 1) zurechenbar ist, wenn sie von einer vom Arbeitgeber oder von Vertretungsorganen einer juristischen Person verschiedenen Person vorgenommen wird, wurde in der Entscheidung 9 ObA 18/08x offen gelassen. Dazu kann allerdings die Rsp zu § 26 Z 4 AngG fruchtbar gemacht werden. Nach dieser Bestimmung ist ein Angestellter ua dann zum vorzeitigen Austritt berechtigt, wenn sich der Dienstgeber Tätlichkeiten, Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Angestellten oder dessen Angehörige zuschulden kommen lässt oder es verweigert, den Angestellten gegen solche Handlungen eines Mitbediensteten oder eines Angehörigen des Dienstgebers zu schützen. Auch hier wird sohin zwischen einer Tätlichkeit, Sittlichkeits- oder Ehrverletzung durch den Dienstgeber selbst und der Verletzung seiner Schutzpflichten bei solchen Handlungen unterschieden. Als Dienstgeber iS dieser Bestimmung gilt grundsätzlich nur der Geschäftsinhaber (bei juristischen Personen die vertretungsbefugten Organe), also derjenige, der die Verantwortung für das gesamte Unternehmen trägt und in der Lage ist, Abhilfe zu schaffen und weitere Ehrverletzungen in Zukunft zu verhindern. Ihm gleichgestellt sind aber jene Personen, die Kraft ihrer Befugnisse und ihrer Stellung gegenüber den anderen Dienstnehmern als zur selbständigen Geschäftsführung berufene Stellvertreter anzusehen sind, also nur solche Personen, die zur selbständigen Ausübung von Unternehmer- und insbesondere Arbeitgeberfunktionen berechtigt sind. Es besteht kein Anlass, den Kreis der der Gesellschaft zuzurechnenden Personen im Rahmen des § 6 Abs 1 Z 1 GlBG enger zu ziehen.
Anders als die Beklagte meint, wird mit diesem Verständnis § 6 Abs 1 Z 2 und 3 GlBG auch nicht beinahe jeglicher Anwendungsbereich entzogen. Denn als Dritte iSd § 6 Abs 1 Z 2 und 3 leg cit kommen keineswegs nur mit der selbständigen Ausübung von Arbeitgeberfunktionen betraute Personen einer Gesellschaft, sondern generell vom Arbeitgeber und dem/der Belästigten verschiedene Personen wie Vorgesetzte auf anderen Organisationsstufen, Arbeitskollegen, Geschäftspartner oder Kunden des Arbeitgebers in Betracht.
Jedenfalls im vorliegenden Fall scheitert eine Zurechnung der sexuellen Belästigung an die Beklagte auch nicht am Fehlen eines inneren Zusammenhangs zwischen den von T***** C***** zu erbringenden Tätigkeiten und der inkriminierten Handlung, weil das E-Mail zeitnah mit dem Abschluss des Dienstvertrags acht Mitarbeitern eine „neue Servicetechnikerin“ ankündigte.
Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass die Haftung der Beklagten nicht bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil T***** C***** keine Organstellung und keine gesetzliche Vertretungsbefugnis zukommt. Maßgeblich ist vielmehr, ob und inwieweit dieser im dargelegten Sinn zur selbständigen Ausübung von Unternehmer- und insbesondere Arbeitgeberfunktionen berechtigt war und die sexuelle Belästigung damit in einem inneren Zusammenhang stand.
Auch seiner Beurteilung, dass die Versendung des E-Mails eine sexuelle Belästigung darstellt, ist entgegen der Ansicht der Beklagten beizupflichten:
Gem § 6 Abs 2 Z 1 GlBG liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten gesetzt wird, das die Würde einer Person beeinträchtigt, für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schafft. Das inkriminierte E-Mail erfüllt diese Voraussetzungen zweifellos, da es einen objektiv herabwürdigenden und geschlechtsdiskriminierenden pornografischen Inhalt hatte, einen von T***** C***** verfassten, auf die Position der Klägerin Bezug nehmenden Begleittext enthielt („Wir haben eine neue Servicetechnikerin“), von der Klägerin herabwürdigend und diskriminierend empfunden wurde, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der formalen Anstellung der Klägerin stand und in der Folge auch zu einem „seltsamen Verhalten“ von Teilen der Belegschaft gegenüber der Klägerin führte.