OGH: Ausgleichsanspruch gem § 24 HVertrG – zur Frage, ob die Bestellung von Produkten bei Kunden, zu denen der Handelsvertreter den Kontakt hergestellt habe, auch dann beim Unternehmer zu einem erheblichen Vorteil iSd § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG führt, wenn diese Kunden Produkte anderer Hersteller bestellen, deren Abnahme der Handelsvertreter zuvor nicht vermittelt hat
Für das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs genügt es schon, dass der Unternehmer den Kundenstamm auch noch nach Ende des Handelsvertreterverhältnisses - wenn auch nur mittelbar - nutzen kann; die Vorteile, welche der Unternehmer aus der aufgebauten Geschäftsverbindung zieht, können auch anderer Art sein als jene während des Handelsvertretervertrags; nur wenn die Geschäftsbeziehungen wertlos sind, entfällt der Ausgleichsanspruch (dies ist zB der Fall, wenn die Unternehmerin keine vernünftige Möglichkeit mehr hat, die vertriebenen Waren zu besorgen und daher ihren Geschäftsbetrieb einstellt)
§ 24 HVertrG
GZ 4 Ob 188/11t, 17.01.2012
Die Beklagte stellt nicht mehr in Abrede, dass der Kläger ihrer Unternehmensgruppe neue Kunden zugeführt habe. Sie macht aber geltend, ein Provisions- und somit auch ein Ausgleichsanspruch stehe einem Handelsvertreter nur für diejenigen Geschäftsabschlüsse zu, an denen er unmittelbar mitgewirkt habe oder die durch seine mittelbare Mitwirkung (zB als Folgegeschäfte oder Nachbestellungen) erfolgt seien. Der Kläger habe jedoch im Hinblick auf die nachvertraglich verkauften Konkurrenzprodukte keine werbende oder vermittelnde Tätigkeit entfaltet, die für den Geschäftsabschluss (mit-)ursächlich gewesen sei. Habe der Handelsvertreter zwar einen Neukunden geworben, gelinge es aber dem Unternehmer in der Folge, diese neue Geschäftsverbindung für den Absatz anderer als vom Handelsvertreter vertriebener Produkte zu nutzen, für die dem Handelsvertreter keine Provision zustehe, könne dieser auch keinen Ausgleich geltend machen.
OGH: Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gebührt dem Handelsvertreter ua dann ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit er dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat und zu erwarten ist, dass der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann (§ 24 Abs 1 Z 1 und 2 HVertrG).
Ein vom Handelsvertreter erweiterter Kundenstamm sorgt beim Unternehmer für erhöhten Absatz. Ebenso wie der Handelsvertreter zieht er seinen Nutzen hieraus. Es liegt also eine Doppelnutzung vor: Der Absatz des Unternehmers garantiert die Provision des Handelsvertreters. An dem vom Handelsvertreter geschaffenen Kundenstamm entsteht ein doppeltes Nutzungsverhältnis. Rechtlich gehört dieses weder dem Unternehmer noch dem Handelsvertreter, aber beide ziehen Vorteile daraus. Wenn nun der Vertrag endet, zerbricht dieses doppelte Nutzungsverhältnis; sein Gleichgewicht ist zerstört. Da die Kunden regelmäßig beim Unternehmer verbleiben, hat nur dieser noch den Gewinn, er profitiert allein, uU verdoppelt, da er sich die Provision für den Handelsvertreter erspart. Zieht der Unternehmer aber tatsächlich noch Vorteile aus Verbindungen zu den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden, so zeigt sich ein noch höherer Wert der Handelsvertretertätigkeit, der unvergütet ist. Der Handelsvertreter dagegen verliert seine Existenzgrundlage. Es ist in hohem Maße ein Gebot der Gerechtigkeit, dies auszugleichen. Der Handelsvertreter muss für den Nutzen, den der Unternehmer aus der Überlassung des Kundenstamms zieht, vergütet werden. Entscheidender Gesichtspunkt dabei ist die Kontinuität des Kundenstamms.
Aus der Anspruchsvoraussetzung, dass dem Unternehmer auch nach der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses erhebliche Vorteile erwachsen müssen, folgt, dass mit den neu zugeführten Kunden eine Geschäftsverbindung entstanden sein muss, wobei Geschäftsverbindung die Aussicht auf weitere Geschäftsabschlüsse innerhalb eines überschaubaren Zeitraums bedeutet. Stammkunden sind Mehrfachkunden, dh diejenigen Kunden, die in einem überschaubaren Zeitraum, in dem üblicherweise mit Nachbestellungen zu rechnen ist, mehr als nur einmal ein Geschäft mit dem Unternehmer abgeschlossen haben oder - bei Wirtschaftsgütern mit einem längeren Bestellintervall wie im vorliegenden Fall - auch Einmalkunden, von denen unter den gegebenen Umständen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nach Vertragsende Wiederholungskäufe zu erwarten sind.
Einen Vorteil generiert der Unternehmer dann, wenn er eine Aussicht auf weitere Nutzung der Geschäftsbeziehung (Nachbestellungen) innerhalb eines überschaubaren Zeitraums erlangt. Der erhebliche Vorteil liegt in der Regel darin, dass überhaupt Nachbestellungen aufgegeben werden, da es grundsätzlich einfacher ist, eine bereits bestehende Geschäftsverbindung aufrecht zu erhalten als eine neue herzustellen.
Für das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs genügt es schon, dass der Unternehmer diesen Kundenstamm auch noch nach Ende des Handelsvertreterverhältnisses - wenn auch nur mittelbar - nutzen kann. Die Vorteile, welche der Unternehmer aus der aufgebauten Geschäftsverbindung zieht, können auch anderer Art sein als jene während des Handelsvertretervertrags. Nur wenn die Geschäftsbeziehungen wertlos sind, entfällt der Ausgleichsanspruch (dies ist zB der Fall, wenn die Unternehmerin keine vernünftige Möglichkeit mehr hat, die vertriebenen Waren zu besorgen und daher ihren Geschäftsbetrieb einstellt).
Den Handelsvertreter trifft die Beweislast für die Zuführung neuer Kunden und die Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die ihm durch den Handelsvertreter geschaffenen Verdienstchancen im Einzelfall über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus keinen Bestand haben oder haben werden, liegt hingegen beim Unternehmer.
Nach diesen Grundsätzen ist dem Berufungsgericht beizupflichten, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten Vorteile in Form von Folgegeschäften nach Vertragsbeendigung aus den vom Kläger hergestellten Geschäftsbeziehungen zieht. Dem Bestehen eines Ausgleichsanspruchs dem Grunde nach steht der Markenwechsel bei den betroffenen Produkten nicht entgegen, hat die Beklagte doch für diese Folgegeschäfte die vom Kläger geschaffenen Geschäftsverbindungen genutzt, womit der Kläger zumindest mittelbar verdienstlich für die nach 2004 mit den von ihm gebrachten Kunden getätigten Geschäftsabschlüsse geworden ist.
Der von der Rechtsmittelwerberin angeführte Fall, dass der Unternehmer die vom Handelsvertreter neu geschaffenen Geschäftsverbindungen durch eigenes Bemühen zusätzlich für den Absatz anderer von ihm vertriebener Produkte nutzt (wofür mangels Provisionsverlusts beim Handelsvertreter kein Ausgleichsanspruch zusteht), liegt hier nicht vor. Der Markenwechsel bei der Unternehmensgruppe der Beklagten betraf nämlich Substitutionsgüter und war keine Erweiterung des Angebotssortiments über die vom Kläger provisionsberechtigt verkauften Produkte hinaus.
Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters scheitert aber weder an einer Umstellung des Vertriebssystems des Unternehmers nach Vertragsbeendigung durch künftige Belieferung des Großhandels anstatt des Endverbrauchers, noch durch einen Wechsel des Zulieferers. Beide Änderungen hätten nämlich bei aufrechtem Vertragsverhältnis zum vollständigen Verlust der Provisionseinnahmen beim Handelsvertreter geführt, welcher Umstand als Vertragsverletzung zu beurteilen gewesen wäre, die den Handelsvertreter berechtigt hätte, die entgangene Provision als Schadenersatz nach § 12 HVertrG geltend zu machen.
Dass ihre Folgegeschäfte mit den vom Kläger gewonnenen neuen Kunden infolge des Markenwechsels eines besonderen Aufwands bedurft hätten oder dass ihre Verdienstchancen aus diesen neuen Geschäftsbeziehungen im Einzelfall über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus keinen Bestand hatten, hat die insoweit behauptungspflichtige Beklagte nicht vorgetragen; solches ist auch aus den Feststellungen nicht ersichtlich. Nur in letzterem Fall wäre die Stammkundeneigenschaft der vom Kläger vermittelten Neukunden erloschen und müsste durch den Unternehmer erst wieder neu begründet werden. Für solche Geschäftsabschlüsse wäre dann die Tätigkeit des früheren Handelsvertreters nicht verdienstlich für den erneuten Geschäftsabschluss.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, entspreche der Billigkeit (§ 24 Abs 1 Z 3 HVertrG), begegnet unter den Umständen des Einzelfalls keinen Bedenken. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Beendigung des Handelsvertretervertrags durch sein Verhalten herbeigeführt hätte.