OGH: Unterhaltsbemessung und fiktiver Mietwert
Der fiktive Mietwert einer dem Unterhaltsberechtigten überlassenen Wohnung ist wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs ganz oder teilweise als Naturalunterhalt anzurechnen; dass die Wohnung nicht zur Verfügung gestellt wird, um den Unterhaltsanspruch (teilweise) in natura zu befriedigen, sondern dass der Unterhaltsberechtigte auf Grund seines im Aufteilungsanspruch fortdauernden Anspruchs nach § 97 EheG berechtigt ist, die Wohnung zu benützen, führt zu keiner anderen Beurteilung
§ 94 ABGB, § 140 ABGB, § 97 ABGB
GZ 7 Ob 226/11b, 25.01.2012
OGH: Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Beklagte als Alleineigentümer der Liegenschaft im Grundbuch einverleibt ist und die laufenden Kosten dafür trägt. Damit stellt er der Klägerin die Wohngelegenheit zur Verfügung. Dass die Wohnung nicht zur Verfügung gestellt wird, um den Unterhaltsanspruch (teilweise) in natura zu befriedigen, sondern dass der Unterhaltsberechtigte auf Grund seines im Aufteilungsanspruch fortdauernden Anspruchs nach § 97 EheG berechtigt ist, die Wohnung zu benützen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Darauf, welche Ansprüche der Klägerin in einem allfälligen Aufteilungsverfahren zustehen werden, ist im Rahmen des Unterhaltsverfahrens nicht einzugehen. Auch Mehrleistungen zur ehelichen Vermögensbildung sind im Aufteilungsverfahren und nicht im Unterhaltsverfahren zu berücksichtigen.
Nach der jüngeren Rsp des OGH ist der fiktive Mietwert einer dem Unterhaltsberechtigten überlassenen Wohnung wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs ganz oder teilweise als Naturalunterhalt anzurechnen. Dies wird im Schrifttum begrüßt. Die in der Entscheidung 2 Ob 224/08t geäußerte Ansicht, dass die Anrechnung dann gelte, wenn der Unterhaltspflichtige (noch) Kreditrückzahlungen für den Erwerb der strittigen Wohnung leiste, nicht jedoch, wenn er nur das Eigentum bereit stelle, stieß auf Kritik, weil es bei der Anrechnung einer vom Unterhaltspflichtigen gewährten Wohnmöglichkeit nicht auf dessen Aufwand, sondern auf die deutlich bewirkte Ersparnis des Unterhaltsberechtigten ankommt. In der Entscheidung 2 Ob 246/09d wurde iSe Vereinheitlichung der Unterhaltsbemessung die Kritik für berechtigt erachtet. Es ist daher der Judikatur zu folgen, dass es regelmäßig nicht des gesamten grundsätzlich zustehenden Geldunterhalts bedarf, um den vollständigen Unterhalt des Unterhaltspflichtigen zu decken, wenn dieser nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen hat. Der fiktive Mietwert ist unter den die Wohnung nutzenden Personen in der Regel nach Köpfen aufzuteilen.
Es ist daher im fortzusetzenden Verfahren der fiktive Mietwert zu ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass es nicht zu einer fiktiven Überalimentierung des Unterhaltsberechtigten im Unterhaltsbereich „Wohnen“ und damit zu einer unangemessenen Verkürzung des Geldunterhalts kommt. Der Naturalunterhalt ist nach stRsp grundsätzlich nur im angemessenen Umfang anzurechnen. Dem Unterhaltsberechtigten hat stets ein in Geld zu leistender Unterhalt zuzukommen, weil er ja von der Wohnung allein nicht leben kann. Wo die Angemessenheitsgrenze liegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. In der Entscheidung 4 Ob 42/10w ging der OGH davon aus, dass in Österreich durchschnittlich 22,3 % der Haushaltsausgaben auf Wohnkosten entfielen. Jedenfalls dann, wenn sich der Geldunterhalt aufgrund der Wohnversorgung um mehr als ein Viertel mindere, müsse überprüft werden, ob der Restunterhalt noch zur angemessenen Deckung der Restbedürfnisse ausreiche.
Die Vorinstanzen werden daher im fortzusetzenden Verfahren prüfen müssen, wie hoch der fiktive Wohnwert ist und ob nach Abzug eines Drittels dieses Betrags der Klägerin im Einzelfall noch ein Restunterhalt verbleibt, der zur angemessenen Deckung der Restbedürfnisse ausreicht.