12.03.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Frage der Beweislastverteilung in Art 40 UNK

Im Grundsatz trifft zwar die Beweislast für die Bösgläubigkeit des Verkäufers den Käufer, der die Rechtsfolgen des Art 38 f UNK abwenden will, weil das UN-Kaufrecht, auch soweit es die Beweislast nicht ausdrücklich festlegt, dem Regel-Ausnahmeprinzip folgt; beruft sich der Käufer auf die Ausnahme von der Regelbestimmung des Art 39 UNK über den Verlust des Rügerechts, hat er die tatsächlichen Voraussetzungen des Art 40 UNK zu behaupten und zu beweisen; eine strikte Anwendung des Regel-Ausnahmeprinzips kann aber auch im Geltungsbereich des UN-Kaufrechts zu Ungerechtigkeiten führen, weshalb eine Korrektur geboten ist; dabei ist jedoch Zurückhaltung angebracht; eine Ausnahme ist im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe oder dann zuzulassen, wenn eine Beweisführung mit unzumutbaren Beweisschwierigkeiten für den Käufer verbunden wäre


Schlagworte: UN-Kaufrecht, Untersuchungs- und Rügeobliegenheit, Beweislastverteilung, Billigkeit
Gesetze:

Art 40 UNK

GZ 10 Ob 4/12d, 14.02.2012

 

OGH: Gem Art 35 Abs 1 UNK hat der Verkäufer die Ware zu liefern, die in Menge, Qualität und Art sowie hinsichtlich der Verpackung oder Behältnis den Anforderungen des Vertrags entspricht. Gem Art 36 Abs 1 UNK haftet der Verkäufer nach dem Vertrag und dem UN-Kaufrecht für eine Vertragswidrigkeit, die im Zeitpunkt des Übergangs der Gefahr auf den Käufer besteht, auch wenn die Vertragswidrigkeit erst nach diesem Zeitpunkt offenbar wird. Der Verkäufer hat die Ware innerhalb einer so kurzen Frist zu untersuchen oder untersuchen zu lassen, wie es die Umstände erlauben (Art 38 Abs 1 UNK). Gem Art 39 Abs 1 UNK verliert der Käufer das Recht, sich auf eine Vertragswidrigkeit der Ware zu berufen, wenn er sie dem Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt, in dem er sie festgestellt hat oder hätte feststellen müssen, anzeigt und dabei die Art der Vertragswidrigkeit genau bezeichnet. Der Verkäufer kann sich auf Art 38 und Art 39 UNK nicht berufen, wenn die Vertragswidrigkeit auf Tatsachen beruht, die er kannte oder über die er nicht in Unkenntnis sein konnte und die er dem Käufer nicht offenbart hat (Art 40 UNK).

 

Das Wesen des Art 40 UNK liegt darin, dass sie den Käufer von seiner Untersuchungs- und Rügepflicht nach Art 38, 39 UNK entlastet. Dahinter steht, dass es unbillig und überflüssiger Formalismus wäre, vom Käufer zu verlangen, den Verkäufer über solche Mängel zu unterrichten, die diesem schon bekannt sind oder sein müssen. Nach den Wertungen des Art 40 UNK ist der bösgläubige Verkäufer als nicht schutzwürdig anzusehen. Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Formulierung „nicht in Unkenntnis sein konnte“ mit grob fahrlässiger Unkenntnis gleichzusetzen ist.

 

Das Erstgericht traf zur Vertragswidrigkeit iSd Art 35 Abs 1 bzw 36 Abs 1 UNK sowie zur Kausalität lediglich die dislozierte Feststellung, es sei davon auszugehen, dass das von der beklagten Partei gelieferte Paprikapulver bestrahlt war. Zum Vorbringen der klagenden Partei, eine Untersuchung der Ware auf Strahlenfreiheit sei unüblich und nicht möglich, sind keine erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen vorhanden. Mit Art 40 UNK hat sich das Erstgericht nicht befasst.

 

Das Berufungsgericht legte seinem Aufhebungsbeschluss ausdrücklich die Annahme zugrunde, die Vertragswidrigkeit habe ihre Ursache im Bereich der beklagten Partei und vertrat die Rechtsansicht, die Anwendung des Art 40 UNK komme in Betracht. Wenn die Rekurswerberin vorbringt, die klagende Partei habe die Bösgläubigkeit iS dieser Bestimmung niemals behauptet, ist ihr entgegen zu halten, dass es genügt, wenn nur die anspruchsbegründenden Tatsachen vorgebracht werden. Dem Vorbringen der klagenden Partei ist aber zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Ware vereinbarungswidrig bestrahlt geliefert wurde und dies allenfalls darauf zurückzuführen sei, dass es in der Fabrik der beklagten Partei zu Vermischungen mit bestrahlter Ware gekommen sei. Dieses Vorbringen ist im Hinblick auf Art 40 UNK gerade noch als ausreichend anzusehen, umfasst es doch erkennbar die Behauptung, den Vertretern der beklagten Partei habe die Bestrahlung zumindest bekannt sein müssen. Die Behauptung von Arglist wird von Art 40 UNK nicht verlangt.

 

Eine Entscheidung des OGH zur Beweislastverteilung im Rahmen des Art 40 UNK ist noch nicht ergangen. Der erkennende Senat hat aber bereits in der Entscheidung 10 Ob 122/05x zur allgemeinen Beweislastverteilung im UN-Kaufrecht Stellung genommen. Es wurde ausgesprochen, dass nach allgemeinen Regeln des UN-Kaufrechts grundsätzlich derjenige Vertragspartner die tatsächlichen Voraussetzungen jener Vorschrift zu behaupten und zu beweisen hat, aus der er einen Vorteil für sich herleitet. Ausnahmsweise können aber Gründe der Billigkeit, zB die größere Beweisnähe oder unzumutbare Beweisschwierigkeiten, zu einer Umkehr der Beweislastverteilung führen. In der Entscheidung 6 Ob 257/06x musste die Frage, ob dieser Grundsatz auch auf die Beweislast für die Bösgläubigkeit des Verkäufers iSd Art 40 UNK zutrifft, nicht beantwortet werden, weil die Vorinstanzen über die Bösgläubigkeit der Verkäuferin bereits positive Feststellungen getroffen hatten.

 

In der österreichischen Literatur zum UN-Kaufrecht vertritt Posch, die Ansicht, dass grundsätzlich der Käufer die Beweislast dafür trägt, dass der Verkäufer die Tatsachen, auf welchen die Vertragswidrigkeit beruht, kannte oder kennen musste und sie dem Käufer nicht offenbart hat. Wenn der Käufer aber mit unzumutbaren Beweisschwierigkeiten konfrontiert sei, kehre sich die Beweislast um.

 

Im Hinblick auf den internationalen Charakter und die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung des Übereinkommens (Art 7 Abs 1 UNK) ist auf die - einen sehr ähnlich gelagerten Sachverhalt betreffende - Entscheidung des BGH VIII ZR 321/03 näher einzugehen:

 

Dieser Entscheidung liegt zugrunde, dass die deutsche Käuferin gegen die dem Grund nach unstreitige Kaufpreisforderung einer spanischen Gewürzhändlerin mit einer behaupteten Schadenersatzforderung wegen angeblicher Vertragswidrigkeit aufgerechnet und behauptet hat, das gelieferte Paprikapulver sei vereinbarungswidrig bestrahlt worden. Das Gericht zweiter Instanz hatte die Rechtsansicht vertreten, die Käuferin könne sich nicht auf Art 40 UNK berufen, weil sie den ihr obliegenden Beweis dafür nicht angeboten habe, dass die Verkäuferin die Bestrahlung der Ware gekannt habe oder kennen musste. Der BGH ging zunächst davon aus, dass zwar im Grundsatz die Beweislast für die Bösgläubigkeit des Verkäufers den Käufer treffe, der die Rechtsfolgen des Art 38 f UNK abwenden will, weil das UN-Kaufrecht, auch soweit es die Beweislast nicht ausdrücklich festlege, dem Regel-Ausnahmeprinzip folge. Berufe sich der Käufer auf die Ausnahme von der Regelbestimmung des Art 39 UNK über den Verlust des Rügerechts, habe er die tatsächlichen Voraussetzungen des Art 40 UNK zu behaupten und zu beweisen. Wie der BGH weiters ausführt, könne eine strikte Anwendung des Regel-Ausnahmeprinzips aber auch im Geltungsbereich des UN-Kaufrechts zu Ungerechtigkeiten führen, weshalb eine Korrektur geboten sei; dabei sei jedoch Zurückhaltung angebracht. Eine Ausnahme sei im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe oder dann zuzulassen, wenn eine Beweisführung mit unzumutbaren Beweisschwierigkeiten für den Käufer verbunden wäre. Unter Umständen könne sich der erforderliche Beweis schon aus der Art des Mangels selbst ergeben, so dass bei groben Abweichungen von der vertraglichen Beschaffenheit grobe Fahrlässigkeit vermutet werde, wenn sich die Vertragswidrigkeit im Bereich des Verkäufers ereignet habe. Werde festgestellt, dass die Ware - den Behauptungen der Beklagten entsprechend - weder in ihrem Bereich noch im Bereich ihrer Abnehmerin bestrahlt worden sei, wäre mit dem Nachweis der Vertragswidrigkeit zugleich der Beweis für die Behauptung gelungen, dass das Pulver entweder im Betrieb der Klägerin oder bei deren Vorlieferantin bestrahlt worden sei. Zu den inneren Betriebsabläufen der Klägerin könnte die Beklagte aber allenfalls eine Behauptung „ins Blaue hinein“ aufstellen; von ihr als außenstehender Käuferin seien hinreichende Kenntnisse über die internen Produktionsbedingungen ihrer Verkäuferin nicht zu erwarten. Dagegen sei es der Verkäuferin ohne weiteres möglich, sich hiezu zu erklären. Sei die Bestrahlung tatsächlich im Betrieb der Klägerin erfolgt, könne diese sich, falls es sich um ein bloßes Versehen handelt, auf ein nur leicht fahrlässiges Verhalten nur dann berufen, wenn sie ausreichend erklären könne, wie es trotz entsprechender Vorkehrungen zu einem derart gewichtigen Fehler in ihrem Betrieb kommen konnte und aus welchem Grund ihr dieser nicht zur Kenntnis gelangt sei.

 

In der deutschen Literatur stieß diese Entscheidung großteils auf Zustimmung. Magnus führt aus, dass sich die Beweislast bei unzumutbaren Beweisschwierigkeiten dann umkehre, wenn ein grober Sachmangel erwiesen sei.

 

Die Entscheidung des BGH steht mit der bisherigen Judikatur des OGH zur Frage der Beweislastverteilung und einer ausnahmsweisen Umkehrung der Beweislast im UN-Kaufrecht in Einklang. Sie betrifft einen einschlägigen Präzedenzfall; ihren überzeugenden Ausführungen ist im Hinblick auf die Herausbildung einer gemeinsamen weltweiten Anwendungspraxis zu folgen. Die Rechtsmittelwerberin zeigt mit ihren Ausführungen auch gar nicht auf, aus welchen Gründen es gerade im Rahmen des Art 40 UNK nicht (ausnahmsweise) zu einer Beweislastumkehr aus Billigkeit kommen sollte.

 

Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei die Vornahme einer Bestrahlung in ihrem Bereich in Abrede gestellt und zum Beweis Zeugen geführt, die bereits in diesem Sinn ausgesagt haben. Aus dem Vorbringen der klagenden Partei ist erkennbar, dass sie über die betriebsinternen Vorgänge bei der beklagten Partei nicht im Bilde ist. Ist der der klagenden Partei obliegende Beweis der Bestrahlung der Ware vor Anlieferung als gelungen anzusehen, erscheint es daher nicht ausgeschlossen, dass der grundsätzlich beweispflichtigen klagenden Partei unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit einer eigenen Beweisführung und der Beweisnähe der beklagten Partei eine Umkehrung der Beweislast zugutekommen soll. In diesem Fall träfe die beklagte Partei die Beweislast für ihre Gutgläubigkeit.