25.04.2012 Sicherheitsrecht

VwGH: Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt iZm Festnahme („auf frischer Tat betreten“ iSd § 170 Abs 1 Z 1 StPO)

Bei der Beurteilung von Maßnahmenbeschwerden ist eine ex-ante-Betrachtung geboten; es ist daher ohne Bedeutung, ob der Bf ex post vom Vorwurf der Deliktsverwirklichung freigesprochen wurde


Schlagworte: Maßnahmenbeschwerde, Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, Festnahme, Anordnung, auf frischer Tat betreten, ex-ante-Betrachtung
Gesetze:

§ 67a Z 2 AVG, Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG, § 170 StPO, § 171 StPO

GZ 2012/01/0004, 15.03.2012

 

VwGH: Voranzuschicken ist, dass nach der Aufhebung der Worte "oder Kriminalpolizei" in § 106 Abs 1 StPO Akte von Verwaltungsorganen im Dienste der Strafjustiz, die ohne einen richterlichen Befehl oder eine Anordnung der Staatsanwaltschaft gesetzt werden, jedenfalls mit Maßnahmenbeschwerde vor der belangten Behörde bekämpfbar sind.

 

Entscheidend ist für den Tatbestand des § 170 Abs 1 Z 1 StPO ("auf frischer Tat betreten"), ob der Beamte vertretbar die Verwirklichung einer (gerichtlich) strafbaren Handlung annehmen konnte.

 

Zu diesem Vertretbarkeitsmaßstab hat der VwGH im Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, 2005/01/0055, iZm einer Festnahme nach der insoweit vergleichbaren Rechtslage des § 175 Abs 1 Z 1 StPO aF festgehalten, dass es ausreicht, wenn das beobachtete Geschehen vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse vertretbar als Tatbestandsverwirklichung gewertet wurde (vgl im Übrigen zum exante-Maßstab bei der Beurteilung von Festnahmen nach § 35 VStG aus der stRsp das Erkenntnis vom 18. Juni 2008, 2005/11/0048, und iZm dem Waffengebrauch das Erkenntnis vom 18. November 2010, 2006/01/0083).

 

Die belangte Behörde hat daher im angefochtenen Bescheid zutreffend eine derartige ex-ante-Beurteilung vorgenommen und zu Recht die Auffassung vertreten, dass es ohne Bedeutung ist, ob der Bf ex post vom Vorwurf der Deliktsverwirklichung freigesprochen wurde.

 

Diese ex-ante-Beurteilung ist auch fallbezogen nicht als rechtswidrig zu erkennen:

 

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob der Beamte der BPD S ausgehend von dem festgestellten Sachverhalt vertretbar die Verwirklichung des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gem § 269 StGB durch den Bf annehmen konnte.

 

Gem § 269 Abs 1 StGB ist der Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (ua) dann verwirklicht, wenn jemand einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung hindert.

 

Fallbezogen ist davon auszugehen, dass der Beamte eine eskalierende tätliche Auseinandersetzung zwischen dem Bf und einer weiteren Person beilegen wollte. In diesem Zusammenhang ist auf die Ermächtigung zur Beendigung gefährlicher Angriffe nach § 33 SPG hinzuweisen.

 

Nach den insoweit unstrittigen Feststellungen hinderte der Bf den Beamten mit den im angefochtenen Bescheid angeführten Aussagen, welche offenkundig die Androhung körperlicher Gewalt beinhalteten, an dieser Amtshandlung.

 

Es ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde angenommen hat, der einschreitende Beamte durfte vertretbar die Verwirklichung des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gem § 269 StGB durch den Bf annehmen, zumal sie auch ergänzend darauf hinwies, dass das Strafgericht den objektiven Tatbestand des § 269 StGB als erfüllt angesehen hat.

 

Fallbezogen ist auch nicht zu sehen, dass ein gelinderes Mittel nach § 29 SPG geboten gewesen wäre. Nach dieser Bestimmung sind Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gehalten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl das Erkenntnis vom 13. November 2008, 2003/01/0382). Jedoch sind die Umstände des vorliegenden Beschwerdefalles mit jenen, die dem zitierten Erkenntnis vom 13. November 2008 zu Grunde lagen, nicht vergleichbar.

 

Die von der Beschwerde in dieser Hinsicht gerügten Feststellungsmängel liegen daher nicht vor, darüber hinaus ist - ausgehend davon, dass die Aussagen des Bf unbestritten bleiben und die Beschwerde selbst davon spricht, der Bf habe dem Beamten angekündigt, "eine kassierst du auf jeden Fall, wenn du mich festnimmst" - die Relevanz der gerügten Verfahrensfehler nicht gegeben.