14.05.2012 Zivilrecht

OGH: Zur schadenersatzrechtlichen Haftung des Emittenten wegen der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten außerhalb der Prospekthaftung gegenüber Anlegern, die Aktien am Sekundärmarkt erworben haben, sowie zur Frage, ob einer Haftung des Emittenten gegenüber solchen Anlegern aktienrechtliche Bestimmungen über die Kapitalerhaltung entgegenstehen

Am Vorrang der Schadenersatzansprüche vor der Kapitalerhaltung ändert auch der Umstand nichts, dass Ansprüche ausschließlich oder zumindest überwiegend auf eine Verletzung der Vorschriften über die Ad-hoc-Publizität und auf Marktmanipulation gestützt werden und dass der Kläger die Aktien auf dem Sekundärmarkt erworben hat; allerdings begründet nicht jede Gläubigerstellung als solche bereits den Vorrang gegnüber dem Verbot der Einlagenrückgewähr; vielmehr ist zusätzlich die Prüfung erforderlich, ob die verletzten Normen bzw Verhaltenspflichten, auf die die Schadenersatzansprüche gestützt werden, den Aktionär eher als Drittgläubiger denn als Verbandsmitglied sehen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, fehlerhafte Anlageberatung, Kapitalmarktrecht, Informationspflichten, Prospekthaftung, Aktienrecht, Sekundärmarkt, Einlagenrückgewähr, Marktmanipulation, Ad-hoc-Publizität, Naturalrestitution
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 11 KMG, §§ 52 ff AktG, § 48a BörseG, § 48d BörseG, § 1323 ABGB

GZ 6 Ob 28/12d, 15.03.2012

 

OGH: Der OGH hat in der mehrfach veröffentlichten Entscheidung 7 Ob 77/10i bereits ausgesprochen, dass die Prospekthaftungsansprüche gegenüber aktienrechtlichen Bestimmungen über die Kapitalerhaltung Vorrang genießen. Die kapitalmarktrechtlichen Normen schützen die (potentiellen) Anleger durch Normierung von ihnen gegenüber einzuhaltenden Verhaltenspflichten und behandeln den Aktionär wie einen Drittgläubiger. § 11 KMG schafft somit ein Recht, das Gläubigerrechten näher steht als Aktionärsrechten. Die Prospekthaftungsansprüche schadenersatzberechtigter Gläubiger und deren Befriedigung stellen daher gar keinen Tatbestand der Einlagenrückgewähr nach § 52 AktG dar, weil sie nicht causa societatis erfolgen. Aus diesem Grund ist es auch nicht geboten, die Schadenersatzansprüche des als Drittgläubiger zu behandelnden Aktionärs auf das ausschüttbare Vermögen zu beschränken, weshalb sich das Problem der Gleichbehandlung der Aktionäre nach § 47 AktG nicht stellt. In dieser Entscheidung hat der OGH auch dargelegt, dass die Lehre vom fehlerhaften Verband der Geltendmachung von kapitalmarktrechtlichen Schadenersatzansprüchen nicht entgegensteht.

 

Von dieser Auffassung abzugehen besteht kein Anlass. Der erkennende 6. Senat verkennt nicht, dass das vom 7. Senat erzielte Ergebnis in der Lehre vielfach kritisiert wurde. Zahlreiche Autoren haben teils vor Ergehen dieser Entscheidung, teils danach den Vorrang der Kapitalerhaltung vertreten.

 

Andererseits sind zahlreiche Autoren für den Vorrang der Prospekthaftungsansprüche eingetreten. Dabei wird allerdings vielfach die Auffassung vertreten, eine Befriedigung der Schadenersatzansprüche sei nur aus frei ausschüttbaren Mitteln, also aus Gewinn(-Vorträgen) und freien Rücklagen zulässig.

 

Auch nach neuerlicher Prüfung findet der erkennende 6. Senat keinen Grund, von der der zitierten Entscheidung des 7. Senats zu Grunde liegenden Rechtsansicht abzugehen. Dies gilt auch für die Ablehnung der Auffassung Reich-Rohrwigs (Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung 364 ff), der dafür eintrat, den zivilrechtlichen Schutz von Anlegern auf Kleinanleger unterhalb der Grenze des § 3 Abs 1 Z 9 KMG zu beschränken.

 

Zusätzlich zu den vom 7. Senat angeführten Erwägungen ist darauf zu verweisen, dass gute Gründe schon deshalb für einen Vorrang des § 11 KMG sprechen, weil es sich dabei um die spätere Bestimmung handelt. In Österreich wurde eine Prospekthaftungsvorschrift erstmals mit § 80 BörseG 1989 eingeführt, der auch ausdrücklich den Emittenten in die Haftung miteinbezog. Sodann wurde mit dem KMG in dessen § 11 eine Prospekthaftungsvorschrift eingeführt, die auch eine AG als Emittentin betraf. Mit der KMG-Novelle 2005 wurde schließlich § 80 BörseG aufgehoben. Seither ist die Prospekthaftung auch für börsenotierte Gesellschaften in § 11 KMG geregelt. Alle diese Rechtsakte sind später als das Verbot der Einlagenrückgewähr gem § 52 AktG ergangen.

 

Jedenfalls dann, als mit § 11 KMG eine ausdrückliche Haftungsvorschrift später dem Normenbestand hinzugefügt worden ist, ist ein Vorrang der Schadenersatzansprüche nach der lex posterior-Regel zu bejahen. Wollte man § 11 KMG auf Ansprüche von Anlegern gegen eine AG als Emittentin verneinen, müsste man unterstellen, dass der Gesetzgeber bei Erlassung dieser Vorschrift an den in der Praxis wohl wichtigsten Fall überhaupt nicht gedacht hat. Für eine derartige Interpretation des Willens des Gesetzgebers fehlt aber jegliche Grundlage.

 

Dies gilt im Übrigen auch für andere kapitalmarktrechtliche Vorschriften wie die Verpflichtung zu Ad-hoc-Mitteilungen nach § 48d Abs 1 BörseG oder das Verbot der Marktmanipulation nach § 48a BörseG, kann doch nicht angenommen werden, dass dem Gesetzgeber die zivilrechtlichen Implikationen dieser - wie zu zeigen sein wird - nach ganz überwiegender Auffassung als Schutzgesetze anzusehenden Bestimmungen entgangen wären.

 

Für dieses Ergebnis spricht auch eine teleologische Erwägung: Die für das Funktionieren des Kapitalmarkts so wichtige Verpflichtung, einen richtigen Prospekt zu publizieren, wäre nämlich weitgehend sinnlos, wenn der praktisch wichtigste Fall, nämlich die Haftung einer emittierenden AG, entgegen dem Wortlaut von § 11 KMG zu keiner wirksamen, weil spürbaren Sanktion, nämlich der Haftung der Emittentin führte.

 

Der 7. Senat hat bereits überzeugend dargelegt, dass die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft lediglich besagt, dass eine einmal ins Leben getretene Gesellschaft nicht mit Wirkung ex tunc wieder beseitigt werden kann. Ein weiterer Gedanke ist derjenige, dass auch im Innenverhältnis nicht einfach rückwirkend so getan werden kann, als sei die Gesellschaft nie entstanden. Beide Aspekte sind im vorliegenden Zusammenhang nicht unmittelbar tangiert. Vielmehr sehen die kapitalmarktrechtlichen Verhaltensnormen den Aktionär eben nicht (primär) als Gesellschafter einer spezifischen Gesellschaftsform, sondern als Marktakteur, sodass die aus der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Verhaltensnormen resultierenden Ansprüche Gläubigerrechten näher stehen als Aktionärsrechten.

 

Im Übrigen ist die teils heftig geäußerte Kritik, die etwa von einem aktienrechtlichen „Super-Gau“ spricht, schon aus tatsächlichen Gründen nicht überzeugend, entspricht doch die vom OGH erstmals in 7 Ob 77/10f ausgesprochene Rechtsansicht der internationalen Entwicklung.

 

So hat der deutsche BGH in seiner - bereits in der Entscheidung 7 Ob 77/10i zitierten -

Entscheidung II ZR 287/02 ausgeführt, dass jedenfalls die Ersatzforderungen jener Aktionäre, die ihre Aktien auf dem Sekundärmarkt von dritten Marktteilnehmern erworben haben, in erster Linie nicht auf ihrer mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung als Aktionäre, sondern auf ihrer Stellung als Drittgläubiger beruhten. Das Gesellschaftsvermögen werde also durch die Belastung mit einer derartigen Schadenersatzverbindlichkeit nicht anders als bei sonstigen Deliktsansprüchen außenstehender Gläubiger in Anspruch genommen. Daher sei die Haftung der AG durch das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht ausgeschlossen. Zum selben Ergebnis gelangten eine Reihe weiterer Entscheidungen.

 

Diese Judikatur ist in der deutschen Literatur überwiegend auf Zustimmung gestoßen.

 

Der Vollständigkeit halber ist schließlich darauf zu verweisen, dass etwa auch in den USA die Haftung der Emittentin ganz einhellig bejaht wird.

 

Am Vorrang der Schadenersatzansprüche vor der Kapitalerhaltung ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger im vorliegenden Fall seine Ansprüche ausschließlich oder zumindest überwiegend auf eine Verletzung der Vorschriften über die Ad-hoc-Publizität und auf Marktmanipulation stützt. Der deutsche BGH hat in der Entscheidung II ZR 287/02 gerade den Erwerb auf dem Sekundärmarkt behandelt.

 

Wenngleich das BörseG wegen Verletzung der Ad-Hoc-Publizitätspflicht (§ 48d Abs 1 BörseG) oder wegen marktmanipulativer Handlungen (§ 48a Abs 1 Z 2 BörseG) nur verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen vorsieht (§ 48 Abs 1 Z 2, § 48c BörseG), die gem § 9 Abs 1 VStG gegen die Vorstandsmitglieder zu verhängen sind, entspricht es der ganz überwiegenden Auffassung, dass diese Bestimmungen als Schutzgesetze zu qualifizieren sind. Dies gilt für die Ad-hoc-Publizitätspflicht ebenso wie für den Marktmanipulationstatbestand. Die gegenteilige Auffassung von Enzinger ist demgegenüber vereinzelt geblieben.

 

Bejahte man trotz des anerkannten Schutzgesetzcharakters der Bestimmungen über die kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten einen uneingeschränkten Vorrang der Bestimmungen über die Kapitalerhaltung, liefen zivilrechtliche Schadenersatzansprüche von Anlegern wohl in den meisten Fällen ins Leere. Anleger könnten sanktionslos mit falschen Versprechungen, unterlassenen oder unrichtigen Informationen zum Erwerb von Aktien, deren Verkauf oder deren Halten bewogen werden. Dazu kommt, dass gerade bei Erwerb auf dem Sekundärmarkt das Geschäft nicht gesellschaftsrechtlich geprägt ist. Warum Teilnehmer des Kapitalmarkts bei unrichtigen Angaben einer Aktiengesellschaft weniger schützenswert sein sollten als Teilnehmer am Verkehr von Waren und Dienstleistungen mit derselben Gesellschaft bzw aus welchen Gründen sie anders behandelt werden sollten als außenstehende Dritte, die unabhängig von ihrer Aktionärsstellung geschädigt wurden, ist nicht einzusehen.

 

Damit wird die für die Erfüllung der Ad-hoc-Publizität verantwortliche Emittentin schadenersatzpflichtig, wenn pflichtwidrig und schuldhaft Ad-Hoc-Mitteilungen unterlassen wurden oder diese unrichtig waren. Marktmanipulatives Verhalten von Organmitgliedern oder sonstigen Repräsentanten einer AG führt schon nach allgemeinen Grundsätzen zur Deliktshaftung der AG selbst. Darüber hinaus kommt - worauf der Vollständigkeit halber hinzuweisen ist - eine Schadenersatzpflicht der AG wegen anderer deliktischer Verhaltensweisen der Organmitglieder und sonstiger Machthaber in Betracht, etwa bei betrügerischen Handlungen iSd § 146 StGB, bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem § 1295 Abs 2 ABGB sowie bei Verstößen gegen § 255 AktG. Auf die zu letzterer Bestimmung in der Lehre teilweise vertretene Einschränkung, dass für die zivilrechtliche Zurechnung auf § 3 VbVG abzustellen sei, sodass eine Haftung nach dieser Bestimmung nur dann in Betracht käme, wenn die Straftat zu Gunsten des Verbandes begangen worden sei, ist im vorliegenden Fall nicht näher einzugehen.

 

Inwieweit auch eine Haftung einzelner Vorstandsmitglieder gegenüber Anlegern aus Schutzgesetzverletzung in Betracht kommt, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Hier ist jedoch darauf zu verweisen, dass im Schrifttum eine derartige Möglichkeit teilweise mit der Begründung verneint wird, dass § 48d Abs 1 BörseG bloß die Emittentin verpflichtet.

 

Dabei ist der Deutlichkeit halber festzuhalten, dass nicht jede Gläubigerstellung als solche bereits den Vorrang gegenüber dem Verbot der Einlagenrückgewähr begründet. Vielmehr ist zusätzlich die Prüfung erforderlich, ob die verletzten Normen bzw Verhaltenspflichten, auf die die Schadenersatzansprüche gestützt werden, den Aktionär eher als Drittgläubiger denn als Verbandsmitglied sehen. Die Interpretation, dass die Normen des KMG sowie des Börsegesetzes Anleger eher als Drittgläubiger behandeln, erscheint dem erkennenden Senat überzeugender, zumal dieses Ergebnis - wie ausgeführt - auch der Rechtslage in Deutschland sowie etwa in den USA entspricht (vgl oben).

 

Gegen die Haftung der Gesellschaft bei auf dem Sekundärmarkt erworbenen Aktien spricht auch nicht der Umstand, dass die Ansprüche in diesem Fall höher sein können als bei Erwerb auf dem Primärmarkt. Im Übrigen kann der Schaden auch bei Erwerb auf dem Primärmarkt deutlich höher sein als der Aktienkurs, etwa wenn der Anleger wegen unrichtiger Prospektangaben vom Erwerb anderer Anlagen abgehalten wurde, die eine günstigere Entwicklung genommen hätten, sodass die aufgrund der Naturalrestitution geschuldete Verschaffung dieser Alternativpapiere seitens der Gesellschaft den Einsatz höherer Mittel erfordert, als ihr selbst seinerzeit zugeflossen sind. Nicht entscheidend ist auch, dass bei Erwerb auf dem Sekundärmarkt der Gesellschaft keine weiteren Mittel zugeflossen sind, hängt doch der Umfang des Schadenersatzes auch sonst nur von der Höhe des dem Geschädigten erwachsenen Schadens, nicht hingegen davon ab, wieviel dem Schädiger selbst zugeflossen ist.

 

Nicht überzeugend ist schließlich auch das Argument der beklagten Partei, das Vermögen der Gesellschaft würde zum Vorteil einiger weniger Aktionäre vermindert, aufgrund der zu erwartenden Klagen von zahlreichen weiteren Aktionären würde das Vermögen der Gesellschaft letztlich aufgezehrt, was in letzter Konsequenz zur Insolvenz der Gesellschaft und damit einer Benachteiligung der Gläubiger der Gesellschaft führen würde. Abgesehen davon, dass weder behauptet noch festgestellt wurde, dass die Befriedigung der Ansprüche von Aktionären, die durch kapitalmarktrechtliche Verstöße der beklagten Partei geschädigt wurden, dazu führen würde, dass die (anderen) Gläubiger der Gesellschaft nicht befriedigt werden können, wäre ein Fortbestand einer Gesellschaft, die Mittel zur Befriedigung der (sonstigen) Gläubiger lediglich durch Marktmanipulation und Verstoß gegen andere kapitalmarktrechtliche Pflichten erlangen bzw behalten kann, nicht schutzwürdig.

 

Im Übrigen ist mit der Bejahung der Haftung der Gesellschaft für Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften über den Rang der daraus resultierenden Ansprüche im Insolvenzfall noch nichts ausgesagt. Darauf kann im vorliegenden Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Teile der Lehre in Deutschland plädieren jedenfalls dafür, nach dem Vorbild des US Bankruptcy Code 11 USC 510b im Falle der Insolvenz die Ansprüche der geschädigten Aktionäre iSd § 39 InsO im Rang hinter die Forderungen der Fremdgläubiger zurücktreten zu lassen.

 

Für eine Befassung des EuGH zur Klärung der Vereinbarkeit von Schadenersatzansprüchen von Aktionären gegen die Gesellschaft iZm Kursmanipulationen und Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht mit Art 15 der Kapital-Richtlinie besteht kein Anlass.

 

Einerseits lassen die vom OGH anzuwendenden nationalen Regelungen nach Auffassung des erkennenden Senats keinen Interpretationsspielraum. Hier ist auf die vorstehenden Überlegungen zu verweisen. Dem österreichischen Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, die zivilrechtlichen Implikationen der von der weitaus überwiegenden Lehre als Schutzgesetze angesehenen Bestimmungen des BörseG verkannt zu haben und daraus resultierende Schadenersatzansprüche gerade gegen die Gesellschaft als in der Regel mit Abstand zahlungskräftigster Schuldnerin nicht gewähren zu wollen.

 

Vor allem aber ist ein Widerspruch zwischen der dargestellten innerstaatlichen Rechtslage und Unionsrecht nicht zu erkennen. In der literarischen Diskussion wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass der europäische Normsetzer für die Prospekthaftung und die Regelpublizität entweder eine Emittentenhaftung oder eine Organaußenhaftung verlangt (Art 6 der Prospektrichtlinie - RL 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 11. 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der RL 2001/34/EG, ABl 2003 L 345/64 bzw Art 7 Transparenzrichtlinie - RL 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der RL 2001/34/EG, ABl 2004 L 390/38).

 

Dabei kann nicht unterstellt werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Implikationen der sogar als erste Alternative angeführten Emittentenhaftung auf den Kapitalerhaltungsgrundsatz übersehen hat. Im Übrigen wäre eine Annahme einer umfassenden Organaußenhaftung für Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften als Alternative zur Emittentenhaftung in Anbetracht des Umstands, dass in neuerer Zeit zwei einschlägige Gesetzesinitiativen, die eine Organaußenhaftung für grob fahrlässige unrichtige Kapitalinformationen vorsehen wollten, letztlich nicht Gesetz wurden (vgl die Ministerialentwürfe zur BörseG-Novelle 2004 und zum GesRÄG 2005), nur schwer zu begründen. Damit kommt der Emittentenhaftung aber gerade auch unter dem Aspekt des Unionsrechts besondere Bedeutung zu. Derartigen Ansprüchen geschädigter Anleger, die nach dem Gesagten ihre Wurzel gerade nicht im Gesellschaftsverhältnis selbst haben, steht das unionsrechtliche Kapitalerhaltungsprinzip gerade nicht entgegen.

 

Auch der rechtsvergleichende Befund stützt dieses Auslegungsergebnis. Die kapitalmarktrechtliche Haftung genießt in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vorrang vor der Kapitalerhaltung. Dabei kommt va der Rsp des deutschen BGH besondere Bedeutung zu, ist doch anerkannt, dass die Konzeption der Kapital-RL maßgeblich auf der deutschen Rechtstradition beruht. Der deutsche BGH sah aber - wie ausgeführt - Schadenersatzansprüche iZm dem Erwerb von Aktien auf dem Sekundärmarkt als mit dem Kapitalerhaltungsgrundsatz vereinbar an; dieses Ergebnis findet auch im deutschen Schrifttum weithin Zustimmung. Aus diesem Grund ist der Auffassung, wonach auf Ebene des Europarechts von einem Vorrang des Verbots der Einlagenrückgewähr auszugehen sei, nicht zu folgen.

 

Für das fortgesetzte Verfahren ist zu beachten, dass ein Feststellungsbegehren wegen Subsidiarität der Feststellungsklage dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn bereits ein entsprechender Leistungsanspruch erhoben werden kann. Dies bedeutet im vorliegenden Zusammenhang, dass ein Feststellungsbegehren nicht in Betracht kommt, wenn bereits ein Begehren auf Geldersatz oder Naturalrestitution möglich wäre. Nach mittlerweile stRsp ist, wenn der Kläger aufgrund der Fehlberatung von Seiten des Beklagten ein Finanzprodukt mit nicht gewünschten Eigenschaften erworben hat, der Schaden bereits durch den Erwerb eingetreten; die gebührende Naturalrestitution besteht dann grundsätzlich in der Rückübertragung des Finanzprodukts Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises. Auf die spätere Kursentwicklung des Finanzprodukts und die dafür maßgeblichen Gründe kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Hätte der Anleger bei richtiger Beratung die Anleihe nicht gekauft, hat er im Rahmen der Naturalrestitution Zug um Zug gegen Übertragung der Anleihen Anspruch auf Rückzahlung der zum Erwerb der Anleihen gezahlten Kaufpreise abzüglich der erhaltenen Zinszahlungen. Durch die Notwendigkeit, ein Leistungsbegehren im aufgezeigten Sinne zu erheben, wird die Möglichkeit des Anlegers, auf dem Rücken der beklagten Partei zu spekulieren, verhindert. Von dieser Rechtsprechungslinie, an der der OGH auch in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung 7 Ob 77/10i festgehalten hat, abzugehen, besteht trotz der in neuerer Zeit von M. Bydlinski daran geäußerten Kritik kein Anlass.

 

Diese Rsp wurde zwar anhand von fehlerhafter Beratung betreffenden Fällen entwickelt, sie lässt sich aber auf kapitalmarktrechtliche Verstöße übertragen. Dies entspricht auch der wohl überwiegenden Auffassung in Deutschland. Hier ist abermals auf die Entscheidung des deutschen BGH II ZR 287/02 zu verweisen. Lediglich bei §§ 37b, 37c WpHG wird teilweise nur ein Ersatz des Differenzschadens, nicht aber ein Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übertragung der Anteile für möglich gehalten.

 

Der Zulässigkeit der Naturalrestitution steht auch nicht das Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§§ 65 ff AktG) entgegen. Der deutsche BGH hat in seiner Entscheidung II ZR 287/02 ausgesprochen, dass einem Schadensausgleich in Form der Naturalrestitution nicht entgegensteht, dass die Gesellschaft gegen Erstattung des von den geschädigten Klägern aufgewendeten Kaufpreises die von diesen erworbenen Aktien übernehmen muss und dadurch formal gesehen - entgegen § 71 dAktG - eigene Aktien „erwirbt“. Auch insoweit habe das Integritätsinteresse der durch vorsätzlich sittenwidriges oder strafbares - der Gesellschaft zurechenbares - Handeln des Vorstands geschädigten Anleger auf Herbeiführung eines Zustands, der dem schadensfreien möglichst nahe kommt (§ 249 Abs 1 BGB), Vorrang vor dem - ähnlich wie § 57 AktG auch der Kapitalerhaltung bzw Vermögensbindung dienenden - Verbot des Erwerbs eigener Aktien (vgl § 71 Abs 2 Satz 2 AktG). Die Tatsache, dass es im Rahmen des gebotenen Schadensausgleichs zu einer Übernahme eigener Aktien durch die Gesellschaft kommen kann, sei lediglich Folge der Besonderheiten der kapitalmarktrechtlichen Naturalrestitution und als solche von der ersatzpflichtigen Gesellschaft hinzunehmen: Während die eigentliche Belastung des Vermögens der Gesellschaft durch die Pflicht zur Erstattung des von den Anlegern aufgewendeten Kaufpreises stattfinde, beruhe die Verpflichtung des Geschädigten, die etwa noch in seinem Besitz befindlichen Aktien Zug um Zug an den am Erwerb nicht beteiligten Schädiger herausgeben zu müssen, va darauf, dass ihm aus Anlass der Schädigung kein über den Ersatz des Schadens hinausgehender Vorteil („Bereicherungsverbot“) verbleiben soll. Haben die geschädigten Anleger etwa die Aktien schon (wieder) veräußert, so finde aus demselben Grund bei der Schadensabwicklung eine wertmäßige Anrechnung des aus dem Verkauf der Aktien erlangten Kaufpreises statt. Auch unter Wertungsaspekten wäre eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Fallkonstellationen - Schadenersatz bei zwischenzeitlichem Verkauf der Aktien, Ausschluss des Ersatzes bei deren Vorhandensein im Hinblick auf § 71 AktG - nicht gerechtfertigt, zumal der nur in der zweiten Variante auftretende Gesichtspunkt des „Erwerbs eigener Aktien“ mehr oder minder zufällig sei und im Übrigen durch den getäuschten Anleger durch jederzeit zulässigen Verkauf der Aktien vermieden werden könne. Dieser Rechtsansicht ist auch für das österreichische Recht zu folgen, zumal die Kapital-RL in Art 20 lit d ausdrücklich den Erwerb „auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder einer gerichtlichen Entscheidung zum Schutz der Minderheitsaktionäre“ privilegiert.

 

Der OGH hat in einer Reihe von fehlerhafter Anlageberatung betreffenden Entscheidungen bereits ausgesprochen, dass hypothetische Alternativanlagen zu berücksichtigen sind. Demnach kann der Auffassung, dem Anleger stehe jedenfalls der Ersatz des realen Schadens zu, der in der Differenz von Erwerbspreis und Veräußerungspreis der empfohlenen Produkte liege, nicht beigepflichtet werden. Es kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Anleger bei richtiger Aufklärung eine völlig risikolose Veranlagung vorgenommen hätte. Diese Überlegungen sind auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Daher wird im fortgesetzten Verfahren im Zuge der Kausalitätsprüfung zu klären sein, wie der Kläger bei ordnungsgemäßen Ad-Hoc-Informationen konkret disponiert hätte.

 

Zutreffend ging das Berufungsgericht auch davon aus, dass den Kläger die Beweislast dafür trifft, in welcher Form er sein Vermögen gegebenenfalls anderweitig veranlagt hätte. Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass auch Dullinger zumindest für den Fall, dass Schadenersatz für jenen Schaden verlangt wird, der durch den Nichterwerb der hypothetischen Alternativanlage entstanden ist, für die Beweislast des klagenden Anlegers eintritt.

 

Abschließend ist auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen: In der Literatur wurde bereits zu Recht auf die Gefahr einer Überkompensation hingewiesen, wenn dem Kläger der Kursdifferenzschaden ohne Rücksicht auf das von ihm zu vertretende allgemeine Marktrisiko zugesprochen würde. Vergleichbare Überlegungen hat Wendehorst für die Anlageberatung angestellt. Demnach kann der Geschädigte zwar Naturalrestitution begehren; er muss sich aber den „Vorteil“, der in der Rückabwicklung liegt, anrechnen lassen. Kursverluste, die nicht in Zusammenhang mit dem Beratungsfehler stehen, sind daher vom Anleger zu tragen. Diesen Überlegungen ist grundsätzlich beizupflichten. Mangels entsprechend konkreten Vorbringens und diesbezüglicher Feststellungen kann im vorliegenden Fall nicht beurteilt werden, ob der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch derartige Elemente eines allgemeinen, unabhängig von den behaupteten Kursmanipulationen und sonstigen Verstößen der beklagten Partei eingetretenen Marktrisikos beinhaltet.