VwGH: Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften – wirksames Kontrollsystem
Da gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen hat, kann es kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten
ASchG, BauV, § 5 Abs 1 VStG, § 9 VStG
GZ 2010/02/0297, 23.03.2012
In der Beschwerde wird ausgeführt, der Bauleiter habe seiner Überwachungspflicht auf der Baustelle dadurch entsprochen, dass er bei Beginn der Arbeiten am Tattag überprüft habe, ob der Arbeitnehmer D. P. das ihm übergebene Sicherheitsgeschirr (bestehend aus einem Gurt mit zwei Seilen und zwei Karabinern) angelegt habe. Eine Verpflichtung zu einer weitergehenden Überwachung dahin, dies auch nach der Mittagspause zu überprüfen, habe nicht bestanden. Es bedeute ein Überspannen der Überwachungspflicht, wenn der mit der Überwachung beauftragte Bauleiter mehrmals am Tag die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften überprüfen müsse. Vielmehr sei es ausreichend, wenn er dies am Beginn eines Arbeitstages tue.
Es wäre auch bei einem noch so ausgeklügelten und engmaschigen Kontrollsystem nicht aufgefallen, dass der Arbeitnehmer D. P. nach der Mittagspause statt des ihm übergebenen Sicherheitsgeschirrs ein anderes, nicht ausreichendes Sicherheitsgeschirr verwendet habe.
VwGH: Für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems ist es erforderlich ua aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, dh sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Stichprobenartige Überprüfungen der Baustelle und die Erteilung von Weisungen für das geforderte Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems zur Hintanhaltung von Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften reichen nicht aus.
Das entsprechende Kontrollsystem hat aber auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Es kann daher kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten.
Die F.-GmbH, deren handelsrechtlicher Geschäftsführer der Bf ist, hat zwar ein Kontrollsystem eingerichtet, das allerdings im Beschwerdefall nicht wirksam gewesen ist, weil der mit der Überprüfung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzverschriften beauftragte Bauleiter lediglich stichprobenartig in der Früh des Tattages die Einhaltung der einschlägigen Schutzvorschriften kontrollierte. Es stellt im Lichte der vorzitierten hg Judikatur entgegen den Beschwerdebehauptungen kein Überspannen der Anforderungen an das einzurichtende Kontrollsystem dar, wenn insbesondere bei Arbeiten, bei denen eine erhöhte Absturzgefahr von Arbeitnehmern besteht, eine stichprobenartige Kontrolle als nicht ausreichend beurteilt wird. Darüber hinaus vermag die Beschwerde nicht einsichtig darzulegen, weshalb es nicht hätte auffallen können, dass der Arbeitnehmer D. P. nach der Mittagspause ein anderes Sicherheitsgeschirr mit nur einem Sicherungsseil und einem Karabiner angelegt hatte.