21.05.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage des Schutzzwecks von § 16 Abs 1 lit b StVO iZm rechtswidrig nach links abbiegenden Überholten

§ 16 Abs 1 lit b StVO bezweckt nicht den Schutz des überholten Verkehrsteilnehmers, der in dieselbe Richtung fährt und vorschriftswidrig nach links abbiegt


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verkehrsrecht, Überholverbote, Geschwindigkeitsunterschied beim Überholen, rechtswidrig nach links abbiegender Überholter, Schutzzweck
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1311 ABGB, § 16 StVO

GZ 2 Ob 40/12i, 28.03.2012

 

OGH: Nach § 16 Abs 1 lit b StVO darf ein Lenker eines Fahrzeugs nicht überholen, wenn der Unterschied der Geschwindigkeiten des überholenden und des eingeholten Fahrzeugs unter Bedachtnahme auf allenfalls geltende Geschwindigkeitsbeschränkungen für einen kurzen Überholvorgang zu gering ist.

 

Das Gesetz schreibt weder bestimmte absolute noch bestimmte relative Geschwindigkeitsunterschiede beim Überholen vor. Auch die Rsp hat sich diesbezüglich nicht festgelegt. Danach wird der Forderung des Gesetzes nach einem kurzen und zügigen Überholvorgang nur dann entsprochen, wenn die Geschwindigkeit des Überholenden wesentlich höher ist als die des zu überholenden Fahrzeugs. Aus 8 Ob 32/76 ergibt sich implizit, dass bei 60 km/h des überholten Fahrzeugs 80 bis 85 km/h des überholenden Fahrzeugs ausreichend sind.

 

Da der Kläger für ein Verschulden des Erstbeklagten beweispflichtig ist, ist bei der festgestellten Differenzgeschwindigkeit von „unter 10 km/h“ von einem Wert nahe bei 10 km/h auszugehen. Somit wäre der Erstbeklagte ohnehin fast 25 % schneller als der Kläger gefahren.

 

Ob der Erstbeklagte unter diesen Umständen überhaupt gegen § 16 Abs 1 lit b StVO verstoßen hat, kann aber schon wegen des von den Vorinstanzen zutreffend verneinten Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen dem dem Erstbeklagten angelasteten Verstoß und dem eingetretenen Schaden dahingestellt bleiben.

 

Der Schutzzweck der Überholverbote nach § 16 Abs 1 lit a bis c und Abs 2 lit b StVO besteht zwar grundsätzlich nicht nur darin, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen, sondern auch darin, alle jene Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens an dem überholten Fahrzeug und beim Wiedereinordnen nach dem Überholen entstehen können.

 

Der OGH hat aber in bestimmten Konstellationen den Schutzzweck der genannten Überholverbote für eingetretene Schäden verneint. So bezieht sich das auch hier in Frage stehende Überholverbot gem § 16 Abs 1 lit b StVO nicht auf den benachrangten Querverkehr. Vergleichbar mit dem vorliegenden Fall bezweckt § 16 Abs 1 lit c StVO nicht den Schutz des Verkehrsteilnehmers, der in dieselbe Richtung fährt und vorschriftswidrig nach links abbiegt. Nach der Entscheidung 2 Ob 64/09i dient das Überholverbot nach § 16 Abs 1 lit a StVO (bei Gefährdung oder Behinderung anderer, insbesondere entgegenkommender Verkehrsteilnehmer oder bei ungenügendem Platz für ein gefahrloses Überholen) nicht dem Schutz des von links kommenden, wartepflichtigen Querverkehrs.

 

Ebenso bezweckt § 16 Abs 1 lit b StVO nicht den Schutz des überholten Verkehrsteilnehmers, der in dieselbe Richtung fährt und vorschriftswidrig nach links abbiegt. Dessen Schutz kann schon deshalb nicht bezweckt sein, weil eine hohe Differenzgeschwindigkeit zwischen überholendem und überholtem Fahrzeug bei dem zu erwartenden Zusammenstoß als Folge eines vorschriftswidrigen Linksabbiegens des Überholten in der Regel schwerwiegendere Folgen haben wird als eine geringe Differenzgeschwindigkeit.