OGH: Abgrenzung des streitigen vom außerstreitigen Verfahren – zur Auslegung des § 838a ABGB im Fall von Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Beschlüssen
Das Unterlassungsbegehren der Minderheit gegen die Durchführung einer mehrheitlich beschlossenen Maßnahme, das sich auf die Behauptung fehlerhafter Willensbildung stützt (hier: weil keine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung vorliege), ist im außerstreitigen Verfahren zu erledigen
§ 838a ABGB, §§ 825 ff ABGB, AußStrG
GZ 8 Ob 111/11y, 20.12.2011
OGH: Ob ein Begehren im außerstreitigen Verfahren oder im Prozess zu entscheiden ist, richtet sich nicht nach der Bezeichnung durch die Partei, sondern nach dem Inhalt des Begehrens und dem Parteivorbringen (§ 40a JN). Ist zweifelhaft, in welchem Verfahren eine Rechtssache zu behandeln und zu erledigen ist, so hat das Gericht darüber zu entscheiden. Von Bedeutung ist va der innere Sachzusammenhang des jeweils geltend gemachten Anspruchs mit einer entweder in die streitige oder in die außerstreitige Gerichtsbarkeit verwiesenen Materie. Ohne Einfluss ist hingegen, was der Gegner einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist. An diesen Grundsätzen hat auch § 838a ABGB nichts geändert.
§ 838a ABGB wurde mit dem FamErbRÄG, BGBl I 2004/58 geschaffen und trat mit 1. 1. 2005 in Kraft. Die Gesetzesmaterialien weisen unter Darstellung der früheren Rsp zur Frage, ob ein Anspruch im streitigen oder außerstreitigen Verfahren durchzusetzen ist, zunächst darauf hin, dass diesbezüglich „bisher relativ unklar und wenig einsichtig differenziert“ wurde. In den Materialien heißt es weiter:
„Dies führt allerdings dazu, dass es notwendig ist, nur von den Angaben des Antragstellers auszugehen, um den zulässigen Rechtsweg herauszufinden. In der Praxis zeigt sich, dass diese Abgrenzung den verfahrenseinleitenden Anträgen oft nicht ausreichend zu entnehmen ist. Derartige Unsicherheiten können immer wieder zu fruchtlosen Streitigkeiten führen, in denen der meritorische Rechtsschutz von der Frage, in welchem Verfahren er zu gewähren ist, überlagert wird. Es empfiehlt sich daher, solche Unwägbarkeiten durch eine eindeutige, Zuständigkeits- und Rechtswegstreitigkeiten nicht provozierende Regel möglichst auszuräumen.
Einige der Miteigentümerstreitigkeiten passen nicht recht in den Zivilprozess mit seinem strikten Zwei- Parteien-System. Zudem können in diesen Angelegenheiten rechtsvorsorgende und rechtsgestaltende Mehrparteienverfahren vorkommen. Darüber hinaus ermöglicht das neue Außerstreitverfahren auch kontradiktorische Entscheidungen. Aus diesen Gründen ist es für die hier in Frage stehenden Auseinandersetzungen besser geeignet als der Zivilprozess.“
In weiterer Folge präzisiert der Gesetzgeber in den Materialien seine der Schaffung des § 838a ABGB zu Grunde liegenden Erwägungen zur Abgrenzung der Verfahrensarten:
„Mit § 838a ABGB werden daher Streitigkeiten zwischen den Teilhabern einer Miteigentumsgemeinschaft über die Verwaltung und Benützung der gemeinschaftlichen Sache in das Außerstreitverfahren verwiesen. Das gilt für Streitigkeiten zwischen den Miteigentümern, nicht aber für Streitigkeiten mit Dritten. Auseinandersetzungen zwischen den Miteigentümern über die Bestellung, den Wechsel und die Enthebung eines Verwalters gehören künftig allein in das Außerstreitverfahren. Gleiches gilt etwa für Ansprüche eines Miteigentümers gegen die anderen Teilhaber aus von diesen beschlossenen Handlungen des Verwalters. Über den Anspruch auf Durchsetzung einer Mehrheitsentscheidung … oder den Anspruch auf Rechnungslegung gegen einen nicht der Gemeinschaft angehörigen dritten Verwalter ist dagegen weiterhin im Prozess zu entscheiden.
In das Außerstreitverfahren fallen die mit der Verwaltung und Benützung unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten der Teilhaber. Das betrifft jedenfalls die dem Richter nach den §§ 833 bis 838 ABGB zukommenden Aufgaben, aber auch Streitigkeiten aus einer Benützungsregelung, den Anspruch auf Rechnungslegung und auf die Verteilung des Erlöses zwischen den Miteigentümern (§ 830 Satz 1 ABGB) sowie die Verteilung des Nutzens und des Aufwandes unter ihnen (§ 839 ABGB). Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Auseinandersetzung der Teilhaber eine Vereinbarung zu Grunde liegt oder nicht. In beiden Fällen ist der Außerstreitrichter zur Verhandlung und Entscheidung berufen.
Die Verweisung in das Außerstreitverfahren erstreckt sich aber nur auf die mit der Verwaltung und Benützung unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten. Ansprüche, die nicht nur auf das Miteigentumsverhältnis, sondern darüber hinaus auch noch auf weitere Rechtsgrundlagen gestützt werden (etwa ein Besitzstörungsanspruch, ein Schadenersatzanspruch, ein Bereicherungsanspruch oder ein auf das Nachbarrecht gestützter Unterlassungsanspruch zwischen Miteigentümern), sind weiterhin im streitigen Verfahren geltend zu machen. Die Teilung der Miteigentumsgemeinschaft kann ebenfalls nur im streitigen Verfahren verlangt und durchgesetzt werden.“
Die Klägerin wendet sich mit ihrem Unterlassungsbegehren gegen eine ihrem Vorbringen nach zwar mehrheitlich, aber unwirksam beschlossene Maßnahme der Beklagten. Die Materialien enthalten zwar keine Ausführungen zu einem solchen Begehren, sie halten jedoch zum (umgekehrten) Anspruch auf Durchsetzung einer Mehrheitsentscheidung fest, dass darüber im streitigen Rechtsweg zu entscheiden sei.
Nach der Rsp sind Streitigkeiten zwischen den Miteigentümern über die mit der Verwaltung und Benützung der gemeinsamen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten ganz allgemein im Außerstreitverfahren zu entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn der Auseinandersetzung eine Vereinbarung der Miteigentümer zu Grunde liegt. So hat beispielsweise die Ersetzung der fehlenden Zustimmung eines Miteigentümers zur Aufkündigung eines Bestandvertrags durch den Außerstreitrichter zu erfolgen. Auch Ansprüche der Miteigentümer gegen einen der ihren, der auch die Verwaltung der gemeinschaftlichen Sache übernommen hat, sind im Außerstreitverfahren durchzusetzen. Das Begehren auf Feststellung einer Benützungsregelung ist auch dann im außerstreitigen Rechtsweg zu verhandeln, wenn sie iSd § 828 Abs 2 ABGB auch für die Rechtsnachfolger wirken soll.
Der OGH hat auch iZm behaupteten rechtswidrigen Eingriffen in das Eigentumsrecht im Verhältnis zwischen Miteigentümern bereits in mehreren Entscheidungen zu § 838a ABGB Stellung genommen:
In der Entscheidung 1 Ob 213/07s bejahte der OGH die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs für ein auf titellose Benützung gestütztes Räumungsbegehren eines Miteigentümers gegen (ua) einen anderen Miteigentümer. Dazu merkt Call an, dass nicht § 366 ABGB, sondern § 838a ABGB zur Anwendung gelange, sodass Räumungsansprüche wegen titelloser Benützung im Außerstreitverfahren durchzusetzen seien. Auch in der Entscheidung 10 Ob 53/08d wurde die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs für ein Räumungsbegehren bejaht, das die dortige Klägerin (Minderheitseigentümerin) auf ein einseitiges Abgehen von der bisherigen Benutzungsregelung und die alleinige titellose Benutzung durch die beklagte Miteigentümerin stützte.
Zum selben Ergebnis gelangte der OGH in der Entscheidung 3 Ob 144/08k. Er führte aus, dass eine Streitigkeit über die mit der Verwaltung und Benutzung der gemeinschaftlichen Sache zusammenhängenden Rechte und Pflichten iSd § 838a ABGB nicht vorliege, weil der erhobene Anspruch nicht allein auf dem Miteigentumsverhältnis beruhe, sondern auf einem rechtswidrigen Eingriff in das Miteigentumsrecht des Klägers, der nicht durch einen (jedenfalls durch keinen rechtswirksamen) Beschluss der Miteigentümer gedeckt war.
In 5 Ob 275/08i bejahte der OGH unter ausführlicher Darstellung von LuRsp die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs für eine von einem der Miteigentümer gegen den anderen erhobene Eigentumsfreiheitsklage. Er führte aus, dass Ansprüche wegen eigenmächtiger Veränderung der bisherigen Benutzungsverhältnisse durch einzelne Miteigentümer als rechtswidriger Eingriff in die Anteilsrechte der anderen nicht § 838a ABGB zu unterstellen sind, sondern dem streitigen Verfahren vorbehalten bleiben. Gegenstand dieser Entscheidung war ein Begehren auf Unterlassung des Parkens von Kraftfahrzeugen und Motorrädern auf einer „Allgemeinfläche“ und des Abstellens von Fahrnissen im Stiegenhaus eines im Mit- und Wohnungseigentum stehenden Wohnhauses. Anders als im nunmehr zu beurteilenden Fall war in dieser Entscheidung daher keine - weder wirksame noch unwirksame - Beschlussfassung oder Willensbildung der Miteigentümer zu beurteilen, sondern ausschließlich Ansprüche wegen eigenmächtiger Veränderung der bisherigen Benützungsverhältnisse durch einzelne Miteigentümer.
Nach ihrem maßgeblichen Vorbringen behauptet die Klägerin im konkreten Fall, dass die Beklagte ihr geplantes Vorgehen auf einen Beschluss der Miteigentümerversammlung stütze. Gerade gegen die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit dieser Beschlussfassung, die entgegen § 834 ABGB nicht einstimmig erfolgt sei, richtet sich nun das das Unterlassungsbegehren tragende Vorbringen der Klägerin. Es geht der Klägerin darum, dass die Beklagte sich nicht auf diesen Beschluss der Miteigentümerversammlung als Grundlage für die in Aussicht genommenen Sanierungsmaßnahmen stützen könne. Eine außerhalb des Miteigentumsverhältnisses bestehende Rechtsgrundlage macht die Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs nicht geltend.
Gegenstand des Verfahrens über das Hauptbegehren ist im konkreten Fall vielmehr ein Konflikt zwischen Miteigentümern über die gemeinschaftliche Nutzung der Liegenschaft und die damit zusammenhängenden Rechte, bzw - im Kern - ein Streit um die Wirksamkeit des in der Miteigentümerversammlung vom 19. 8. 2009 gefassten Beschlusses. Der geltend gemachte Anspruch, der in einem engen inneren Zusammenhang mit einem Streit über die mit der Benützung einer gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten iSd § 838a ABGB steht und auf keine weitere Rechtsgrundlage als das Miteigentumsverhältnis gegründet ist, ist daher im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden.