04.06.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Invaliditätspension und Rehabilitation

§ 255 Abs 6 ASVG ist dahin zu verstehen, dass sich der Gesetzgeber entschlossen hat, den Berufsschutz eines erfolgreich Rehabilitierten auf jenen Beruf zu übertragen, zu dem ihn die Rehabilitation befähigt hat


Schlagworte: Pensionsversicherung, Invaliditätspension, Berufsunfähigkeitspension, Rehabilitation, zumutbar, Berufsschutz
Gesetze:

§ 254 ASVG, § 255 ASVG, § 271 ASVG, § 273 ASVG, § 86 ASVG

GZ 10 ObS 47/12b, 12.04.2012

 

OGH: Es entspricht stRsp des erkennenden Senats, dass der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ auch für Versicherte gilt, denen ein Berufsschutz zukommt, und dass den gesetzlichen Bestimmungen eine Einschränkung dahingehend, dass dem Versicherten im Rahmen der beruflichen Rehabilitation nur eine Berufsausübung im Rahmen des (bisherigen) Verweisungsfeldes ermöglicht werden soll, nicht zu entnehmen ist. Die Rehabilitation knüpft somit nicht notwendigerweise am bisherigen Beruf an, sondern ermöglicht dem Versicherten auch die Ausbildung für eine neue berufliche Tätigkeit. Es kann demnach grundsätzlich auch zu einer Umschulung eines überwiegend in erlernten Berufen tätig gewesenen Versicherten auf einen anderen vergleichbar qualifizierten Beruf mit anderer Ausbildung und anderen zur Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten kommen. § 255 Abs 6 ASVG ist also dahin zu verstehen, dass sich der Gesetzgeber entschlossen hat, den Berufsschutz eines erfolgreich Rehabilitierten auf jenen Beruf zu übertragen, zu dem ihn die Rehabilitation befähigt hat.

 

Kommt der Versicherungsträger zu dem Ergebnis, dass er Rehabilitationsmaßnahmen gewährt, hat er über das Vorliegen der Invalidität zu entscheiden und gleichzeitig auszusprechen, dass die Invaliditätspension wegen Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation vorläufig nicht anfällt. Werden dem Versicherten Maßnahmen der Rehabilitation gewährt und sind ihm diese Maßnahmen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie der von ihm bisher ausgeübten Tätigkeit zumutbar, so fällt die Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit gem § 86 Abs 3 Z 2 ASVG erst dann an, wenn durch die Rehabilitationsmaßnahmen die Wiedereingliederung des Versicherten in das Berufsleben nicht bewirkt werden kann.

 

Dies gilt unabhängig davon, ob aufgrund eines „gewöhnlichen“ Pensionsantrags oder - wie hier - eines Antrags auf Weitergewährung der befristeten Pension (§ 256 ASVG) festgestellt wird, dass Invalidität bzw Berufsunfähigkeit zwar (nach wie vor) vorliegt, dem Versicherten aber Maßnahmen der Rehabilitation zu gewähren sind.

 

Wird solcher vom Pensionsversicherungsträger erlassener Bescheid durch Klage bei Gericht angefochten, ist - ausgehend vom Vorliegen des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit - im gerichtlichen Verfahren nur mehr zu prüfen, ob die im Anstaltsverfahren angebotene Maßnahme der Rehabilitation zumutbar ist oder nicht.

 

In diesem Fall fällt die Pension dem Versicherten gem § 86 Abs 3 Z 2 letzter Satz ASVG erst dann an, wenn durch die Rehabilitationsmaßnahmen - und nicht durch ihre Vereitelung - die Wiedereingliederung nicht bewirkt werden kann.

 

Eine solche Vereitelung liegt hier nach den im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren Feststellungen der Tatsacheninstanzen vor: Der Kläger beruft sich in der Zulassungsbeschwerde seiner außerordentlichen Revision weiterhin - zu Unrecht - darauf, es seien ihm (als gelerntem Fliesenleger) keine konkreten („zielführenden“) Rehabilitationsmaßnahmen vorgeschlagen worden, weil „anscheinend“ eine Umschulung bzw Anlernung in einen anderen Berufsbereich geplant gewesen sei. Es fehle daher am Anbot einer zumutbaren Rehabilitation.

 

Auszugehen ist von den Feststellungen der Vorinstanzen, dass der Kläger bei dem (offenbar) einzigen, von ihm als „Erstgespräch“ bezeichneten Beratungsgespräch „jede Beteiligung an [möglichen] Maßnahmen seiner beruflichen Rehabilitation kategorisch abgelehnt“ hat, obwohl es bei ihm im neurologisch-psychiatrischen Bereich zu einer „Besserung unter Therapie“ gekommen und der Kläger nunmehr eindeutig „schulbar, anlernbar und anweisbar“ und in der Lage ist, Rehabilitationsmaßnahmen mitzutragen bzw Ladungen zur Pensionsversicherungsanstalt Folge zu leisten.

 

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger erhebe den Vorwurf, die beklagte Partei hätte ihm keine konkrete und zumutbare Rehabilitationsmaßnahme vorgeschlagen, zu Unrecht, weil hiezu gerade der von ihm unbesucht gelassene Termin hätte dienen sollen, ist jedenfalls vertretbar. Sie liegt im Rahmen der dargestellten Rsp, von der die Vorinstanzen nicht abgegangen sind.