OGH: Art 9 ARB 2003 – zur Beurteilung der Erfolgsaussichten
Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren
Art 9 ARB 2003, § 63 ZPO
GZ 7 Ob 17/12v, 19.04.2012
OGH: In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen. Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist auf Grund einer Prognose - im Fall eines bereits laufenden Haftpflichtprozesses auf Grund einer nachträglichen Prognose - nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt. Feststellungen im Deckungsprozess über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, sind für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen werden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht. Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers nicht von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer Versicherungsschutz nur ablehnen, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Der Grundsatz in der Rechtsschutzversicherung, dass im Deckungsprozess die Beweisaufnahme und die Feststellungen zu im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen zu unterbleiben haben und daher dem Versicherer eine vorweggenommene Beweiswürdigung verwehrt ist, gilt allgemein und damit auch für die Prüfung der Frage, ob nach Art 9.2.2 ARB ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen.