11.06.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG

Für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung nach § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG kommt es nur auf die bloße Möglichkeit an, die vom Handelsvertreter neu aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen zu können (arg „Vorteile ziehen kann“), nicht jedoch darauf, dass der Unternehmer diese auch wirklich nutzbringend verwertet


Schlagworte: Handelsvertreterrecht, Ausgleichsanspruch, Vertragshändler, Prognosezeitraum
Gesetze:

§ 24 HVertrG

GZ 9 Ob 32/11p, 30.04.2012

 

OGH: Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gebührt dem Handelsvertreter nach § 24 Abs 1 HVertrG ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit er dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat (Z 1), zu erwarten ist, dass der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann (Z 2), und die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht (Z 3).

 

Entgegen der offenbaren Auffassung der Revisionswerberin kommt es für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung nach § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG nur auf die bloße Möglichkeit an, die vom Handelsvertreter neu aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen zu können (arg „Vorteile ziehen kann“), nicht jedoch darauf, dass der Unternehmer diese auch wirklich nutzbringend verwertet. Dem Unternehmer bleibt es unbenommen, seine Geschäftstätigkeit strategischen Änderungen zu unterziehen. Allfällige Misserfolge von Neuausrichtungen nach Vertragsbeendigung können aber nicht automatisch zu Lasten des Ausgleichsanspruchs gehen. Ob sie bei der Ausmittlung des Ausgleichsanspruchs eine Rolle spielen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Wie schon erwähnt, ist stets zu prüfen, ob und inwieweit die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung „aller Umstände“ der Billigkeit entspricht. Soweit es um die Zulässigkeit der Revision geht, genügt hier der Hinweis, dass nach der Lage des Falls nicht davon gesprochen werden kann, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Beendigung der Vertragsbeziehung gar keine vernünftige Möglichkeit mehr hatte, die von der Klägerin geschaffenen Verdienstchancen zu nutzen. Nach den Feststellungen hat die Klägerin für die Beklagte einen neuen Verkaufsstandort aufgebaut und der Beklagten neue Kunden zugeführt, sodass bei Aufkündigung des Vertrags durch die Beklagte zu erwarten war, dass sie auch noch nach der Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile aus der Tätigkeit der Klägerin ziehen kann. Weiterer Erörterungen bedarf es bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht. Die „unter Berücksichtigung aller Umstände … [nach] Billigkeit“ festzusetzende Ausgleichszahlung ist nämlich geradezu ein Musterbeispiel für eine nach dem jeweiligen Einzelfall zu treffende Billigkeitsentscheidung, weshalb sie - abgesehen von einer krassen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht, von der hier nicht ausgegangen werden kann, - regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage begründet.

 

Der Hinweis der Revisionswerberin, dass die Klägerin nicht geltend gemacht habe, dass die von ihr erzielte „Handelsspanne“ die Werterhöhung des Unternehmens (des Unternehmers) durch ihre Tätigkeit nicht abgedeckt habe, geht an der konkreten Fallgestaltung und dem Klagevorbringen vorbei. Die Überlegung der Revisionswerberin beruht auf Entscheidungen des OGH, in denen die analoge Anwendung des § 24 HVertrG auch auf Vertragshändler bejaht wurde. Für Vertragshändler ist typisch, dass sie - neben weiteren Voraussetzungen - im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Geschäfte tätigen. Unter Berücksichtigung ihrer Einkaufspreise beim Unternehmer erzielen sie beim Weiterverkauf im eigenen Namen und auf eigene Rechnung eine „Handelsspanne“, die im Einzelfall so beschaffen sein kann, dass sie auch die durch ihre Tätigkeit geschaffene Werterhöhung beim Unternehmer durch Überlassung des Kundenstamms deckt oder nicht.

 

Demgegenüber war die Klägerin nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig. Sie trat als „Shopmanagerin“ im Namen der Beklagten auf und verkaufte auf deren Rechnung. Sie erwirtschaftete keine „Handelsspanne“, sondern eine als „Entgelt“ („Gewinnanteil“) bezeichnete Provision. Der Ausgleichsanspruch soll das Vertragsverhältnis überdauernde Vorteile, die dem Unternehmer aus der vom Handelsvertreter zugeführten Kundschaft bleiben, abgelten. Ausnahmsweise mag (auch) eine Provision so beschaffen sein, dass sie die durch die Tätigkeit des Handelsvertreters geschaffene Werterhöhung des Unternehmens zur Gänze abdeckt. Diesbezüglicher (zusätzlicher) negativer Behauptungen der Klägerin bedurfte es aber nicht. Die Klägerin machte ohnehin geltend, dass sie für die Beklagte einen gut gehenden Verkaufsstandort aufgebaut habe, dessen Vorteile die Beklagte in Hinkunft allein nutzen wollte. Damit verneinte sie implizit, dass die von ihr schon empfangene Provision die Werterhöhung des Unternehmens durch ihre Tätigkeit gedeckt habe.

 

Der „Prognosezeitraum“ bestimmt sich nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts danach, wie lange sich die vom Handelsvertreter hergestellten Geschäftsverbindungen weiterentwickelt hätten, wenn der Vertretervertrag fortbestanden hätte. Dabei dienen die Umsätze im letzten Jahr vor Beendigung des Vertragsverhältnisses als Prognosebasis. Die Dauer des Prognosezeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; für „feste Formeln“ besteht auch insoweit kein Raum. In der bisherigen Rsp kommen va Prognosezeiträume von drei bis fünf Jahren vor. Dass der vom Berufungsgericht in diesem Rahmen angenommene Prognosezeitraum von vier Jahren unvertretbar wäre, ist nicht hervorgekommen. Entgegen der Befürchtung der Revisionswerberin hat das Berufungsgericht die bisherige Vertragsdauer nicht 1:1 auf den Prognosezeitraum übertragen. Dass die Prognose auf der bisherigen Vertragsbeziehung der Parteien aufbaut, ist naheliegend, sind doch Einschätzungen künftiger Entwicklungen umso eher möglich, je verlässlicher die Daten über Vergangenes sind.