18.06.2012 Zivilrecht

OGH: Massenveranstaltung – zur vertraglichen / außervertraglichen Haftung

Eine vertragliche Haftung greift nicht Platz, wenn ein Veranstalter eine Straße ohne individuelles Regelwerk, ohne Einzelbetreuung und ohne „organisierte Veranstaltung“ unentgeltlich zur Verfügung stellt, auch wenn die Veranstaltung beworben wird; den Veranstalter trifft die Verpflichtung, durch eine entsprechende Organisation erkennbare Gesundheitsgefahren für die Teilnehmer an der Freizeitveranstaltung, die sich aus Beschaffenheit und Zustand der Straßen ergeben, auszuschließen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Veranstalter, vertragliche / außervertragliche Haftung, unentgeltliches Überlassen einer Straße, Verkehrssicherungspflicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 6 Ob 122/11a, 24.05.2012

 

OGH: Die Annahme eines Vertragsverhältnisses zwischen den Streitteilen bekämpft die Rekurswerberin unter Verweis auf die Entscheidung des OGH 1 Ob 260/05z und damit, dass der vorliegende Sachverhalt nicht mit jenem der Entscheidung 6 Ob 304/02b, auf die sich das Berufungsgericht stütze, zugrundeliegenden vergleichbar sei. Sie habe die Veranstaltung auf ihrer Homepage einem unbestimmten Adressatenkreis gegenüber beworben, für die Teilnahme kein Entgelt verlangt und keine individuelle Betreuung der Teilnehmer geboten.

 

Die Annahme einer vertraglichen Haftung der Beklagten hat entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine hinreichende Grundlage im festgestellten Sachverhalt und im Vorbringen der Klägerin.

 

In der Entscheidung 1 Ob 260/05z hat der OGH ausführlich begründet, dass eine vertragliche Haftung nicht Platz greift, wenn ein Tourismusverband (als Wegehalter) einen Forstweg ohne individuelles Regelwerk, ohne Einzelbetreuung und ohne „organisierte Veranstaltung“ unentgeltlich zur Verfügung stellt, auch wenn der Weg in Prospekten und Radführern beworben wird; es greift diesfalls nur die Wegehalterhaftung ein.

 

Die Entscheidung 6 Ob 304/02b bejaht die Haftung des Organisators einer Wintersportveranstaltung nach Vertragsrecht auch bei unentgeltlicher Teilnahme an der Veranstaltung. Der Veranstalter bot neben dem Eisklettern Abfahrten auf einer Seilrutsche über eine Talsohle an („Flying Fox“). Am Startplatz hängte ein Betreuer die Gäste mit einem Seilrollengehänge in die beiden Startseile ein. Er hatte auch die Aufgabe, den Start freizugeben. Auf dem Landeplatz hatte ein zweiter Betreuer die Fahrt an ihrem Ende dosiert abzubremsen. Beide Betreuer - ausgebildete Bergführer - waren vom Veranstalter über ihre Aufgaben instruiert worden. Dieser Fall ist mit dem hier zu entscheidenden nicht vergleichbar. Die Klägerin hat gar nicht behauptet, dass die Beklagte Personen konkret zur Teilnahme einlud und die Straßen um den Wörthersee mit individuellem Regelwerk der Benützung und mit Einzelbetreuung zur Verfügung stellte. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Veranstaltung als Wettbewerb zwischen den Teilnehmern beworben und organisiert wurde. Die Teilnehmer hatten nicht einem individuellen Regelwerk, sondern den straßenpolizeilichen Vorschriften zu folgen. Dass die Beklagte dafür sorgte, dass bestimmte öffentliche Straßen zum Befahren mit Inline-Skates, Rädern und mit anderen nicht motorisierten Fortbewegungsmitteln für den Autoverkehr gesperrt wurden, entlang der Strecke Informations- und Verkaufsstände aufgestellt wurden und die Durchführung der Veranstaltung einer Organisation bedurfte, reicht in diesem Fall bei Unentgeltlichkeit der jedermann offenstehenden Benützung der Straßen nicht für die Bejahung einer vertraglichen Haftung der Beklagten aus.

 

Der Beklagten als Organisatorin der Massenveranstaltung erwuchs aus diesem Unternehmen die Verpflichtung, das Erforderliche für die Sicherheit der Teilnehmer zu veranlassen. Die Verkehrssicherungspflicht darf nicht überspannt werden, soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben. Sie findet ihre Grenze daher immer in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Als Ausrichterin der Veranstaltung traf die Beklagte die Verpflichtung, durch eine entsprechende Organisation Gesundheitsgefahren für die Teilnehmer an der Freizeitveranstaltung, die sich aus Beschaffenheit und Zustand der Straßen ergaben, auszuschließen, weil sie davon auszugehen hatte, dass die Teilnehmer zwar mit Fahrbahnausbesserungen rechnen mussten und sich darauf einzustellen hatten, aber infolge Eröffnung des Verkehrs mit nichtmotorisierten Fortbewegungsmitteln, mit denen üblicherweise Fahrbahnen nicht benützt werden, auch erwarten durften, mit diesen Geräten ausgebesserte Stellen ohne die Gefahr des Einsinkens und Steckenbleibens insbesondere mit Inline-Skates benützen zu können. Das hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.

 

Nach dem bisherigen Stand des Parteienvorbringens hängt die Bejahung einer außervertraglichen Haftung der Beklagten zunächst davon ab, ob bei einer gebotenen Kontrolle des Straßenzustands im Rahmen des vernünftigerweise Zumutbaren unter fachkundiger Berücksichtigung der bekannten Thermoplastizität von Bitumen erkennbar war, dass bei entsprechenden Temperaturen Inline-Skater, insbesondere auch Kinder, die von der Teilnahme nicht ausgeschlossen waren, bei Befahren der ausgebesserten Stelle im Lauf so gebremst werden können, dass sie in Sturzgefahr geraten, sodass Sicherungsmaßnahmen bei einer atypischen Gefahrenstelle zu treffen waren. Hierzu fehlen Feststellungen, die notwendig sind, wenn die von der Klägerin behauptete Sturzursache zutrifft.

 

In ihrem Rekurs beruft sich die Beklagte nicht mehr auf eine Haftungsfreiheit oder eine Einschränkung ihrer Haftung auf grobe Fahrlässigkeit infolge eines einseitig erklärten Haftungsausschlusses, sodass nicht dazu Stellung zu nehmen ist, ob dieser eine Haftungsbeschränkung bewirken kann.