18.06.2012 Zivilrecht

OGH: Amtshaftung iZm rechtswidriger Unterlassung sowie Unvertretbarkeit des Organhandelns

Liegt die Schadensursache in einer rechtswidrigen Unterlassung, hat der beklagte Rechtsträger zu beweisen, dass die für ihn zur Handlung berufenen Organe die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen hatten oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Tun eingetreten wäre


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Amtshaftung, rechtswidrige Unterlassung, unrichtige / vertretbare Rechtsauffassung, Verschulden, Familienrecht, Entziehung / Einschränkung der Obsorge, Gefährdung des Kindeswohls, Jugendwohlfahrtsträger
Gesetze:

§ 1 AHG, §§ 1295 ff ABGB, § 215 ABGB, § 176 ABGB

GZ 1 Ob 4/12p, 24.05.2012

 

OGH: Liegt die Schadensursache in einer rechtswidrigen Unterlassung, hat der beklagte Rechtsträger zu beweisen, dass die für ihn zur Handlung berufenen Organe die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen hatten oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Tun eingetreten wäre; steht die Übertretung eines Schutzgesetzes fest, kann sich der beklagte Rechtsträger von seiner Haftung nur noch befreien, wenn er mangelndes Verschulden seiner Organe nachweist. Das folgt aus § 1 Abs 1 AHG, wonach der in Anspruch genommene Rechtsträger für ein rechtswidriges Verhalten seines Organs nur haftet, wenn es auch schuldhaft ist. Im Amtshaftungsprozess ist daher zu prüfen, ob die Entscheidung bzw das Verhalten auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte. Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Eine solche liegt im Allgemeinen nur dann vor, wenn eine gravierende Fehlbeurteilung in der Einstufung einer Rechtsansicht als vertretbar durch die Instanzen im Amtshaftungsverfahren erfolgte.

 

Die Revisionswerberinnen lasten den Organen der Beklagten an, dass sie sofortige Maßnahmen iSe Entzugs der Obsorge nach §§ 215, 176 ABGB unterließen und verweisen dazu auf die nach den Feststellungen der Vorinstanzen den Behörden in den jeweiligen Anlassverfahren nach dem Inhalt ihrer Akten bekannten Vorgänge, die bereits in der Zeit bis einschließlich September 2001 zu ihrer Fremdunterbringung führen hätten müssen. Bereits das Berufungsgericht hat dazu eingeräumt, dass im Nachhinein gesehen ein anderes Vorgehen der Organe der Beklagten dem Wohl der Klägerinnen eher entsprochen hätte. Die Beurteilung, ob Organe der Jugendwohlfahrt bzw das Pflegschaftsgericht mit den tatsächlich getroffenen Entscheidungen in unvertretbarer Weise gegen ihre Pflichten verstoßen haben, hat aber aus einer ex ante Betrachtung zu erfolgen.