18.06.2012 Zivilrecht

OGH: Kündigung gem § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG – zur Frage, ob die Abwesenheit infolge Verbüßung einer zwanzigjährigen Haftstrafe die von der Rsp entwickelten Kriterien für das dringende Wohnbedürfnis „offenbar in naher Zeit“ erfüllt

Das Tatbestandsmerkmal „offenbar in naher Zeit“ kann auch durch Zeiträume, die ein Jahr erheblich übersteigen, verwirklicht sein


Schlagworte: Mietrecht, Kündigung, Weitergabe, dringendes Wohnbedürfnis „offenbar in naher Zeit“, Haft
Gesetze:

§ 30 MRG

GZ 3 Ob 69/12m, 15.05.2012

 

Die Vorinstanzen erklärten die auf § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG gestützte Aufkündigung für rechtswirksam, weil der Mieter infolge Verbüßung der rechtskräftig über ihn verhängten Haftstrafe von zwanzig Jahren den Mietgegenstand, den er zur Gänze weitergegeben habe, offenbar in naher Zeit nicht für sich oder eintrittsberechtigte Personen dringend benötige.

 

OGH: Unter dem Begriff „offenbar in naher Zeit“ wird nur ein konkreter zukünftiger Bedarf verstanden; dabei kommt es nicht so sehr auf den Zeitraum, sondern auf die gesicherte Zukunftsprognose an. Das Tatbestandsmerkmal „offenbar in naher Zeit“ kann auch durch Zeiträume, die ein Jahr erheblich übersteigen, verwirklicht sein. Kein schutzwürdiges Interesse an der aufgekündigten Wohnung besteht bei bloß unbestimmten und unsicheren Möglichkeiten eines künftigen Bedarfs. Die Beweispflicht dafür, dass er in naher Zeit die Wohnung dringend benötigt, trifft den Mieter.

 

Die Situation des aufgekündigten Beklagten ist dadurch gekennzeichnet, dass auf lange Sicht (rechtskräftige zwanzigjährige Freiheitsstrafe, von der er zum maßgeblichen Zeitpunkt der Weitergabe bzw der Aufkündigung, siehe RIS-Justiz RS0070701, erst einen geringen Teil verbüßt hat) in keiner Weise absehbar ist, ob der Beklagte die von ihm aufgegebene Wohnung wieder zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses benötigen wird. Weder ist das genaue Haftende einschätzbar, noch der Gesundheitszustand oder die sonstigen Lebensumstände des Beklagten, welcher zum Zeitpunkt des Haftantritts bereits 62 Jahre alt war. Es bildet daher keine vom OGH im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, wenn es unter diesen Umständen die Voraussetzungen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG verwirklicht ansah. Die vom Beklagten ins Treffen geführten Vorentscheidungen haben stets unvergleichlich kürzere Prognosezeiträume zum Gegenstand gehabt (berufliche Abwesenheiten, Ausbildungsdauer etc). Dass die Person, welche nunmehr die aufgekündigte Wohnung bewohnt, nicht eintrittsberechtigt iSd § 14 Abs 3 MRG ist, ist im Revisionsverfahren unbestritten.