OGH: Zur Frage, inwieweit bei psychischen Dauerfolgen ohne Krankheitswert ein schadenersatzrechtliches Feststellungsinteresse besteht
Verbleibt beim Geschädigten als unfallskausale Dauerfolge eine geringere psychische Belastbarkeit, als sie vor dem Unfall gegeben war, so könnte sie im Zusammenwirken mit künftigen Ereignissen von ähnlicher Bedeutung ursächlicher Beitrag für das Entstehen einer neuerlichen psychischen Erkrankung sein; die „rechtlich-praktische“ Bedeutung eines Feststellungsurteils kann somit nicht wirklich zweifelhaft sein
§§ 1295 ff ABGB, § 228 ZPO
GZ 2 Ob 113/11y, 15.05.2012
OGH: Nach stRsp ist ein schadenersatzrechtliches Feststellungsbegehren stets zulässig, solange der Eintritt künftiger Schäden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Schon die Möglichkeit künftiger Schäden rechtfertigt die Erhebung einer Feststellungsklage, die nicht nur den Ausschluss der Gefahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde und dem Umfang nach dient. Diese Voraussetzung wird insbesondere dann bejaht, wenn die Unfallfolgen noch nicht abgeklungen sind und eine weitere ärztliche Behandlung notwendig ist, Dauerfolgen bestehen oder wenn die Möglichkeit von Spätfolgen nicht gänzlich mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden kann.
Im vorliegenden Fall sind die als Folge des Unfalls (Kollision mit Pkw auf einem Bahnübergang) vom 9. 6. 2008 aufgetretenen psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert zwar zur Gänze ausgeheilt, weshalb „allein“ aus diesem Ereignis eine Verschlechterung des Zustands des Klägers (Lokführer) oder das Auftreten von Spätschäden ausgeschlossen ist. Für „künftige Ereignisse“ hat der Kläger aber eine „schlechtere Ausgangslage“, nämlich eine „erhöhte psychische Belastungsschwelle“.
Das Berufungsgericht hat diese erstinstanzlichen Feststellungen in vertretbarer Weise dahin interpretiert, dass beim Kläger als unfallskausale Dauerfolge eine geringere psychische Belastbarkeit, als sie vor dem Unfall gegeben war, verblieb. Mag dieser Dauerfolge für sich allein die Eignung zur Herbeiführung künftiger Schadensfolgen aus dem Unfall fehlen, so könnte sie im Zusammenwirken mit (in den Feststellungen nicht näher eingegrenzten) künftigen Ereignissen von ähnlicher Bedeutung dennoch ursächlicher Beitrag für das Entstehen einer neuerlichen psychischen Erkrankung sein. Derartige Spätfolgen sind auch nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht mit Sicherheit auszuschließen.
Es erscheint zumindest möglich, dass die beklagten Parteien für künftige psychische Schäden des Klägers einzustehen haben. Die „rechtlich-praktische“ Bedeutung eines Feststellungsurteils kann somit nicht wirklich zweifelhaft sein.
Die beklagten Parteien weisen zwar zutreffend darauf hin, dass die Grenze der psychischen Belastbarkeit des Klägers auch schon durch die Vorunfälle sukzessive herabgesetzt worden ist. Inwieweit diesem Umstand bei allfälligen künftigen psychischen Schäden des Klägers Rechnung zu tragen wäre, ist für die hier vorzunehmende Beurteilung des Feststellungsinteresses jedoch nicht relevant. Dies gilt ebenso für die in der Revision angeschnittene Frage, ob und in welchem Ausmaß die beklagten Parteien bei späteren psychischen Beeinträchtigungen des Klägers tatsächlich zu haften hätten:
In jedem Fall, in dem die Ersatzpflicht für künftige Schäden festgestellt wird, bezieht sich die Feststellung notwendigerweise nur auf die des haftungsbegründenden Verhaltens, nicht aber auf die eines in Zukunft mit Sicherheit konkret zu erwartenden Schadens und des Bestehens eines Kausalzusammenhangs. Mit einem Feststellungsurteil wird daher wohl die Ersatzpflicht des Haftenden festgelegt, nicht aber welche künftige Schäden von ihm zu ersetzen sind. Auch bei Vorliegen eines positiven Feststellungsurteils muss im folgenden Leistungsprozess geprüft werden, ob der geltend gemachte Schaden von der Ersatzpflicht umfasst ist, insbesondere also, ob - und in welchem Ausmaß - das haftungsbegründende Verhalten für den Schaden ursächlich war. Das Feststellungsurteil entfaltet für die Unfallskausalität der in einem (späteren) Leistungsprozess geltend gemachten Schäden somit noch keine Bindungswirkung.