VwGH: Haftung für Beitragsschulden gem § 67 Abs 10 ASVG (iZm Mitgeschäftsführer)
Besteht der Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Geschäftsführers Missstände vorliegen, dann muss sich der Geschäftsführer einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden; eine Verletzung dieser Pflicht liegt vor, wenn der von der Wahrnehmung der zu erfüllenden Pflichten entbundene Geschäftsführer trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen; haftungsbegründend ist auch die vorwerfbare Unkenntnis von Pflichtverstößen des anderen Geschäftsführers
§ 67 Abs 10 ASVG, § 111 ASVG, § 153c StGB, § 15 GmbHG, § 25 GmbHG
GZ 2010/08/0193, 23.05.2012
VwGH: Gem § 67 Abs 10 ASVG haften (ua) die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Nach der Rsp des VwGH gehört zu den den Vertretern auferlegten Pflichten iSd § 67 Abs 10 ASVG nicht auch die allgemeine, die Vertreter der Beitragsschuldner gegenüber den Beitragsgläubigern treffende Pflicht, aus den von ihnen verwalteten Mitteln für die Abfuhr der Beiträge zu sorgen. Vielmehr sind unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" iS dieser Gesetzesstelle im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese im § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs 2 ASVG (vgl nunmehr § 153c Abs 2 StGB) umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten durch einen gesetzlichen Vertreter kann daher, sofern dieser Verstoß verschuldet und für die gänzliche oder teilweise Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung kausal ist, zu einer Haftung gem § 67 Abs 10 ASVG führen. Für nicht abgeführte, aber einbehaltene Dienstnehmeranteile bzw für Beitragsausfälle, die auf schuldhafte Meldepflichtverletzungen zurückzuführen sind, hätten die Geschäftsführer der GmbH der vorliegenden Beschwerdeverfahren ohne Bedachtnahme auf die Frage der Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern und ohne Bedachtnahme auf die bei Fälligkeit oder bei tatsächlich erfolgter Lohnzahlung noch vorhandenen Mittel im Ausmaß der Uneinbringlichkeit dieser Beiträge grundsätzlich zur Gänze zu haften.
Die belangte Behörde hat festgestellt, die Geschäftsführeragenden für die H. GmbH seien dahin geteilt worden, dass für die Erfüllung der Meldepflichten bzw für die Abführung der Beiträge der zweite Geschäftsführer, MSch., zuständig gewesen ist. Diese Aufgabenverteilung unter Geschäftsführern kann jedoch - wie der VwGH wiederholt dargelegt hat - selbst bei größter Spezialisierung nicht bewirken, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf das ihm zugeteilte Aufgabengebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr kümmern muss. Hinsichtlich der von den anderen Geschäftsführern unmittelbar betreuten Aufgabengebiete bleibt eine Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) und gegebenenfalls zur Schaffung von Abhilfe aufrecht. Besteht der Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Geschäftsführers Missstände vorliegen, dann muss sich der Geschäftsführer einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden. Eine Verletzung dieser Pflicht liegt vor, wenn der von der Wahrnehmung der zu erfüllenden Pflichten entbundene Geschäftsführer trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen. Haftungsbegründend ist auch die vorwerfbare Unkenntnis von Pflichtverstößen des anderen Geschäftsführers.
Eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Erfüllung der genannten Pflichten betrauten anderen Geschäftsführers kommt aber nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln. Ein solcher konkreter Anlass läge etwa vor, wenn der unzuständige Geschäftsführer Informationen über die problematische wirtschaftliche Lage der Beitragsschuldnerin erhalten hat, wenn ihm Informationen darüber vorliegen, dass sein Mitgeschäftsführer gegen seine Pflicht zur Berichtigung der Zuschläge verstoßen hatte oder wenn er sich schon bei der Übernahme seiner Funktion mit einer Einschränkung seiner Befugnisse einverstanden erklärt hat und diese Beschränkung dazu führt, dass er beitragsrechtliche (abgabenrechtliche) Pflichtverletzungen von vornherein nicht erkennen kann.
Der angefochtene Bescheid enthält keine Feststellungen darüber, welche konkreten Umstände beim Bf den Verdacht des Vorliegens von Pflichtverletzungen seines Mitgeschäftsführers hätten erregen müssen, was nach dem Gesagten eine besondere Überwachungs- bzw Überprüfungspflicht des Bf hätte nach sich ziehen können. Die belangte Behörde hat vielmehr die Auffassung vertreten, dass der Bf - auch ohne bestimmten Anlass - eine (ständige) Pflicht zur aktiven Überwachung und Überprüfung der Erfüllung der (beitragsrechtlichen) Pflichten durch seinen Mitgesellschafter getroffen hätte und dass eine bloße Nachfrage, ob alles in Ordnung sei, dieser Überwachungspflicht nicht genügt habe. Eine solche initiative Überwachungspflicht besteht jedoch im Verhältnis von Geschäftsführern zueinander nicht (vgl demgegenüber zur Überwachungspflicht gegenüber Personen, derer sich der Geschäftsführer zur Erfüllung seiner Aufgaben bedient, etwa die hg Erkenntnisse vom 20. September 2006, 2001/14/0202, und 2010/08/0076).