10.09.2012 Verfahrensrecht

OGH: (Zurückweisung der) Wiederaufnahmsklage und Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO

Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verschuldens des Klägers iSd § 530 Abs 2 ZPO ist nur dann möglich, wenn sich das Verschulden des Wiederaufnahmsklägers bereits aus den - als richtig angenommenen - Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt oder wenn in der Klage jede Behauptung fehlt, dass die Geltendmachung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittels im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich war


Schlagworte: Wiederaufnahmsklage, Zurückweisung, Verschulden
Gesetze:

§ 530 ZPO, § 535 ZPO, § 519 ZPO

GZ 3 Ob 70/12h, 14.06.2012

 

OGH: Gem § 535 ZPO sind für die Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die ein höheres Gericht im Zuge eines bei ihm anhängigen Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsverfahrens fällt, diejenigen Bestimmungen maßgebend, welche für dieses Gericht als Rechtsmittelinstanz maßgebend wären. Es gelten daher die Rekursbeschränkungen der §§ 519 und 528 ZPO. Wendet sich die Wiederaufnahmsklage gegen ein Urteil des Berufungsgerichts des Hauptprozesses, dann richtet sich die Anfechtung von im Wiederaufnahmsverfahren gefassten Beschlüsse des Berufungsgerichts nach § 519 ZPO und nicht nach § 528 ZPO. Die Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage, die sich gegen ein Urteil des Berufungsgerichts richtet, ist daher zufolge § 519 Abs 1 Z 1 ZPO unabhängig von der Höhe des Streitwerts jedenfalls anfechtbar.

 

Zutreffend ist das Berufungsgericht von der abstrakten Eignung der Beweismittel ausgegangen, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen, weil auch neue Hilfstatsachen, aus denen Schlüsse auf eine Haupttatsache gezogen werden können, in Betracht kommen.

 

Zu den in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrzunehmenden allenfalls fehlenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Wiederaufnahmsklage gehört auch der Mangel eines Verschuldens iSd § 530 Abs 2 ZPO. Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verschuldens des Klägers ist aber nur dann möglich, wenn sich das Verschulden des Wiederaufnahmsklägers bereits aus den - als richtig angenommenen - Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt oder wenn in der Klage jede Behauptung fehlt, dass die Geltendmachung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittels im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich war. Ob der Wiederaufnahmskläger die neuen Tatsachen oder Beweismittel schon im Vorprozess hätte geltend machen können, ist vor Anberaumung einer Tagsatzung nicht zu prüfen; hängt die Wahrnehmung eines solchen Verschuldens von strittigen Tatsachen ab, so ist nicht schon im Vorprüfungsverfahren (§ 538 ZPO), sondern erst in der mündlichen Verhandlung mit Urteil zu entscheiden.

 

Der Kläger behauptete in seiner Wiederaufnahmsklage, er habe von der Existenz des Aktenvermerks vom 27. November 2006 erstmals in der Berufungsverhandlung erfahren, dort habe ihn aber das im Berufungsverfahren geltende Neuerungsverbot gehindert, sich auf neue Beweismittel zu berufen, vom Memo eines Zeugen vom 24. November 2006 habe er erst mit E-Mail vom 7. März 2012 erfahren. Davor sei ihm die Existenz dieser Unterlagen nicht einmal erahnbar gewesen.

 

Zwar befasst sich die Zurückweisungsbegründung des Berufungsgerichts mit dem Aktenvermerk vom 27. November 2006 und verweist darauf, dass dieser dem Kläger bereits mit E-Mail vom 6. Dezember 2006 zugekommen sei, die Behauptung des Klägers, das Memo vom 24. November 2006 sei ihm erst am 7. März 2012 zur Kenntnis gelangt, bleibt aber unwiderlegt. Schon aus diesem Grund kommt die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen evidenten Verschuldens des Klägers an der verspäteten Geltendmachung des als maßgeblich angesehenen Beweismittels nicht in Frage. Hinzu kommt, dass die Beurteilung eines allfälligen Verschuldens des Klägers an einer verspäteten Berufung auf die nunmehr geltend gemachten Beweismittel auch im Hinblick auf sein schlüssiges Vorbringen zu den unterschiedlichen Beweisthemen in erster und zweiter Instanz des wiederaufzunehmenden Verfahrens nicht im Vorprüfungsverfahren erfolgen kann.

 

Die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage war daher zu beheben und dem Berufungsgericht die Verfahrensfortsetzung aufzutragen.