24.09.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Sozialwidrigkeit einer Kündigung – zur wesentlichen Interessenbeeinträchtigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG

Die prozentuelle Einkommenseinbuße ist auch mit Bezug auf das absolut bezifferte Gesamteinkommen zu sehen


Schlagworte: Arbeitsverfassungsrecht, Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit, wesentliche Interessenbeeinträchtigung, prozentuelle Einkommenseinbuße, Gesamteinkommen, Pensionsanspruch, Abfertigung
Gesetze:

§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG

GZ 9 ObA 54/12z, 22.08.2012

 

OGH: Nach stRsp hat das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung in § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG die Funktion, den Kündigungsschutz jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Bei der Untersuchung der Frage, ob durch die Kündigung eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen eintritt, ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers einzubeziehen. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Es entspricht ebenfalls stRsp, dass eine finanzielle Schlechterstellung allein für die Tatbestandsmäßigkeit nicht genügt. Diese muss ein solches Ausmaß erreichen, dass sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne dass aber schon eine soziale Notlage oder eine Existenzgefährdung eintreten müsste. „Normale Nachteile“, die im Regelfall mit jeder Kündigung verbunden sind, reichen nicht aus. Es müssen Umstände vorliegen, die über das normale Maß hinaus eine Kündigung für den Arbeitnehmer nachteilig machen.

 

Beim Tatbestandsmerkmal der „wesentlichen Interessenbeeinträchtigung“ ist nur auf die wesentlichen Lebenshaltungskosten, nicht aber auf Luxusaufwendungen abzustellen.

 

Bei der Beurteilung der für eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung maßgeblichen Einkommensreduktion ist nicht auf starre Prozentsätze abzustellen. Mag eine Einkommenseinbuße von 30 % bei einem geringen Einkommen für die Wesentlichkeit der Interessenbeeinträchtigung ausschlaggebend sein, muss dies bei einem höheren Einkommen noch nicht der Fall sein (9 ObA 142/90; s auch 9 ObA 8/05z [keine Interessenbeeinträchtigung bei einer Einkommenseinbuße von 40 % bei verbleibendem Betriebspensionsanspruch von rund 8.000 EUR]). Die prozentuelle Einkommenseinbuße ist daher auch mit Bezug auf das absolut bezifferte Gesamteinkommen zu sehen.

 

Ältere Arbeitnehmer sind zwar besonders geschützt; auch bei Kündigung eines älteren Arbeitnehmers ist aber in jedem Einzelfall besonders zu prüfen, ob er eines Kündigungsschutzes bedarf.

 

Im Hinblick auf Pensionierungen wurde bereits ausgesprochen, dass der Gesetzgeber einen gewissen Einkommensverlust bewusst in Kauf nimmt. Deshalb ist eine Kündigung infolge des Umstands, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Alterspension besitzt, idR nicht sozialwidrig, dies besonders dann nicht, wenn der Arbeitnehmer nach seiner Pensionierung noch zusätzlich durch betriebliche Pensionsleistungen abgesichert ist. Allerdings schließt ein Pensionsanspruch selbst bei Erreichen des Regelpensionsalters nicht von vornherein eine Interessenbeeinträchtigung aus. Es muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob der Arbeitnehmer seine Lebenserhaltungskosten auch nach Wegfall des Aktivbezugs aus der künftigen Pension allein oder iVm anderen Einkünften decken kann. Kann der Arbeitnehmer unter Einbeziehung seiner gesamten Lebensverhältnisse seine Lebenserhaltungskosten auch nach Wegfall des früheren Aktivbezugs aus der Pension decken, so liegt keine wesentliche Beeinträchtigung seiner Interessen vor.

 

Zur Frage der Berücksichtigung der Abfertigung stützte sich das Berufungsgericht auf den Rechtssatz RIS-Justiz RS0110945, wonach die Abfertigung kein Äquivalent für Bezüge aus einem Arbeitseinkommen sei. Der Abfertigung stehe der Verlust auf die Abfertigungsanwartschaft gegenüber. Wohl sei aber der Zinsertrag aus einer möglichen Veranlagung zu berücksichtigen.

 

Demgegenüber wurde in der Entscheidung 8 ObA 41/09a auch die Höhe der Abfertigung als Kriterium bei der Prüfung einer Interessenbeeinträchtigung genannt. Weiters wurde dort ausgeführt, dass der Umstand, dass die Betriebspension erst nach 18 Monaten regelmäßig anfalle, schon im Hinblick auf die erhebliche Abfertigung (dort: ca 70.000 EUR) kein durchschlagendes Argument darstelle, um eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage nachzuweisen.

 

Ob nach dieser Entscheidung generell der Kapitalbetrag der Abfertigung für die Bestreitung laufender monatlicher Aufwendungen heranzuziehen ist oder - wie das Berufungsgericht ausführt - danach weiterhin nur mögliche Zinseinkünfte aus der Veranlagung der Abfertigung berücksichtigt werden sollten, ist für den vorliegenden Fall aber nicht entscheidungswesentlich. Denn das laufende Einkommen des Klägers aus der Korridorpension und der Pensionskasse reicht unter Berücksichtigung des Pensionseinkommens seiner Ehefrau bereits dann zur Deckung der gesamten gemeinsamen Haushaltsaufwendungen und Lebenshaltungskosten, wenn man der Prüfung nur die möglichen Zinseinkünfte aus der Abfertigung (ca 300 EUR netto monatlich) zugrunde legt und vom Kläger auch keine vorzeitige Kreditrückzahlung mit den Mitteln der Abfertigung zur Reduktion seiner monatlichen Kosten verlangt. In diesem Fall stehen nämlich Einkünften von ca 3.670 EUR netto Ausgaben von rund 2.700 EUR gegenüber. Bei dieser finanziellen Situation ist der Kläger aber nach den dargestellten Grundsätzen der Rsp jedenfalls abgesichert und zur Aufrechterhaltung seiner Existenz auch nicht auf sein Arbeitseinkommen aus dem Dienstverhältnis zum Beklagten angewiesen.

 

Ob der Kläger daneben, wie das Erstgericht meinte, einen Teil der Abfertigung der Kreditrückzahlung widmen könnte, um monatliche Kreditkosten zu vermeiden, kann ebenso dahingestellt bleiben wie die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage nach der Berücksichtigung eines dem Kläger im Jahr 1999 abgefundenen Betriebspensionsanspruchs und dessen Verwendung.

 

Insgesamt gehen aus dem festgestellten Sachverhalt somit keine hinreichenden Umstände hervor, aufgrund derer der Kläger durch die klagsgegenständliche Kündigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG in wesentlichen Interessen beeinträchtigt wäre. Dies erübrigt eine Prüfung der Betriebsbedingtheit der Kündigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG.