VwGH: Bestrafung bei Rechtsänderungen nach abgeschlossener Tat
Art 7 EMRK gebietet es zwar, bei Änderung der Rechtslage nach der Begehung der Straftat die für den Beschuldigten mildere Strafe zu verhängen; es ist jedoch auch mit Blick auf Art 49 Abs 1 Grundrechte-Charta nicht geboten, von der Verhängung einer Strafe im Fall eines Verstoßes gegen eine konkrete Verhaltenspflicht, der zur Zeit seiner Begehung strafbar war, dessen Strafbarkeit nach Begehung der Tat, aber noch vor der Verhängung der Strafe weggefallen ist, abzusehen
§ 1 VStG, Art 7 EMRK, Art 49 Grundrechte-Charta
GZ 2012/09/0105, 06.09.2012
VwGH: Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 26. August 1998, 96/09/0288, Folgendes ausgeführt:
"Nach dem Art 7 Abs 1 EMRK kann niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.
Gem § 1 Abs 1 VStG kann als Verwaltungsübertretung eine Tat (Handlung oder Unterlassung) nur bestraft werden, wenn sie vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Nach dem Abs 2 dieser Gesetzesstelle richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Fällung des Bescheides erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre.
Rechtsänderungen nach abgeschlossener Tat berühren demnach bei Fehlen besonderer, gegenteiliger Übergangsbestimmungen die bereits eingetretene Strafbarkeit nicht und haben, wenn Taten der gleichen Art auch weiterhin strafbar bleiben, zufolge § 1 Abs 2 VStG nur hinsichtlich der Strafe die Folge, dass bis zur Fällung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses ein dem Täter günstigeres Recht zur Anwendung zu kommen hat. Selbst im Zuge des Berufungsverfahrens eingetretene Änderungen der Rechtslage sind im Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens demnach rechtlich unerheblich. Ein Straferkenntnis stellt fest, ob geltendes Recht verletzt wurde, dies kann aber nur nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht entschieden werden. Eine im Zeitpunkt der Änderung der Rechtslage bereits abgeschlossene Tat ist daher mangels anderer besonderer gesetzlichen Vorschriften strafbar geblieben."
Der VfGH hat in seinem Erkenntnis vom 8. März 2012, B 1003/11 ua, Folgendes ausgeführt:
" Nach Art 7 Abs 1 EMRK kann niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden. Nach der (neueren) Rsp des EGMR enthält Art 7 Abs 1 EMRK nicht nur das Verbot der rückwirkenden Anwendung strengerer Strafbestimmungen, sondern implizit auch das Prinzip der Rückwirkung milderer Strafgesetze auf frühere Taten (EGMR 17.9.2009, Fall Scoppola (Nr. 2), Appl. 10.249/03, Z 106, 109). In seinen Erwägungen zur Entwicklung eines Grundsatzes der Rückwirkung milderer Strafgesetze im Fall Scoppola zieht der EGMR ua Art 49 Abs 1 Grundrechte-Charta heran, wonach bei Einführung einer milderen Strafe nach Begehung einer Straftat diese zu verhängen ist, und er weist insbesondere auf dessen sich von Art 7 EMRK unterscheidenden Wortlaut hin. Im selben Sinn hat der EuGH bereits vor Inkrafttreten der Grundrechte-Charta ausgesprochen, dass es ein Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist, je nach Fall die günstigere Strafvorschrift und die leichtere Strafe rückwirkend anzuwenden, und dass dieser Grundsatz zu den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten gehört.
Der VfGH geht von jenem Inhalt des Art 7 EMRK aus, den der EGMR diesem zuletzt beigelegt hat. Im Lichte dessen gebietet es Art 7 EMRK zwar, bei Änderung der Rechtslage nach der Begehung der Straftat die für den Beschuldigten mildere Strafe zu verhängen. Es ist jedoch auch mit Blick auf Art 49 Abs 1 Grundrechte-Charta nicht geboten, von der Verhängung einer Strafe im Fall eines Verstoßes gegen eine konkrete Verhaltenspflicht, der zur Zeit seiner Begehung strafbar war, dessen Strafbarkeit nach Begehung der Tat, aber noch vor der Verhängung der Strafe weggefallen ist, abzusehen.
Eine andere Auslegung, derzufolge Art 7 EMRK in den Beschwerdefällen einer Bestrafung der Bf entgegenstünde, würde dazu führen, dass die Sanktionsbewehrung eines Gebots bereits einige Zeit vor dem Außerkrafttreten des Gebots beseitigt würde, dies mit der Konsequenz, dass der rechtstreue Normadressat im Ergebnis schlechter gestellt wäre als ein Rechtsunterworfener, der ein rechtswidriges Verhalten in Kauf nimmt."
Der VwGH teilt diese Beurteilung, sie trifft auch im vorliegenden Fall zu. Auch hier erfolgte die Beschäftigung der slowakischen Staatsangehörigen, wegen welcher der Bf bestraft worden ist, vor dem 1. Mai 2011 und auch der Bescheid der Behörde erster Instanz wurde vor diesem Datum erlassen. Die Strafbarkeit der bewilligungslosen Beschäftigung von dem Anwendungsbereich des AuslBG unterliegenden Ausländern ist auch nicht im Allgemeinen weggefallen, im Hinblick auf das Auslaufen der Übergangsfrist ist nur hinsichtlich der Strafbarkeit der bewilligungslosen Beschäftigung von Staatsangehörigen der am 1. Mai 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union außer Malta und Zypern eine Änderung eingetreten. Daher wurde der Bf im vorliegenden Fall in dem in der Beschwerde geltend gemachten subjektiv-öffentlichen Recht, nicht entgegen § 1 Abs 2 VStG bestraft zu werden, nicht verletzt.