OGH: Zur Frage des Übergangs eines Betriebs und der Übernahme der Arbeitsverhältnisse nach § 3 AVRAG im Falle einer nachträglichen Aufhebung des Unternehmenskaufvertrags wegen Arglist
Entscheidend ist die tatsächliche Übernahme des Betriebs; der Frage, ob zwischen dem alten und dem neuen Betriebsinhaber überhaupt eine vertragliche Beziehung besteht, kommt keine Relevanz zu
§ 3 AVRAG
GZ 9 ObA 144/11h, 22.08.2012
OGH: Nach stRsp spielt die Rechtsgrundlage des Betriebsübergangs keine Rolle und verliert das Fehlen einschlägiger Vertragsbeziehungen zur Vermeidung der Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs sein Gewicht, sofern die übrigen Merkmale des Betriebsübergangs deutlich ausgeprägt sind. Der Inhaberbegriff der Betriebsübergangsrichtlinie (2001/23/EG) bzw des § 3 AVRAG erfasst jede natürliche oder juristische Person, die für den Betrieb verantwortlich ist und gegenüber den im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberverpflichtungen eingeht.
Ob der Betrieb mit oder ohne Gegenleistung veräußert wird oder ob daran bloß ein dingliches oder schuldrechtliches Nutzungsrecht begründet wird, ist ebenso wenig entscheidend, wie die Frage, ob zwischen dem alten und dem neuen Betriebsinhaber überhaupt eine vertragliche Beziehung besteht. Entscheidend ist die tatsächliche Übernahme des Betriebs. Der Zeitpunkt des Betriebsübergangs ist - unabhängig von der Vereinbarung zwischen Erwerber und Veräußerer - nach objektiven Faktoren zu bestimmen und orientiert sich an der tatsächlichen Übernahme der arbeitsrechtlichen Organisation und Leitungsmacht. Derjenige, der einen Betriebsübergang behauptet, hat diesen auch zu beweisen.
Ausgehend davon kommt aber der Argumentation des Beklagten, die im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass sein Vertrag mit der Veräußerin ex tunc, also rückwirkend, aufgehoben worden sei, keine Relevanz zu. Geht es doch nicht um die rechtlichen Grundlagen des Übergangs, die - wie oben dargestellt - zwischen Betriebsübergeber und Betriebserwerber gar nicht vorhanden sein müssen, sondern um die faktische Übernahme der Leitungsmacht und die Ausübung der Arbeitgeberfunktionen. Dass der Beklagte diese Leitungsmacht über den Betrieb übernommen hat, ist völlig eindeutig. Dass die „Veräußerin“ nach Aufhebung des Unternehmenskaufvertrags den Betrieb faktisch wieder zurück genommen hätte, konnte der Beklagte nicht nachweisen. Welche Konsequenzen daraus im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der Veräußerin zu ziehen sind, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.