29.10.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Aufrechnung einer vorschussweise gewährten Ausgleichszulage iSd § 103 Abs 1 Z 3 ASVG iVm § 368 Abs 2 ASVG

Während eine Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 2 ASVG das Vorliegen eines Rückforderungstatbestands nach § 107 Abs 1 ASVG voraussetzt, das Recht auf Rückforderung nicht verjährt sein darf (§ 107 Abs 2 ASVG) und eine Aufrechnung überdies nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig ist, ist die Möglichkeit einer Aufrechnung von gewährten Vorschüssen iSd § 103 Abs 1 Z 3 ASVG nicht an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen geknüpft


Schlagworte: Aufrechnung, Vorschuss, Pensionsversicherung, Ausgleichszulage
Gesetze:

§ 103 ASVG, § 268 ASVG, §§ 292 ff ASVG

GZ 10 ObS 128/12i, 02.10.2012

 

Der Kläger macht geltend, auch bei einer Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 3 ASVG seien die Bestimmungen über die Verjährung bzw den Ausschluss des Rückforderungsrechts nach § 107 Abs 2 ASVG analog anzuwenden. Er habe keine Meldepflicht verletzt. Er habe auch nicht erkennen können, dass ihm die von der beklagten Partei an Ausgleichszulage geleisteten Vorschusszahlungen (teilweise) nicht zustehen, und habe daher diese Leistungen der beklagten Partei gutgläubig verbraucht. Weiters macht der Revisionswerber geltend, die Höhe der Abzugsrate sei vom Gericht überprüfbar. Der von der beklagen Partei vorgenommene monatliche Abzug sei unzulässig, sittenwidrig und rechtswidrig.

 

OGH: Im Rechtsmittelverfahren ist nicht mehr strittig, dass beim Kläger im Hinblick auf die von ihm im Zeitraum vom 1. 4. 2002 bis 30. 9. 2010 erhaltenen Vorschusszahlungen an Ausgleichszulage ein tatsächlicher Überbezug an Ausgleichszulage iHv 26.351,43 EUR entstanden ist. Strittig ist lediglich die Frage, ob die beklagte Partei für die Rückzahlung dieses Überbezugs gem § 103 Abs 1 Z 3 ASVG zur Aufrechnung einer monatlichen Rate iHv 236 EUR ab 1. 10. 2010 auf die von ihr an den Kläger zu erbringende monatliche Pensionsleistung berechtigt ist.

 

Es hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass zwischen der Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 107 ASVG und der Aufrechnung nach § 103 ASVG streng zu unterscheiden ist. Während § 107 ASVG dem Versicherungsträger unter den dort normierten Voraussetzungen das Recht einräumt, mit dem Rückforderungsbescheid eine Rückzahlungsverpflichtung zu schaffen, wird dem Versicherungsträger im § 103 ASVG nur die Möglichkeit der Aufrechnung auf die von ihm zu erbringende Geldleistung eingeräumt. Im vorliegenden Fall geht es um die Frage der Zulässigkeit einer Aufrechnung nach § 103 Abs 1 ASVG.

 

Nach § 103 Abs 2 ASVG ist die Aufrechnung nach Abs 1 Z 1 und 2 nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig, wobei jedoch der anspruchsberechtigten Person ein Gesamteinkommen in der Höhe von 90 % des jeweils in Betracht kommenden Richtsatzes nach § 293 verbleiben muss.

 

Während somit eine Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 2 ASVG das Vorliegen eines Rückforderungstatbestands nach § 107 Abs 1 ASVG voraussetzt, das Recht auf Rückforderung nicht verjährt sein darf (§ 107 Abs 2 ASVG) und eine Aufrechnung überdies nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig ist, ist die Möglichkeit einer Aufrechnung von gewährten Vorschüssen iSd § 103 Abs 1 Z 3 ASVG nicht an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen geknüpft. Dieses Recht des Versicherungsträgers, auf die von ihm zu erbringende Geldleistung von ihm gewährte Vorschüsse aufzurechnen, ohne dass es etwa eines Rückforderungstatbestands nach § 107 Abs 1 ASVG bedarf, entspricht dem Wesen eines Vorschusses als einer Leistung, von der mangels genügender Klärung des Sachverhalts von Anfang an unklar und unbestimmt ist, ob sie in dieser Höhe tatsächlich und endgültig gebührt (10 ObS 243/99d, SSV-NF 13/119 mwN zu der vergleichbaren Bestimmung des § 71 GSVG).

 

Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass es sich bei den von der beklagten Partei bevorschussten Zahlungen an Ausgleichszulage um einen Vorschuss nach § 368 Abs 2 ASVG gehandelt hat. Danach hat der Versicherungsträger, wenn er einen Bescheid zu erlassen hat, dies aber innerhalb der dafür vorgesehenen Frist nicht kann, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, und eine Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, die Leistung zu bevorschussen.

 

Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei die Zahlung der Ausgleichszulage an den Kläger zunächst bevorschusst, weil insbesondere im Hinblick auf die internationale Versicherungskarriere des Klägers und den für den Anspruch auf Ausgleichszulage ebenfalls maßgebenden Einkünften seiner Ehegattin ein aufwendiges Erhebungsverfahren durchzuführen war. Dem Kläger wurde bereits mit Schreiben der beklagten Partei vom 6. 12. 2002 zur Kenntnis gebracht, dass es sich bloß um einen Ausgleichszulagenvorschuss handle und über seinen Antrag auf Gewährung der Ausgleichszulage erst später endgültig entschieden werde. Auch in den weiteren Mitteilungen der beklagten Partei wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über die endgültige Höhe der Ausgleichszulage erst nach Abschluss der Erhebungen abgesprochen werden könne und die Verrechnung eines allfälligen Überbezugs im Wege einer Aufrechnung iSd § 103 ASVG vorbehalten werde. Damit musste aber auch der Kläger aus der hier vorliegenden Vorschussgewährung erkennen, dass ihm diese Leistung (je nach dem Ergebnis der Erhebungen) möglicherweise nicht gebühren werde. Ein gutgläubiger Verbrauch der Vorschusszahlungen durch den Kläger kommt daher nicht in Betracht.

 

Während nun der Gesetzgeber in § 103 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG eine Aufrechnung für den Fall, dass das Recht auf Einforderung bzw das Recht auf Rückforderung verjährt ist, ausdrücklich ausgeschlossen hat, hat er eine solche Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit hinsichtlich der gem § 368 Abs 2 ASVG gewährten Vorschusszahlungen (§ 103 Abs 1 Z 3 ASVG) nicht vorgesehen. Diese Differenzierung entspricht den Unterschieden in der Aufrechnung von Vorschüssen und von zu Unrecht erbrachten Geldleistungen. Während nämlich der Gewährung von Vorschussleistungen iSd § 368 Abs 2 ASVG im Allgemeinen kein Bescheid zugrunde liegt, insoweit auch kein durchsetzbarer Rechtsanspruch des Versicherten besteht und der Leistungsempfänger aus der Vorschussgewährung erkennen muss, dass ihm diese Leistung (je nach dem Ergebnis der Erhebungen) möglicherweise nicht gebühren wird, liegt den iSd § 107 Abs 1 ASVG zu Unrecht erbrachten Geldleistungen in der Regel ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch zugrunde, weshalb daher für den Versicherungsträger eine Rückforderung bzw eine Aufrechnung dieser Leistung nur bei Vorliegen der in § 107 Abs 1 ASVG näher umschriebenen Voraussetzungen möglich sein soll und das Recht auf Rückforderung nach § 107 Abs 2 ASVG auch nicht verjährt sein darf.

 

Die idR im Interesse des Anspruchswerbers gelegene Bevorschussung einer Leistung gem § 368 Abs 2 ASVG bedingt somit im Gegenzug, dass weder die in § 107 ASVG normierten Verjährungsfristen noch die im § 103 Abs 2 ASVG geregelten Aufrechnungsbeschränkungen Anwendung finden. Es liegt daher entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers insoweit keine planwidrige Gesetzeslücke vor, welche durch Analogie zu schließen wäre. Der vom Revisionswerber geäußerten Befürchtung, dem Versicherungsträger werde damit eine „gleichsam unendlich perpetuierte“ Rückforderungsmöglichkeit eingeräumt, ist entgegenzuhalten, dass, wie bereits erwähnt, eine Vorschussgewährung grundsätzlich im Interesse des Anspruchswerbers erfolgt und die Versicherungsträger in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden sind, sodass sie auch aus diesem Grunde um eine möglichst rasche Hereinbringung zu Unrecht oder überhöht ausbezahlter Vorschussleistungen bemüht sein werden. Die beklagte Partei ist daher im vorliegenden Fall zur Hereinbringung des entstandenen Überbezugs gem § 103 Abs 1 Z 3 ASVG zur Aufrechnung berechtigt.

 

Soweit der Revisionswerber unter Hinweis auf seine Einkommensverhältnisse die Höhe der von der beklagten Partei festgesetzten monatlichen Abzugsrate bekämpft, ist ebenfalls mit den Ausführungen des Berufungsgerichts darauf hinzuweisen, dass sich die Aufrechnungsbeschränkung des § 103 Abs 2 ASVG nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf die Aufrechnung mit Beitragsschulden und rückzuerstattenden Leistungen (§ 103 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG), nicht jedoch auf die Aufrechnung mit Vorschüssen oder Unterschiedsbeträgen bei Teilpensionen (§ 103 Abs 1 Z 3 und 4 ASVG) bezieht. Kommt aber - wie im vorliegenden Fall - die Aufrechnungsbeschränkung des § 103 Abs 2 ASVG nicht zur Anwendung, könnte grundsätzlich eine Aufrechnung auch in voller Höhe der zu erbringenden Leistung vorgenommen werden. Die Festlegung der Höhe der monatlichen Abzugsrate liegt daher im (pflichtgebundenen) Ermessen des Versicherungsträgers und kann nicht vom Gericht abweichend festgesetzt werden. Die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang ebenfalls gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens (Unterbleiben der Parteienvernehmung zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen) liegt daher nicht vor.

 

Es entspricht ebenfalls stRsp, dass die Aufrechnungsbestimmungen der Sozialversicherungsgesetze, hier also § 103 ASVG, als dem eigentlichen Exekutionsrecht vorrangige spezielle Normen zu betrachten sind und daher eine Aufrechnung in den pfändungsfreien Teil rechtlich zulässig ist. Es bleibt somit dem Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen, die Höhe der Abzugsrate auf relativ niedrigem Niveau festzulegen. Vom Revisionswerber werden keine inhaltlichen Argumente vorgetragen, welche den erkennenden Senat zu einem Abgehen von dieser stRsp oder zu der vom Revisionswerber auch angeregten Antragstellung an den VfGH veranlassen könnten. Es ist daher von den Versicherungsträgern im Rahmen der Ermessensübung jeweils im konkreten Fall zu prüfen, ob die Aufrechnung (in einem bestimmten Umfang) für den Versicherten eine soziale Härte darstellt. In diesem Sinne hat die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung angekündigt, die Ausführungen in der Revision zur gesundheitlichen und sozialen Situation des Klägers zum Anlass zu nehmen, die Höhe der Abzugsrate einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen.