OGH: Zur Frage der Ermittlung des Entgeltanspruchs von als freie Dienstnehmer fehlbehandelten Dienstnehmern
Das vereinbarte Entgelt kann dann, wenn es sich um einen Dienstvertrag handelt, nur als Bruttomonatsentgelt angesehen werden, auch wenn es unrichtig als Werklohn bezeichnet worden ist; ein Abzug der Dienstgeberbeiträge vom vereinbarten Betrag ist zu verneinen; für die Beiträge zur Mitarbeitervorsorgekasse, deren Last alleine der Arbeitgeber zu tragen hat, gilt nichts anderes als für die Dienstgeberbeiträge; erhielt der Arbeitnehmer auf Basis eines „freien Dienstvertrags“ „Honorare“ und wird festgestellt, dass er in Wahrheit kraft der Art und Gestaltung seiner Verwendung in einem echten Arbeitsverhältnis gestanden ist, das einem bestimmten Kollektivvertrag unterliegt, dann muss bei der Prüfung der Frage, ob er aufgrund dieses Kollektivvertrags noch offene Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber auf Sonderzahlungen hat, das gesamte von ihm bezogene „Honorareinkommen“ in Anschlag gebracht werden; die Urlaubsersatzleistung von als freie Dienstnehmer fehlbehandelten Dienstnehmern ist auf der Grundlage des vereinbarten Entgelts zu ermitteln; das gilt in gleicher Weise für die Berechnung von Überstundenzuschlägen und Feiertagsentgelten
§§ 1151 ff ABGB, § 4 Abs 4 ASVG, § 41 FLAG, § 6 BMSVG, § 12 UrlG, § 6 UrlG, § 1295 Abs 2 ABGB, § 879 ABGB
GZ 9 ObA 51/12h, 24.09.2012
Der Kläger bringt vor, die Beklagte habe ihn als „freien Dienstnehmer“ geführt, obwohl es sich nach der konkreten Ausgestaltung des Dienstverhältnisses um ein echtes Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Er habe nie bezahlten Urlaub verbraucht. Beiträge zur Mitarbeitervorsorgekasse seien nicht geleistet worden. Es hafteten Urlaubsersatzleistung aus.
OGH: Zur Abgrenzung ist voranzustellen, dass das Begehren des Klägers im Revisionsverfahren von keiner Seite als rechtsmissbräuchlich erachtet wird. Den Streitteilen ist auch ein grundsätzliches Bewusstsein der Unterscheidung zwischen freiem und echtem Dienstvertrag zu unterstellen, weil der Abschluss eines Angestelltenvertrags anstelle eines freien Dienstvertrags zwischen ihnen mehrfach thematisiert wurde. Erwägungen zu einer rechtsmissbräuchlichen Berufung des Klägers auf seine Arbeitnehmerstellung oder zum Revisionsvorbringen, dass die Beklagte dem Kläger ein freies Dienstverhältnis vorgetäuscht habe, sind danach nicht erforderlich.
In den vom Berufungsgericht genannten Entscheidungen 8 ObA 49/07z und 8 ObA 40/10f bestand kein Anlass, zur Frage einer Entgeltanpassung von als freie Dienstnehmer fehlbehandelten Dienstnehmern Stellung zu nehmen. Dennoch liegt dazu gesicherte Rsp des OGH vor, nach der nach der Art des geltend gemachten Anspruchs zu differenzieren ist:
Das Verhältnis von Dienstgeberbeiträgen zu einem in einem vermeintlich freien Dienstvertrag vereinbarten Stundenhonorar wurde bereits in der Entscheidung 9 ObA 185/97i klargestellt. Darin wurde - wenngleich bloß anlässlich der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision - ausgesprochen, dass das vereinbarte Entgelt dann, wenn es sich um einen Dienstvertrag handelt, nur als Bruttomonatsentgelt angesehen werden kann, auch wenn es unrichtig als Werklohn bezeichnet worden ist. Ein Abzug der Dienstgeberbeiträge vom vereinbarten Betrag wurde verneint.
Zu Sonderzahlungen ist es stRsp, dass es den Parteien des Arbeitsvertrags freisteht, durch eine über dem Mindestansatz des Kollektivvertrags liegende Entgeltvereinbarung eine Abgeltung von Sonderzahlungen vorzusehen. Erhielt daher der Arbeitnehmer auf Basis eines „freien Dienstvertrags“ „Honorare“ und wird festgestellt, dass er in Wahrheit kraft der Art und Gestaltung seiner Verwendung in einem echten Arbeitsverhältnis gestanden ist, das einem bestimmten Kollektivvertrag unterliegt, dann muss bei der Prüfung der Frage, ob er aufgrund dieses Kollektivvertrags noch offene Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber auf Sonderzahlungen hat, das gesamte von ihm bezogene „Honorareinkommen“ in Anschlag gebracht werden.
Anders sind nach stRsp Ansprüche auf eine Urlaubsersatzleistung zu beurteilen: Die zwingenden Regelungen über das Urlaubsentgelt sollen sicherstellen, dass der Arbeitnehmer den ihm zustehenden Urlaub auch tatsächlich konsumiert. Eine Vereinbarung, wonach das Urlaubsentgelt unabhängig vom Verbrauch des Urlaubs mit einem erhöhten laufenden Entgelt abgegolten werden soll, ist unwirksam. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass die Geltendmachung von Ansprüchen auf Urlaubsersatzleistung im Hinblick auf diese klare Zielsetzung des Gesetzgebers nicht einmal dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, wenn sie mit dem früheren Verhalten eines Arbeitnehmers im Widerspruch steht. Der Berechnung dieses Anspruchs ist daher die von den Parteien getroffene Entgeltabrede zugrundezulegen.
Das gilt in gleicher Weise für die Berechnung von Überstundenzuschlägen und Feiertagsentgelten.
Die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Ansicht von Kietaibl veranlasst zu keiner Abkehr von dieser Rsp:
Kietaibl führt aus, auch die bewusste Fehlbehandlung durch die Vertragsparteien ändere nichts an der Qualifikation als Arbeitsvertrag. Der Normzweck zwingender Vorschriften und die daraus abgeleitete (Teil-)Nichtigkeitsfolge sei nämlich der Parteiendisposition und damit auch dem Willen des Arbeitnehmers entzogen. Allerdings werde der tatsächlich geltende Arbeitsvertrag den ursprünglichen Äquivalenzvorstellungen der Parteien nicht mehr gerecht und weise daher, gemessen am ursprünglichen Parteiwillen und Vertragszweck, eine Lücke auf, weil das vorgesehene Entgelt nur für den Fall vereinbart gewesen sei, dass der Arbeitsvertrag als freier Dienstvertrag behandelt werde. Für den Fall, dass Arbeitsrecht zur Anwendung komme, hätten die Parteien in Wahrheit keine (zumindest der Höhe nach bestimmte) Entgeltabrede getroffen. Eine solche Vertragslücke sei mit dispositivem Recht, sonst durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Der Normzweck des zwingenden Arbeitsrechts stehe diesem Ergebnis nicht entgegen, weil das Arbeitsrecht dem Arbeitnehmer gewisse Mindestrechte, nicht aber eine unangemessen hohe Entlohnung sichern wolle. Zum selben Ergebnis kommt Kietaibl für den Fall, dass beide Vertragsparteien über die rechtliche Qualifikation des Vertrags irrten und die Beachtlichkeit eines Rechtsfolgenirrtums verneint wird.
Es ist stRsp, dass es für die Qualifikation einer Vereinbarung als freier oder echter Dienstvertrag weder auf die Bezeichnung durch die Parteien noch darauf ankommt, ob sie sich der rechtlichen Tragweite ihres Verhaltens bewusst waren. Maßgeblich ist vielmehr die tatsächliche Ausgestaltung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen. Die unrichtige Qualifikation der Art einer Dienstleistung ändert daher grundsätzlich nichts am Inhalt einer Vereinbarung, nach der für einen festgelegten Leistungsumfang ein bestimmtes Entgelt geschuldet wird.
Nicht zu verkennen ist, dass sich durch die Qualifizierung eines vermeintlich freien Dienstvertrags als echter Arbeitsvertrag der vereinbarte Leistungsumfang der Parteien zu Lasten des Arbeitgebers verschieben und aufgrund zwingender gesetzlicher Bestimmungen ein durchaus erhebliches Ausmaß erreichen kann.
Allgemein kann aber nicht schon dann vom Wegfall einer Entgelt- oder sonstigen Gegenleistungsvereinbarung und folglich vom Entstehen einer Lücke ausgegangen werden, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Leistungspflichten eines Vertragspartners geringer oder größer als ursprünglich vereinbart sind, obwohl es dadurch zweifelsfrei gegenüber der ursprünglichen Parteienabsicht zu einer Veränderung des Äquivalenzverhältnisses kommt (so kann ein Verkäufer nicht alleine deshalb nachträglich einen höheren Kaufpreis verlangen, weil er entgegen einem unwirksam vereinbarten Gewährleistungsausschluss doch gewährleistungspflichtig wird usw). Die aus einer Vereinbarung resultierenden unabdingbaren gesetzlichen Pflichten sind vielmehr nur die Rechtsfolgen der Vereinbarung. Da die Rsp einen Irrtum über Rechtsfolgen im Bereich des zwingenden Rechts schon unter Umgehungsaspekten als unbeachtlich ansieht, kann der Umstand, dass eine als freier Dienstvertrag bezeichnete Vereinbarung auch zwingende arbeitsrechtliche Verpflichtungen nach sich zieht, noch nicht dazu führen, dass im Gegenzug auch die Gegenleistung zu erhöhen wäre.
Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass die Parteien - mit oder ohne Umgehungsabsicht - ausdrücklich festgelegt haben, einen freien Dienstvertrag abschließen zu wollen und deshalb der Vertragstyp und die damit verbundene Rechtsfolge der Nichtanwendbarkeit des Arbeitsrechts jedenfalls zum Geschäftsinhalt gehörten, weil es gerade nicht auf die Bezeichnung der Vereinbarung ankommt und die Frage der Anwendbarkeit zwingenden Arbeitsrechts der Parteiendisposition entzogen ist.
Die Unbeachtlichkeit eines Rechtsfolgenirrtums erübrigt auch Erwägungen zu dem in der Revision angesprochenen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Sie könnten aber ohnehin nur auf von den Parteien nicht bedachte geschäftstypische Voraussetzungen bezogen werden, wozu weder die rechtliche Qualifikation eines Vertrags noch die Entgeltvereinbarung zählen.
Soweit Kietaibl meint, der Normzweck des zwingenden Arbeitsrechts stehe einer nachträglichen Entgeltanpassung nicht entgegen, weil damit nicht in zwingende Mindestrechte eingegriffen werde, so ist dem gerade im Hinblick auf die revisionsgegenständliche Urlaubsersatzleistung nicht zu folgen. Denn ein Arbeitnehmer, dem mit dem scheinbar freien Dienstvertrag ein überkollektivvertragliches Entgelt zugesagt wurde, kann durch die Perspektive einer nachträglichen Entgeltherabsetzung leicht von der Geltendmachung seiner Urlaubsansprüche abgehalten werden.
Zusammenfassend ist daher an der Rsp festzuhalten, dass die Urlaubsersatzleistung von als freie Dienstnehmer fehlbehandelten Dienstnehmern auf der Grundlage des vereinbarten Entgelts zu ermitteln ist.
Für die eingeklagten Beiträge zur Mitarbeitervorsorgekasse, deren Last alleine der Arbeitgeber zu tragen hat, gilt nichts anderes als für die oben erwähnten Dienstgeberbeiträge.
Dass die Beklagte aus dem Titel des Schadenersatzes zur Zahlung eines entsprechenden Betrags an den Kläger verpflichtet ist, wurde im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt.
Insgesamt hat das Erstgericht das Zahlungsbegehren des Klägers daher zu Recht als berechtigt erachtet. Danach war der Revision Folge zu geben und das Ersturteil im Hinblick auf das noch verfahrensgegenständliche Zahlungsbegehren wiederherzustellen.