OGH: Zwangsstrafenverfahren nach § 283 UGB
Zwangsstrafen sind auch dann zu verhängen, wenn die Vorlage von mehrere Jahre zurückliegenden Jahresabschlüssen erzwungen werden soll
§ 283 UGB, § 277 UGB
GZ 6 Ob 152/12i, 13.09.2012
OGH: Der OGH hat sich bereits in der Entscheidung 6 Ob 129/11f eingehend mit den Änderungen des Zwangsstrafenverfahrens nach § 283 UGB durch das Budgetbegleitgesetz 2011 auseinandergesetzt und insbesondere dargelegt, dass gegen die Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
Die Verhängung von Zwangsstrafen sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen den Geschäftsführer ist keine unzulässige Doppelbestrafung, weil in diesem Fall die mehrfache Verhängung von Geldstrafen bloß Folge des Umstands ist, das mehrere handlungspflichtige Rechtssubjekte den sie nach dem Gesetz treffenden Pflichten nicht nachkamen.
Im Zwangsstrafenverfahren nach § 283 UGB besteht kein Verbot der reformatio in peius, weil das Verfahren von Amts wegen eingeleitet wird (§ 55 Abs 2 AußStrG). Zwangsstrafen nach § 283 UGB sind keine Strafen iSd Art 6 EMRK, fallen doch unter den Begriff der „strafrechtlichen Anklage“ iS dieser Konventionsbestimmung jedenfalls keine Maßnahmen, die dazu dienen, die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen (Art 5 lit b EMRK), wie dies der VfGH in stRsp vertritt und dem keine Judikatur des EGMR entgegensteht. Im Übrigen entspricht das Zwangsstrafenverfahren nach § 283 UGB den Garantien des Art 6 EMRK.
Zwangsstrafen sind auch dann zu verhängen, wenn die Vorlage von mehrere Jahre zurückliegenden Jahresabschlüssen erzwungen werden soll. Der Einwand, die offenzulegenden Taten seien mittlerweile „obsolet“ geworden, ist unbegründet. Auch mehrere Geschäftsjahre zurückliegende Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse sind keineswegs für jeden daran Interessierten hinfällig geworden. Wenn sie nicht mehr offengelegt werden müssten, führte diese Argumentation zu dem vom Gesetzgeber keinesfalls gewünschten Ergebnis: Je länger ein Offenlegungspflichtiger die Erfüllung seiner Pflichten verweigert oder gar vereitelt, desto eher könnte er eine Erfüllung auf Dauer verhindern.
Es entspricht mittlerweile gefestigter Judikatur des OGH, dass § 283 UGB idF Budgetbegleitgesetz 2011 nicht gegen das Unionsrecht verstößt und die Offenlegungspflicht auch nach Inkrafttreten der Grundrechte-Charta keinen Verstoß gegen Unions-(Grund-)Recht(e) bildet. Die Bedenken des Vorabentscheidungsersuchens des OLG Innsbruck (EuGH C-418/11) werden vom OGH nicht geteilt.
Dass im Verfahren erster Instanz ein Rechtspfleger entschieden hat, nimmt dem Zwangsstrafenverfahren nach stRsp nicht die Qualität eines Tribunals iSd Art 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK.
Die Ausmessung der Zwangsstrafe hängt grundsätzlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Sie darf nicht zu niedrig angesetzt werden, weil sie sonst dem Zweck eines Druckmittels für die Erfüllung der Offenlegungsverpflichtung nicht mehr dienen könnte. Die Strafverhängung erfolgt typischerweise eher schematisch und aufgrund objektiver Kriterien. Es bedarf keiner Feststellungen über die Vermögenslage der Geschäftsführer. Jedenfalls dann, wenn aus dem Firmenbuchakt die Größenklassen nicht verlässlich beurteilt werden können, ist bei Nichtvorlage von Bilanzen und Unterlassung der Bekanntgabe der Größenmerkmale iSd § 282 Abs 2 UGB vom Vorliegen einer großen Gesellschaft auszugehen. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die gleichzeitige Verhängung mehrerer Zwangsstrafen für verschiedene (jeweils zweimonatige) Bestrafungszeiträume.