17.12.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses nach § 15 BAO

Gründe, aus denen der Arbeitnehmer bereits verwarnt wurde, können zwar bei späterer Wiederholung dieses Verhaltens noch im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens Berücksichtigung finden, der eigentliche Anlassfall für die Entlassung muss aber immer eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu begründen


Schlagworte: Berufsausbildungsrecht, vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses, Verwarnung, Mindestintensität des Anlassfalls
Gesetze:

§ 15 BAG

GZ 8 ObA 64/12p, 24.10.2012

 

OGH: Die außerordentliche Revision der Beklagten betont durchaus zutreffend, dass jede berechtigte Entlassung die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung für den Dienstgeber bzw Lehrherrn voraussetzt. Nicht jede, sondern nur eine erhebliche Pflichtverletzung berechtigt daher zur vorzeitigen Auflösung eines Lehrverhältnisses.

 

Die Frage, ob diese Schwelle durch ein bestimmtes Verhalten des Lehrlings überschritten wurde, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.

 

Die letzten konkret festgestellten Fälle verspäteten Erscheinens zum Unterricht fanden alle bereits im Jahre 2009 statt und waren, zusammen mit Beschwerden über schlechtes Benehmen des Klägers, am 28. September 2009 Anlass für die Erteilung einer förmlichen Verwarnung. Damit können dieselben Vorfälle aber nicht später neuerlich als Entlassungsgrund herangezogen werden. Wählt der Arbeitgeber die Sanktion einer bloßen Verwarnung, bringt er damit schlüssig einen Verzicht auf sein allfälliges Entlassungsrecht zum Ausdruck.

 

Gründe, aus denen der Arbeitnehmer bereits verwarnt wurde, können zwar bei späterer Wiederholung dieses Verhaltens noch im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens Berücksichtigung finden, der eigentliche Anlassfall für die Entlassung muss aber immer eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu begründen.

 

Unmittelbarer Anlass für die Entlassung des Klägers am 29. März 2010 war, dass er im praktischen Unterricht darauf bestanden hatte, ein Werkstück nicht wie aufgetragen mit einer Flexschere, sondern mit einer Lochschere zu bearbeiten; diese Missachtung von Anweisungen veranlasste seinen Lehrer zu einem umfassenden Beschwerdebrief. Dieser konkret für die Entlassung ausschlaggebende Vorfall kann aber objektiv nicht für so gravierend erachtet werden, dass deswegen eine Weiterbeschäftigung des Klägers für die Beklagte unzumutbar gewesen wäre, es mangelt bereits an der Mindestintensität des Anlassfalls.

 

Auf die im Rechtsmittel angesprochenen Fragen, ob Zuspätkommen zum Berufsschulunterricht an sich als besonders gravierende Pflichtenverletzung anzusehen ist, und inwieweit das Entlassungsrecht des Lehrherrn wegen fortgesetzten Fehlverhaltens des Lehrlings in der Berufsschule von Sanktionen der Schulleitung abhängt, kommt es daher im vorliegenden Verfahren nicht an.