VwGH: Sonderurlaub nach § 74 BDG
Im Falle der Verweigerung eines beantragten Sonderurlaubes hat die Dienstbehörde darzulegen, ob sie vom Fehlen der "Einstiegsvoraussetzungen" ausgeht und bejahendenfalls aus welchen Gründen; sofern sie im Ermessensbereich entscheidet, hat sie eine Abwägung der für und gegen die Gewährung des Sonderurlaubes sprechenden (privaten und öffentlichen) Interessen vorzunehmen und diese in nachvollziehbarer Weise zu begründen; der Umstand, dass die Arbeitskraft des Beamten während seiner Abwesenheit dem Dienstgeber nicht zur Verfügung steht, liegt in der Natur der Sache, und darf daher für sich genommen (auch im Wege einer Ermessensentscheidung) nicht dazu herangezogen werden, die Versagung von Sonderurlaub zu begründen
§ 74 BDG, § 60 AVG, § 1 DVG
GZ 2012/12/0029, 28.01.2013
VwGH: Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ziehen das rechtliche Interesse der Bf an einer Entscheidung über ihre Beschwerde ungeachtet des Verstreichens des fraglichen Tages, für den Sonderurlaub begehrt worden war, nicht in Zweifel.
Voraussetzungen für die Gewährung eines Sonderurlaubes sind jedenfalls - wie sich aus dem systematischen Zusammenhang und § 74 Abs 1 und 3 BDG ergibt - folgende:
1. ein Antrag des Beamten auf Gewährung des Sonderurlaubs,
2. das Vorliegen eines wichtigen persönlichen oder familiären Grundes oder eines sonstigen besonderen Anlasses,
3. Nicht-Entgegenstehen zwingender dienstlicher Interessen,
4. kein Übersteigen der dem Anlass angemessenen Dauer und
5. keine sonstigen gesetzlichen Hindernisse wie zB die fehlende Verpflichtung zur Dienstleistung für diesen Zeitraum (zB wegen Erholungsurlaub bzw Erkrankung, wegen angeordnetem Freizeitausgleich) oder das Vorliegen einer Nebentätigkeit.
Ist auch nur eine der genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, ist Sonderurlaub nicht zu gewähren; diesfalls besteht kein Ermessen der Dienstbehörde. Die Entscheidung über die Gewährung des Sonderurlaubes und seine Dauer (nach Maßgabe der oben unter 4. genannten Begrenzung) liegt daher erst dann im Ermessen der Dienstbehörde.
"Einstiegsvoraussetzungen" für die Gewährung eines Sonderurlaubes sind - neben einem diesbezüglichen Antrag des Beamten - das Vorliegen wichtiger persönlicher oder familiärer Gründe oder eines sonstigen besonderen Anlasses, dass der Sonderurlaub die dem Anlass angemessene Dauer nicht übersteigt und schließlich das Nichtentgegenstehen zwingender dienstlicher Erfordernisse. Diese Voraussetzungen sind von der Dienstbehörde in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen. Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kommt der Dienstbehörde Ermessen dahingehend zu, ob sie einen Sonderurlaub gewährt und bejahendenfalls in welcher Dauer. Bei dieser Ermessensübung ist nach stRsp des VwGH mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter des Sonderurlaubes ein strenger Maßstab anzulegen, weil andernfalls eine gleichheitswidrige Begünstigung einzelner Beamter eintreten könnte. Abgesehen von dieser "allgemeinen" Ermessensrichtlinie hat sich die Entscheidung über die Gewährung und die Dauer des Sonderurlaubes (im Rahmen der durch § 74 Abs 3 BDG vorgegebenen objektiven Obergrenze) von einer Abwägung aller im Einzelfall relevanten öffentlichen (insbesondere dienstlichen) und privaten Interessen leiten zu lassen. Liegt einer der in § 74 Abs 1 BDG umschriebenen Anlassfälle vor, so setzt eine negative Ermessensentscheidung voraus, dass der Gewährung des Sonderurlaubes entsprechend gewichtige öffentliche (insbesondere dienstliche) Interessen entgegen stehen, mögen diese dienstlichen Erfordernisse auch nicht zwingend sein. Die entsprechenden dienstlichen Interessen sind in der Ermessensentscheidung entsprechend konkretisiert darzustellen. Bei der Beurteilung der Frage, welches Gewicht den für die Gewährung des Sonderurlaubes aus einem wichtigen persönlichen oder familiären Grund oder aus einem sonstigen besonderen Anlass sprechenden Gründen gegenüber entgegen stehenden dienstlichen Interessen zukommt, sind auch für die Gewährung des Sonderurlaubes sprechende öffentliche Interessen von Belang.
Nach dem gem § 1 DVG auch im Dienstrechtsverfahren anzuwendenden § 60 AVG hat ein Bescheid über die Verweigerung eines Sonderurlaubes eine entsprechende Begründung aufzuweisen. Nach dieser Bestimmung sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die sich aus diesen gesetzlichen Bestimmungen ergebenden Begründungserfordernisse eines Bescheides umfassen die Verpflichtung der Behörde, in der Begründung in eindeutiger, der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise aufzuzeigen, von welchen konkreten Sachverhaltsannahmen sie bei ihrem Bescheid ausgegangen ist und worauf sich die getroffenen Tatsachenfeststellungen im Einzelnen stützen. Weiters sind die angestellten rechtlichen Erwägungen darzulegen. Im Falle der Verweigerung eines beantragten Sonderurlaubes hat die Dienstbehörde daher darzulegen, ob sie vom Fehlen einer der genannten "Einstiegsvoraussetzungen" ausgeht und bejahendenfalls aus welchen Gründen; sofern sie im Ermessensbereich entscheidet, hat sie eine Abwägung der für und gegen die Gewährung des Sonderurlaubes sprechenden (privaten und öffentlichen) Interessen vorzunehmen und diese in nachvollziehbarer Weise zu begründen.
Wie der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist, sah die belBeh die genannten "Einstiegsvoraussetzungen" für eine Gewährung von Sonderurlaub nach § 74 BDG als gegeben an, begründete jedoch die Versagung des Sonderurlaubs in Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens. Sie stellte dem Interesse der Bf an einem raschen, positiven Abschluss des Studiums dienstliche Interessen, die die Dienstbehörde erster Instanz ins Treffen geführt habe, gegenüber und gelangte schließlich zum Schluss, dass sie nicht erkennen könne, dass die Bf durch die Versagung des Antrages auf Sonderurlaub durch die Dienstbehörde erster Instanz in ihrem subjektiven Recht auf Ermessensübung iSd Gesetzes verletzt worden wäre. Schließlich fügte sie dem hinzu, es sei bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht entscheidend darauf angekommen, ob die Bf am Prüfungstag dienstlich an ihrer Dienststelle unabkömmlich gewesen wäre, sei doch das dienstliche Interesse hier auch in der Erhaltung des "Betriebsfriedens" gelegen, nämlich die durch die Abwesenheit der Bf gegebene Überlastung der sonstigen Mitarbeiter dieser Abteilung nicht durch eine nur dieser begünstigende Personalmaßnahme für einen Zweck aufrecht zu erhalten, der nicht zum Kernbereich der Aufgaben ihrer Dienststelle, der Polizeiinspektion S gehöre.
Sache des Berufungsverfahrens und damit Gegenstand des angefochtenen Bescheides war nicht die Überprüfung einer aus der Sicht der belBeh von der Dienstbehörde erster Instanz getroffenen Ermessensübung in einem Rahmen vergleichbar Art 130 Abs 2 B-VG, sondern die Entscheidung der belBeh in der Sache, dh die Prüfung der besagten "Einstiegsvoraussetzungen" und, wenn diese gegeben sind, der Übung des Ermessens iSd Gesetzes durch die belBeh selbst.
Geht man davon aus, dass sich die belBeh bei der Entscheidung in der Sache selbst nach § 66 Abs 4 AVG nicht bloß auf eine Überprüfung der Ermessensentscheidung durch die Dienstbehörde erster Instanz zurückzog, sondern, ausgehend vom Vorliegen der besagten "Einstiegsvoraussetzungen", auch in die Ermessensübung iSd Gesetzes einstieg, so stellte sie dem Interesse der Bf an der Fortführung ihres Studiums das dienstliche Interesse an der Erhaltung eines "Betriebsfriedens" entgegen, ausgehend von einer durch eine Abwesenheit der Bf bedingte Überlastung der anderen Bediensteten (offenbar dieser Dienststelle) durch eine nur diese begünstigende Personalmaßnahme.
Wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 10. November 2010, 2009/12/0163, ausführte, liegt der Umstand, dass die Arbeitskraft des Beamten während seiner Abwesenheit dem Dienstgeber nicht zur Verfügung steht, in der Natur der Sache, und darf daher für sich genommen (auch im Wege einer Ermessensentscheidung) nicht dazu herangezogen werden, die Versagung von Sonderurlaub zu begründen. Dienstliche Erfordernisse, die der Gewährung von Sonderurlaub auch im Wege einer Ermessensentscheidung entgegengehalten werden dürfen, müssen vielmehr über das bloß abstrakte Interesse des Dienstgebers an der Erbringung von Dienstleistungen durch den Bediensteten hinausgehen. Es muss konkret und nachvollziehbar begründet werden, warum im jeweiligen Fall die Gewährung von Sonderurlaub im verlangten Ausmaß nicht bewilligt werden kann. Es ist daher Aufgabe der Dienstbehörde, darzulegen, welcher konkrete Aufwand notwendig wäre, um eine Vertretung des Beamten für den beantragten Zeitraum sicherzustellen bzw darzulegen, welche konkreten Einschränkungen im Dienstbetrieb im Fall des Unterbleibens einer Vertretung hinzunehmen wären. Dabei hat die Dienstbehörde insbesondere die bestehende konkrete Personalsituation an der Dienststelle und etwaige bereits bestehende, respektive bereits zu erwartende Überstundenbelastung der übrigen Beamten darzustellen sowie sonstige Umstände aufzuzeigen, die einer Vertretung des Beamten entgegenstehen - etwa die während des beantragten Zeitraumes zu erwartenden Aufgaben oder das Fehlen von hiefür qualifizierten anderen Bediensteten. Umgekehrt wäre es auch zu berücksichtigen, dass personeller Überbestand auch zur Abdeckung des vorübergehenden Ausfalles von Arbeitskraft durch die Gewährung eines Sonderurlaubes herangezogen werden könnte. Ebenso wenig kann sich die Dienstbehörde zur Versagung von Sonderurlaub auf "Budgetknappheit" berufen, weil die dienstrechtliche Rechtsposition eines Beamten auch in Ansehung von Ermessensentscheidungen (grundsätzlich) nicht von Vorgaben des Bundesgesetzgebers abhängig gemacht werden darf.
Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes entbehrt jedoch eine von der belBeh geübte Ermessensübung zunächst tragfähiger Tatsachenfeststellungen über die personellen Gegebenheiten an der Dienststelle der Bf und über konkrete Auswirkung des von ihr begehrten Sonderurlaubes am 5. März 2010 auf den Dienstbetrieb. Soweit die belBeh schließlich den Gesichtspunkt eines "Betriebsfriedens" in Betracht zieht, kann der VwGH einer darauf gegründeten Ermessensübung ebenfalls schon deshalb nicht folgen, weil die Prämisse der "Überlastung der sonstigen Mitarbeiter" tragfähiger Feststellungen entbehrt, zumal es Aufgabe der Dienstbehörde wäre, sollte schließlich sich eine Ermessensübung zugunsten der Bf abzeichnen, den "Betriebsfrieden" an der Dienststelle der Bf trotz der Absenz sicherzustellen.