08.04.2013 Zivilrecht

OGH: § 140 ABGB – Unterhaltsbemessung iZm Drittpflege

Maßgeblich für die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs bei Drittpflege ist ua der Gesamtunterhaltsbedarf des Minderjährigen, der sich nach der Rsp aus den Drittpflegekosten und einem Zuschlag für zusätzliche Kindesbedürfnisse, wie Kleidung, kulturelle und sportliche Bedürfnisse, Ferienkosten, Taschengeld etc ergibt


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Drittpflege
Gesetze:

§ 140 ABGB

GZ 2 Ob 211/11k, 11.10.2012

 

OGH: Gem § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Nach Abs 2 dieser Bestimmung leistet der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, dadurch seinen Beitrag. Wird aber das Kind von keinem der beiden Elternteile betreut, so ist § 140 Abs 2 ABGB nicht anzuwenden und dem Kind steht gegen beide Elternteile ein Unterhaltsanspruch in Geld zu. Die Unterhaltsbemessung ist dann nach § 140 Abs 1 ABGB anteilig vorzunehmen. Das bedeutet, dass jeder Elternteil unter Berücksichtigung seiner eigenen Leistungsfähigkeit zum Unterhalt des Kindes beizutragen hat.

 

Für die Beurteilung, ob sich ein Kind in Drittpflege befindet, ist entscheidend, ob es ein Elternteil tatsächlich betreut. Damit wird auf die übliche Versorgung abgestellt, die ein Kind im Rahmen eines geordneten und funktionierenden Haushalts im Allgemeinen erfährt. Dazu zählen insbesondere Unterkunft, Beaufsichtigung, geistig-seelische Erziehung, Körperpflege, Verpflegung (Nahrungszubereitung), Reinigung und Instandhaltung von Kleidung und Wäsche sowie Pflege im Krankheitsfall.

 

Unmaßgeblich ist dabei, ob der haushaltsführende Elternteil ausschließlich oder, besonders weil er berufstätig ist, nur während bestimmter Tageszeiten oder überhaupt nur an bestimmten Tagen sich der Betreuung des Kindes widmet. Es leistet daher auch zB der geschiedene Elternteil, dem die Elternrechte zustehen, seinen Beitrag iS dieser Bestimmung, wenn er das Kind tagsüber in einem Hort, bei den Großeltern oder einem Dritten unterbringt. Auch wenn das Kind während der Woche in einem Internat untergebracht ist und sich nur an Wochenenden, zu den Feiertagen und während der Ferien bei diesem Elternteil befindet, leistet er einen vollen Beitrag zur Deckung der Bedürfnisse des Kindes. Die Rechtfertigung wird darin gesehen, dass Pflege und Erziehung Teil der Obsorge sind und es Sache des obsorgeberechtigten Elternteils ist, wie er die Pflege und Erziehung des Kindes „organisiert“.

 

§ 140 Abs 2 ABGB stellt auf stabile Verhältnisse ab. Voraussetzung ist daher, dass sich das Kind zumindest teilweise in dem vom obsorgeberechtigten Elternteil geführten Haushalt befindet und dieser Elternteil dort - selbst oder auch durch Fremdpflege - relevante Betreuungsleistungen erbringt. Gelegentliche Besuche eines im Übrigen getrennt lebenden Minderjährigen stellen hingegen die Voraussetzungen für den Tatbestand des § 140 Abs 2 ABGB nicht her.

 

Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Minderjährige seit Februar 2007 im Haushalt der mütterlichen Großeltern in Serbien lebt. Zu den Lebensverhältnissen der Mutter haben die Vorinstanzen zwar keine Feststellungen getroffen. Nach der Aktenlage und den Angaben der Mutter ist aber davon auszugehen, dass sie - mit ihrem Ehemann - in Wien wohnt und arbeitet und ihren Sohn so oft wie möglich in Serbien besucht. Dass sich der Minderjährige auch nur zeitweise bei ihr in Wien aufhalten würde, geht aus ihrem Vorbringen jedoch nicht hervor. Selbst wenn dies mit der von ihr immer wieder behaupteten - aber keineswegs erwiesenen - Angst des Minderjährigen vor dem Vater im Zusammenhang stehen sollte, ist auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Danach ist aber von einem Fall der Drittpflege auszugehen, wie dies von den Vorinstanzen richtig erkannt worden ist. Die bloße Beistellung von Geldmitteln an die Großeltern kommt ebenso wenig als Betreuungsmaßnahme der Mutter in Betracht, wie ihre telefonischen oder auf elektronischem Weg hergestellten Kontakte mit ihrem Sohn. Auch dass die Mutter „alle Entscheidungen trifft“, hat mit der Betreuung nichts zu tun.

 

Maßgeblich für die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs bei Drittpflege ist ua der Gesamtunterhaltsbedarf des Minderjährigen, der sich nach der Rsp aus den Drittpflegekosten und einem Zuschlag für zusätzliche Kindesbedürfnisse, wie Kleidung, kulturelle und sportliche Bedürfnisse, Ferienkosten, Taschengeld etc ergibt.

 

Wie der OGH schon mehrfach betonte, reicht bei Drittpflege der Regelbedarf (auch Durchschnittsbedarf) als Orientierungshilfe zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs des Kindes regelmäßig nicht aus, weil er nur eine Messgröße dafür abgibt, welcher Geldunterhalt zusätzlich zur Betreuung eines Kindes erforderlich ist.

 

Gegen die Anwendung der „Drittpflegeformel“ im vorliegenden Fall bestehen grundsätzlich keine Bedenken. Zur Klärung der Leistungsfähigkeit der Mutter wird es aber nötig sein, der Behauptung über ihre vorübergehende Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Ehemann nachzugehen. Soweit der Vater die Ausschöpfung der Leistungsfähigkeit der Mutter in Zweifel zieht, ist dies in einem Fall der Drittpflege zwar beachtlich, es trifft ihn aber die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die Mutter zumutbarerweise ein höheres Einkommen erzielen könnte. Konkrete Behauptungen, auf welche Weise dies der Mutter möglich sein sollte, hat der Vater bisher noch nicht aufgestellt.