OGH: Zur Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht
Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen ist erforderlich, wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben
§§ 1295 ff ABGB, § 1299 ABGB
GZ 4 Ob 241/12p, 12.02.2013
OGH: Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst.
Der Patient hat aus dem Behandlungsvertrag Anspruch auf Anwendung der nach dem Stand der Wissenschaft zu fordernden sichersten Maßnahmen zur möglichsten Ausschaltung oder Einschränkung bekannter Operationsgefahren.
Ärzte haben nach § 1299 ABGB den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird.
Ein Verstoß gegen die Regeln medizinischer Kunst liegt vor, wenn die vom Arzt gewählte Maßnahme hinter dem in Fachkreisen anerkannten Standard zurückbleibt. Ein Arzt handelt fehlerhaft, wenn er das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer Ärzte oder Fachärzte vorausgesetzte Verhalten unterlässt.
Grundlage für eine Haftung des Arztes oder des Krankenhausträgers wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird. Der Patient muss in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen.
Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Wohles des Patienten abzugrenzen und erst in zweiter Linie auch unter Bedachtnahme auf sein Selbstbestimmungsrecht. Die Auf-klärungsanforderungen dürfen nicht überspannt werden.
Entscheidend für den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist, dass der Patient als Aufklärungsadressat die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien erfährt, die ihn in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Zustimmung zum Eingriff zu überblicken und eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.
Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten oder Operationsmöglichkeiten mit dem Patienten erörtern, er muss ihn aber, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat.
Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen ist erforderlich, wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben.
Nach diesen Grundsätzen ist dem Erstgericht beizupflichten, dass die Ärzte der Beklagten den Kläger nicht von sich aus über die Möglichkeit einer Iris-Print-Kontaktlinse aufklären mussten, entsprach doch diese im Beratungszeitpunkt nicht mehr den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst und gelangte nur mehr als „Außenseitermethode“ zur Anwendung. Damit war diese Behandlungsalternative nicht gleichwertig zur durchgeführten Operation, und die behandelnden Ärzte der Beklagten traf insoweit keine Aufklärungspflicht.
Hinzu kommt, dass nach dem festgestellten Sachverhalt die Erfolgsaussichten der Operation als gut eingeschätzt wurden, die Verwendung einer Kontaktlinse als Alternative hingegen als problematisch: Da die Hornhautvernarbung zu einer massiven Unebenheit der Hornhautoberfläche geführt hatte, war im Fall der Verwendung einer Kontaktlinse mit Anpassungsproblemen zu rechnen und der Dioptrieausgleich hätte nur bedingt funktioniert. Damit wäre eine Kontaktlinse auch nicht die zielführendste Methode gewesen.