22.04.2013 Zivilrecht

OGH: Entziehung oder Einschränkung der Obsorge gem § 176 ABGB aF (§ 181 ABGB nF)

Die Entziehung der Obsorge ist geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist


Schlagworte: Familienrecht, Entziehung / Einschränkung der Obsorge, Jugendwohlfahrtsträger, Gefährdung des Kindeswohls
Gesetze:

§ 176 ABGB aF, § 181 ABGB nF, § 213 ABGB aF

GZ 8 Ob 16/13f, 04.03.2013

 

OGH: Maßnahmen nach § 176 Abs 1 ABGB, insbesondere die gänzliche oder teilweise Entziehung der Obsorge über ein Kind, setzen eine Gefährdung des Kindeswohls durch den mit der Obsorge betrauten Elternteil voraus. Für eine Gefährdung des Kindeswohls genügt es, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt wurden oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden. Die Entziehung der Obsorge ist demnach geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist.

 

Eine Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger darf gem § 213 ABGB dann erfolgen, wenn sich dafür nicht andere geeignete Personen finden lassen. Die Entscheidung über die Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger ist letztlich eine solche des Einzelfalls, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG begründet, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde.

 

Die Vorinstanzen sind von den zutreffenden Grundsätzen ausgegangen und haben ausgehend von den konkreten Feststellungen eine Gefährdung für das Wohl der Kinder bejaht.

 

Die Mutter war nicht in der Lage, auf die sexuellen Missbrauchshandlungen adäquat zu reagieren und va D zu schützen. Vielmehr legte sie ein bagatellisierendes Verhalten an den Tag, leugnete die Übergriffe und überließ B weiterhin die Aufsicht über die kleineren Kinder. Die Betreuungssituation führte zu traumatischen Störungen der Kinder und zu einer Gefährdung ihrer seelischen und sittlichen Entwicklung. Die Mutter vermochte nicht, vor allem das sexualisierte Verhalten der Kinder und die daraus resultierenden Störungen zu erkennen. Sie ist nicht in der Lage, eine elterngerechte emotionale Bindung zu den Kindern herzustellen und ihnen Schutz und Hilfe zu bieten, was für die Aufarbeitung der psychischen Störungen aber erforderlich ist.

 

Wenn die Vorinstanzen in dieser Situation die Erziehungsfähigkeit der Mutter verneinen, so stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Das Gefährdungspotential für die beiden kleineren Kinder besteht nicht allein in weiteren Kontakten zu B. Vielmehr ist die Mutter auch nicht in der Lage, die emotionalen Bedürfnisse der Kinder zu erkennen, geschweige denn angemessen zu versorgen, und ihnen eine für die Aufarbeitung der Störungen adäquates Umfeld zu bieten. Von bloßen „Erziehungsdefiziten“ der Mutter kann im Anlassfall nicht gesprochen werden.