OGH: Fortzahlung des Entgelts während laufender Freistellung – zur Zulässigkeit privatrechtlicher Vereinbarungen über die dauernde Freistellung von Dienstnehmern in einer die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben übersteigenden Zahl
Da das Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit des Betriebsratsmandats die Belegschaft in ihrem Anspruch auf eine unbeeinflusste Interessenvertretung ist, ist eine den Schutzzweck der §§ 115 bis 117 ArbVG beeinträchtigende Vereinbarung von absoluter Nichtigkeit bedroht, auf die sich auch der Betriebsinhaber berufen kann
§ 115 ArbVG, § 116 ArbVG, § 117 ArbVG, § 879 ABGB, § 4 ArbVG
GZ 9 ObA 133/12t, 19.03.2013
OGH: Die §§ 115 ff ArbVG regeln die Rechtsstellung der Mitglieder des Betriebsrats. § 117 ArbVG normiert die dauernde bezahlte Freistellung einzelner Betriebsratsmitglieder, die nur von der Anzahl der zu vertretenden Arbeitnehmer abhängt. Sie bringt den Grundgedanken zum Ausdruck, dass bei einer so großen Zahl von Arbeitnehmern die Aufgaben bei der Vertretung der Belegschaftsinteressen einen so großen Umfang annehmen, dass sie neben den Arbeitspflichten nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden können. Der Freistellungsanspruch gem § 117 ArbVG ist ein Recht des Kollegialorgans Betriebsrat. Das freigestellte Betriebsratsmitglied ist verpflichtet, sich der Interessenvertretungsaufgabe zu widmen. Nur aus der betrieblichen Interessenvertretungsaufgabe heraus findet die gesetzliche Pflicht des Betriebsinhabers zur Entgeltfortzahlung an das permanent freigestellte Betriebsratsmitglied überhaupt erst ihre verfassungskonforme Rechtfertigung. Der Bestimmung des § 117 ArbVG kommt grundsätzlich zweiseitig zwingender Charakter zu, sie kann daher durch eine ihr entgegenstehende Vereinbarung nicht aufgehoben werden. Bei zweiseitig oder absolut zwingenden Gesetzesbestimmungen ist jegliche Abänderung der gesetzlichen Regelung untersagt.
Das Mandat des Betriebsratsmitglieds ist gem § 115 Abs 1 Satz 1 ArbVG ein Ehrenamt. Die Ehrenamtlichkeit soll eine Entfremdung der Belegschaftsvertretung von der Belegschaft verhindern. Daher wird auch die in § 117 ArbVG normierte permanente Freistellung von Betriebsratsmitgliedern vom Gesetzgeber nur als Ausnahme von diesem Prinzip in Kauf genommen.
Das Mitglied des Betriebsrats hat infolge der Ehrenamtlichkeit nur Anspruch auf das nach § 116 ArbVG fortzuzahlende Entgelt. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer Mitglied des Betriebsrats ist, darf nach stRsp zu keiner Benachteiligung aber auch nicht zu einer Bevorzugung führen. Die Unentgeltlichkeit der Ausübung des Ehrenamtes ist gerade ein entscheidender Wert der repräsentativen Mitbestimmung. Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit ist die Belegschaft und ihr Anspruch auf eine vom Betriebsinhaber unbeeinflusste Interessenvertretung.
Generell dürfen Betriebsratsmitglieder daher aus ihrem Mandat keinen Vorteil ziehen. So wurde etwa bereits ausgesprochen, dass es den zwingenden Bestimmungen der §§ 115 bis 117 ArbVG widerspricht, einem Mitglied des Betriebsrats die zur Erfüllung seiner Obliegenheiten zu gewährende Freizeit günstiger zu vergüten als seine Arbeitszeit. Ein solcher verpönter Vorteil kann auch darin liegen, dass einem Betriebsratsmitglied im Einvernehmen mit dem Betriebsinhaber über die von § 117 ArbVG normierten Grenzen hinaus eine dauernde Freistellung eingeräumt wird.
Gem § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Gebot verstößt, nichtig. Nichtigkeit infolge Gesetzwidrigkeit ist nach LuRsp dann anzunehmen, wenn diese Rechtsfolge ausdrücklich normiert ist oder der Verbotszweck die Ungültigkeit des Geschäfts notwendig verlangt. Bei Verstößen gegen Gesetze, die dem Schutz von Allgemeininteressen, der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit dienen, ist die Rechtsfolge der Nichtigkeit eine absolute. Auf die Nichtigkeit kann sich auch der Vertragspartner berufen, der diese beim Vertragsabschluss gekannt hat, weil anders der Zweck solcher Verbotsnormen kaum zu erreichen wäre.
Da das Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit des Betriebsratsmandats die Belegschaft in ihrem Anspruch auf eine unbeeinflusste Interessenvertretung ist, ist eine den Schutzzweck der §§ 115 bis 117 ArbVG beeinträchtigende Vereinbarung nach den dargestellten Grundsätzen von absoluter Nichtigkeit bedroht, auf die sich auch der Betriebsinhaber berufen kann. Auch eine entsprechende faktische Übung, die iSe rechtsgeschäftlichen Verpflichtung gedeutet werden könnte, ist, wenn sie gegen den genannten Schutzzweck verstößt, unzulässig und daher ungültig. Der Betriebsinhaber darf daher, selbst wenn er Mehrleistungen erbracht hat, künftige Leistungen auf das gesetzliche Maß herabsetzen.
Die Revisionswerberin hat sich daher im Ergebnis zu Recht darauf berufen, dass der Kläger aus der Vereinbarung vom 17. 8. 2007 und der tatsächlich erfolgten Freistellung auch unter Beachtung der §§ 115 ff ArbVG nicht den begehrten Freistellungsanspruch ableiten kann. Die Auswahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder obliegt gem § 117 ArbVG allein dem Betriebsrat. Gerade der vom Kläger ins Treffen geführte Umstand, dass er „anlaog § 117 ArbVG“ vom Dienst freigestellt wurde, zeigt die von § 115 ArbVG verpönte Besserstellung des Klägers als Betriebsratsmitglied auf.
Dadurch bewirkte die Vereinbarung iSd § 115 ArbVG ungebührliche Sonderrechte des Klägers als Betriebsratsmitglied, sodass sie im konkreten Fall zu einem vom Gesetz verpönten Eingriff in die zwingende Regelung der Ehrenamtlichkeit der Betriebsratsmitglieder nach § 115 ArbVG führte. Die Erstbeklagte war daher berechtigt, die dauernde Freistellung des Klägers zu beenden. Dass der Kläger einen solchen Anspruch auch aufgrund jahrelanger Übung infolge der absoluten Nichtigkeit der Vereinbarung nicht erwerben kann, wurde bereits dargelegt.