06.05.2013 Zivilrecht

OGH: Leistungspflicht des Versicherers bei Kaskoversicherung

Auf Vorsatz oder grobes Verschulden des Lenkers kommt es bei der Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers grundsätzlich nicht an, wenn dieser nicht gleichzeitig Versicherungsnehmer ist


Schlagworte: Versicherungsrecht, Kaskoversicherung, Leistungspflicht, Lenker, Dritter, Obliegenheitsverletzung, Zurechnung, Regress, Verzicht
Gesetze:

Art 7 AKKB 2006/A, § 6 VersVG, § 61 VersVG, § 67 VersVG

GZ 7 Ob 30/13g, 27.03.2013

 

OGH: Die Kaskoversicherung ist eine Sparte der Sachversicherung, durch die das Interesse des Eigentümers am Fahrzeug versichert ist. Nach § 61 VersVG ist der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Es handelt sich um einen sekundären Risikoausschluss.

 

Die in Deutschland entwickelte Repräsentantenhaftung kann aus dem VersVG nicht abgeleitet werden. Das Verhalten eines Dritten kann daher nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. Auf Vorsatz oder grobes Verschulden des Lenkers kommt es daher bei der Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers grundsätzlich nicht an, wenn dieser nicht gleichzeitig Versicherungsnehmer ist.

 

Grundsätzlich ist der Lenker in der Kaskoversicherung nicht mitversichert, sondern Dritter. Verursacht daher der Lenker schuldhaft eine Beschädigung des Fahrzeugs, steht dem Versicherungsnehmer gegen ihn ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, der gem § 67 Abs 1 VersVG auf den Versicherer übergeht, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Der Versicherer kann jedoch auf das Regressrecht nach § 67 Abs 1 VersVG verzichten. Ein solcher Verzicht zu Gunsten des berechtigten Lenkers bewirkt dessen Befreiung vom Risiko, zum Ersatz des von ihm verursachten Schadens herangezogen zu werden. Die auf die Versicherung eigener Sachen gerichtete Versicherung des Versicherungsnehmers umfasst in einem solchen Fall auch eine Fremdversicherung. Der Verzicht zu Gunsten des Schädigers ist nichts anderes als eine Form der - wenn auch nur teilweisen - Mitversicherung des Sachersatzinteresses dieses Schädigers.

 

Dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Nach Art 10 AKKB 2006/A verzichtete die Beklagte auf den Regress gegen den berechtigten Lenker, außer in jenen Fällen, in dem auch gegenüber dem Versicherungsnehmer als Fahrzeuglenker Leistungsfreiheit bestanden hätte. Als berechtigte Lenker werden Personen definiert, die mit dem Willen des Versicherungsnehmers oder des über das Fahrzeug Verfügungsberechtigten das Fahrzeug lenken.

 

Zu prüfen bleibt, ob durch die Mitversicherung des Sachersatzinteresses des berechtigten Lenkers dessen Verhalten dem Versicherungsnehmer zuzurechnen ist.

 

Die Auswirkungen des Fehlverhaltens eines von mehreren Versicherungsnehmern (Mitversicherten), das den Verlust des Versicherungsschutzes zur Folge hat (zB Obliegenheitsverletzung, Prämienverzug, vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls) auf den (die) anderen Versicherungsnehmer (Mitversicherten) wird regelmäßig davon abhängig gemacht, ob eine Mehrheit versicherter Interessen besteht oder ob ein gemeinschaftliches, gleichartiges und ungeteiltes Interesse aller Versicherungsnehmer (Mitversicherter) versichert ist. Nur im letzten Fall kommt es zu einer Zurechnung des Fehlverhaltens anderer am Vertrag beteiligter Personen.

 

Im vorliegenden Fall besteht eine Mehrheit versicherter Interessen, nämlich zum einen das Sachinteresse des Klägers als Eigentümer des Pkw und zum anderen das Sachersatzinteresse seines Bruders als berechtigter Lenker.

 

Demnach ist dem Kläger das Fehlverhalten seines Bruders nicht zuzurechnen. Auf die Frage, ob den Lenker grobes Verschulden trifft, kommt es daher nicht an.

 

Der Versicherer hat den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu behaupten und zu beweisen, der Versicherungsnehmer das Fehlen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit.