24.06.2013 Zivilrecht

OGH: Klipp & Klar Bedingungen U 500 für die Unfallversicherung – zur Frage, ob bei der Bemessung des Invaliditätsgrads der Vergleichsmaßstab die normale Leistungsfähigkeit eines Versicherten gleichen Alters und Geschlechts ist oder ob es auf die individuellen Fähigkeiten der betroffenen versicherten Person ankommt

Die generalisierende, abstrakte Betrachtungsweise zur Ermittlung des Invaliditätsgrads in der Unfallversicherung bezieht sich nur darauf, dass individuelle Erfordernisse des Berufs oder besondere Fähigkeiten, soweit sie medizinisch keine Bedeutung haben, außer Betracht zu bleiben haben; ansonsten ist aber bei der Funktionsbeeinträchtigung vom konkreten Versicherungsnehmer und seiner individuellen Körpergestaltung auszugehen


Schlagworte: Versicherungsrecht, Unfallversicherung, Invalidität, Bemessungsgrad
Gesetze:

Art 7 Klipp & Klar Bedingungen U 500 für die Unfallversicherung

GZ 7 Ob 47/13g, 23.05.2013

 

Strittig ist, ob der Invaliditätsgrad nach der normalen Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers gleichen Alters und Geschlechts auszumessen ist, oder ob zu berücksichtigen ist, dass der Kläger vor dem Unfall allenfalls über eine überdurchschnittliche Beugefähigkeit der Kniegelenke verfügte.

 

OGH: Die vorliegenden AVB legen - wie in der Unfallversicherung üblich - für bestimmte Körperteile (wie hier für ein Bein) und Sinnesorgane abstrakt Invaliditätsgrade bei völligem Verlust oder völliger Funktionsfähigkeit fest. Bereits durch die AVB ist klargestellt, dass es bei der Beurteilung des Invaliditätsgrads nicht auf individuelle Umstände, die nicht medizinischer Art sind, ankommen darf. Dies wird im Art 7.3 AVB noch ausdrücklich für die nicht in der Tabelle genannten Körperteile und Sinnesorgane ausgesprochen.

 

Die von der Beklagten gewünschte Einschränkung, dass bei der Beurteilung einer teilweisen Funktionseinschränkung auch in medizinischer Hinsicht nur von einem durchschnittlichen Versicherten auszugehen ist, findet im Text der AVB keine Deckung. Es ergibt sich daraus nur die generell abstrakte Bewertung des völligen Verlusts eines bestimmten Körperteils oder Sinnesorgans, sodass es eben nicht auf das individuelle Umfeld des Versicherten wie Beruf, Befähigungen und dergleichen ankommt.

 

Die deutsche Rechtslage ist mit der österreichischen nicht ident. Auch dort wird aber - im Gegensatz zur Rechtsmeinung der Beklagten - nicht die von ihr geforderte, strikt vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer ausgehende Beurteilung vertreten. Überwiegend besteht die Ansicht, dass dauerhafte Beeinträchtigungen der körperlichen oder der geistigen Leistungsfähigkeit am Maßstab der Leistungsfähigkeit einer durchschnittlichen, gesunden Person gleichen Alters zu beurteilen ist, doch wird einhellig betont, dass dies primär bedeute, dass auf typische berufsbedingte Notwendigkeiten nicht abzustellen sei und auch nicht darauf, zu welchem Zweck die Körperteile oder Sinnesorgane eingesetzt würden.

 

Die generalisierende, abstrakte Betrachtungsweise zur Ermittlung des Invaliditätsgrads in der Unfallversicherung bezieht sich nur darauf, dass individuelle Erfordernisse des Berufs oder besondere Fähigkeiten, soweit sie medizinisch keine Bedeutung haben, außer Betracht zu bleiben haben. Ansonsten ist aber bei der Funktionsbeeinträchtigung vom konkreten Versicherungsnehmer und seiner individuellen Körpergestaltung auszugehen. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - die beiden Gliedmaßen auf Grund des Unfalls nicht mehr gleich funktionsfähig sind und der Versicherte schon durch diese Differenz beeinträchtigt ist.

 

Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Ermittlung des Invaliditätsgrads beim Kläger seine konkrete Funktionsbeeinträchtigung auf Grund eines Vergleichs zwischen der Beweglichkeit des rechten und linken Kniegelenks zugrunde zu legen ist. Auch diese Beurteilung erfolgt damit rein nach medizinischen Gesichtspunkten.