01.07.2013 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: § 175 ASVG – zur Frage, inwieweit sich alternativ kausale Ursachen eines Arbeitsunfalls auf den Unfallversicherungsschutz auswirken

Der Anscheinsbeweis ist nicht zuzulassen, wenn ein Herzinfarkt nicht typische Folge von Verrichtungen ist, die der Versicherte unmittelbar vor seinem Herzinfarkt ausführte; selbst wenn feststünde, dass ein Herzinfarkt infolge der Anstrengung beim Abplanen oder Lösen von Spanngurten eingetreten ist, wäre dennoch ein Arbeitsunfall zu verneinen, weil aufgrund der Gesundheitsstörungen des Versicherten die Unfallsfolge auch bei einer alltäglichen Belastung (zB Treppensteigen) in absehbarer Zeit hätte eintreten können


Schlagworte: Unfallversicherung, Arbeitsunfall, alternativ kausale Ursachen, Herzinfarkt, Anscheinsbeweis
Gesetze:

§ 175 ASVG

GZ 10 ObS 123/12d, 28.05.2013

 

OGH: Gem § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichem Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen ist ein Arbeitsunfall des verstorbenen Ehemanns der Klägerin zu verneinen.

 

Unfälle iS dieser Bestimmung sind zeitlich begrenzte Ereignisse - eine Einwirkung von außen, ein abweichendes Verhalten, eine außergewöhnliche Belastung -, die zu einer Körperschädigung führen.

 

Für die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfalls ist idR erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten Ereignis (Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat.

 

Dass der Ehemann der Klägerin bei einer Verrichtung war, die im inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit als Kraftfahrer stand, als er den Herzinfarkt erlitt, der zum Sekundenherztod führte, ergibt sich aus den Feststellungen. Diesen ist auch zu entnehmen, dass diese nicht länger als höchstens 15 Minuten dauernde, mit einer nach den Verhältnissen des Versicherten außergewöhnlichen Belastung verbundene Verrichtung - Vorbereitung der Entladung: Abplanen (Öffnen des Schiebeverdecks) und Öffnen der Spanngurte - das schädigende Ereignis war. Ein Unfall ist demnach zu bejahen (vgl die Rsp, die das Vorliegen eines Unfalls bei Herzinfarkten bejaht, der iZm einer außergewöhnlichen Belastung eingetreten ist, zB 10 ObS 46/97f mwN,; 10 ObS 325/97k mwN).

 

Fest steht aber auch, dass die vor dem Unfall bestehenden Gesundheitsstörungen des Versicherten mitursächlich für den zum Tod führenden Herzinfarkt waren.

 

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann sich die Klägerin nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen, weil ein Herzinfakt nicht typische Folge von Verrichtungen ist, die der Versicherte unmittelbar vor seinem Herzinfarkt ausführte. Daher trifft die Klägerin die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.

 

Wirkt am Eintritt des Gesundheitsschadens oder Todes des Versicherten neben der Ursache aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch eine Vorerkrankung (Vorschädigung) mit, so wird in stRsp des OGH der Körperschaden (Tod) nach der Theorie der wesentlichen Bedingung nur dann der Unfallversicherung zugerechnet, wenn er ohne den Umstand aus der Gefahrensphäre der Unfallversicherung erheblich später oder erheblich geringer eingetreten wäre. Als nicht wesentlich wird eine Bedingung angesehen, wenn die Schädigung durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß hätte ausgelöst werden können. Alltäglich sind die Belastungen, die altersentsprechend üblicherweise mit gewisser Regelmäßigkeit im Leben, wenn auch nicht jeden Tag auftreten, wie etwa ein normales oder beschleunigtes Gehen, Treppensteigen, Bücken, leichtes bis mittelschweres Heben (zB eines Koffers, einer Bierkiste, einer Mineralwasserkiste udgl) oder ähnlicher Kraftanstrengungen.

 

Zutreffend beurteilte das Berufungsgericht, dass nach dem festgestellten Sachverhalt erwiesen ist, dass bei den vor dem Unfall gegebenen Gesundheitsstörungen des Ehemanns der Klägerin schon eine alltägliche Belastung einen Herzinfarkt mit Todesfolge hätte auslösen können. Der Unfall (die der versicherten Tätigkeit zuzurechnende außergewöhnliche Kraftanstrengung - sei es beim Abplanen, sei es beim Öffnen der Gurte -) war daher keine wesentliche Bedingung für den Tod des Versicherten, und zwar auch dann nicht, wenn feststünde, dass der Herzinfarkt real durch das Abreißen der Plaque bewirkt wurde, änderte dies ja nichts daran, dass aufgrund der Gesundheitsstörungen des Versicherten die Unfallsfolge auch bei einer alltäglichen Belastung in absehbarer Zeit hätte eintreten können.