OGH: Zur Frage der Verlassenschaftsabhandlung im Inland gem § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN wegen auf dem Koran beruhenden saudi-arabischem Erbrecht
Eine subjektiv als Härte oder als ungerecht empfundene materielle ausländische Rechtslage allein kann die Begründung der sonst nicht gegebenen inländischen Gerichtsbarkeit nicht bewirken; ein unabweisbares Bedürfnis, inländischen Rechtsschutz zu gewähren, liegt erst vor, wenn das zuständige Gericht (die zuständige Stelle) im Ausland aller Voraussicht nach das Begehren aus Gründen zurück- oder abweisen wird, die gegen den österreichischen ordre public verstoßen
§ 106 JN, § 28 JN, §§ 153 ff AußStrG
GZ 1 Ob 74/13h, 21.05.2013
Der in Innsbruck verstorbene Erblasser hatte weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Zu seinem Todestag unterhielt er ein Wertpapierdepot bei einer Bank in Innsbruck. Die Antragstellerin war die Ehefrau des Verstorbenen. Sie ist (auch) österreichische Staatsbürgerin.
Die Vorinstanzen verneinten die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte zur Abhandlung der Verlassenschaft über das Wertpapierdepot.
Die Vorinstanzen haben ihren Entscheidungen zugrunde gelegt, dass der Antragstellerin die ihr nach dem in Saudi-Arabien geltenden Recht zustehende Erbquote zuerkannt wurde.
OGH: Nach § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN ist die inländische Gerichtsbarkeit für die Abhandlung einer Verlassenschaft und für diese ersetzende Verfahren über das im Inland befindliche bewegliche Vermögen gegeben, wenn die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung abgeleiteter Rechte im Ausland unmöglich ist. Bei der Beurteilung, ob die Durchsetzung des Erbrechts im Ausland unmöglich ist, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung kann entweder auf rechtliche oder auf faktische Umstände zurückzuführen sein.
Eine subjektiv als Härte oder als ungerecht empfundene materielle ausländische Rechtslage allein kann die Begründung der sonst nicht gegebenen inländischen Gerichtsbarkeit nicht bewirken. Es begründet damit noch kein unabweisbares Bedürfnis für die Gewährung inländischen Rechtsschutzes, dass die Revisionsrekurswerberin - wie sie geltend macht - durch das auf dem Koran beruhende Erbrecht wegen ihres Geschlechts benachteiligt werde, weil danach ihre Erbquote als Witwe geringer sei, als es die eines überlebenden Mannes wäre. Ein unabweisbares Bedürfnis, inländischen Rechtsschutz zu gewähren, liegt erst vor, wenn das zuständige Gericht (die zuständige Stelle) im Ausland aller Voraussicht nach das Begehren aus Gründen zurück- oder abweisen wird, die gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts, den österreichischen ordre public verstoßen, weshalb eine ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkennungsfähig wäre.