14.08.2013 Verfahrensrecht

VwGH: § 73 AVG – Entscheidungspflicht und Devolutionsantrag

"Erlassung" eines Bescheides bedeutet Erzeugung einer Rechtsnorm bestimmter Art; als Norm rechtlich existent wird ein intendierter Bescheid daher nur und erst dann, wenn das Erzeugungsverfahren abgeschlossen, dh, wenn das zeitlich letzte Erzeugungstatbestandsmerkmal - das ist idR die Mitteilung des behördlichen Willensaktes nach außen - verwirklicht worden ist


Schlagworte: Entscheidungspflicht, Devolutionsantrag, Bescheid, Erlassung
Gesetze:

§ 73 AVG, § 56 AVG

GZ 2011/05/0121, 26.06.2013

 

VwGH: Voraussetzung für den Übergang der Entscheidungspflicht iSd § 73 Abs 2 AVG ist, dass der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen wurde.

 

"Erlassung" eines Bescheides bedeutet Erzeugung einer Rechtsnorm bestimmter Art; als Norm rechtlich existent wird ein intendierter Bescheid daher nur und erst dann, wenn das Erzeugungsverfahren abgeschlossen, dh, wenn das zeitlich letzte Erzeugungstatbestandsmerkmal - das ist idR die Mitteilung des behördlichen Willensaktes nach außen - verwirklicht worden ist.

 

Ein (schriftlicher) Bescheid ist erst mit der Zustellung bzw Ausfolgung seiner schriftlichen Ausfertigung an eine Partei als erlassen anzusehen; nur ein erlassener Bescheid kann Rechtswirkungen erzeugen. Auch in Ansehung von Bescheiden kollegial eingerichteter Verwaltungsbehörden kommt es nicht auf den Zeitpunkt der inneren Willensbildung des Verwaltungsorgans, sondern auf den der Erlassung des Bescheides - bei schriftlichen Bescheiden also auf den der Zustellung an die Partei - an.

 

Der bekämpfte Berufungsbescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 26. Februar 2010 wurde demnach erst mit seiner Zustellung an den Vertreter der Bf am 20. Juni 2011 - und somit außerhalb der Entscheidungsfrist des § 73 Abs 1 AVG - rechtswirksam erlassen. Der am 27. Mai 2011 bei der Oberbehörde eingelangte Devolutionsantrag erweist sich daher als zulässig.

 

Liegen die Voraussetzungen für einen Devolutionsantrag vor, so geht mit dem Einlangen des Antrages bei der Oberbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag an diese Behörde über; ein nach diesem Zeitpunkt durch die Unterbehörde erlassener Bescheid ist infolge Unzuständigkeit dieser Behörde, unabhängig davon, ob die Unterbehörde tatsächlich schuldhaft säumig iSd § 73 Abs 2 letzter Satz AVG war, sowie ohne Rücksicht darauf, wann die Unterbehörde von der Anrufung der Oberbehörde Kenntnis erlangt und wann das zuständige Organ den Bescheidentwurf durch seine Unterschrift genehmigt hat, rechtswidrig.

 

Die belBeh verkennt in ihrer Gegenschrift, dass auch die Zuständigkeit einer Kollegialbehörde nach dem Zeitpunkt der Erlassung des von ihr beschlossenen Bescheides, nicht aber nach dessen Beschlussfassung, zu beurteilen ist. Da mit dem Einlangen des Devolutionsantrages am 27. Mai 2011 der Gemeinderat zur Entscheidung über die Berufung der Bf zuständig wurde, erweist sich der am 20. Juni 2011 durch den Berufungssenat der Stadt Wien erlassene Berufungsbescheid infolge Unzuständigkeit als rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 2 VwGG aufzuheben.