26.08.2013 Zivilrecht

OGH: Aufklärungspflicht und Gewährleistungsausschluss beim Kauf kontaminierter Grundstücke – zur Irrtumsanfechtung nach § 870 ABGB

Bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis vom Vorliegen einer „Altlast“ bzw Bodenkontamination wird von der Rsp jedenfalls dann, wenn der Käufer entsprechend nachfragt, eine Verletzung der Aufklärungspflicht angenommen; der listig Irregeführte ist für die Voraussetzungen der §§ 870 und 872 ABGB behauptungs- und beweispflichtig, darunter auch für die Unwesentlichkeit des Irrtums iSd § 872 ABGB; er muss insbesondere behaupten und beweisen, dass der Vertrag bei Kenntnis der wahren Umstände mit einem anderen Inhalt - hier: mit einem anderen Kaufpreis - abgeschlossen worden wäre


Schlagworte: Irrtumsanfechtung, Anfechtung wegen Arglist, Aufklärungspflicht, Bodenkontamination, Vertragsanpassung
Gesetze:

§ 870 ABGB, § 872 ABGB, § 871 ABGB

GZ 3 Ob 23/13y, 17.07.2013

 

Als Anspruchsgrundlagen für die von ihr begehrte Vertragsanpassung durch Minderung des Kaufpreises hat die klagende Partei in erster Instanz va arglistige Irreführung genannt.

 

OGH: Ein Verzicht auf die Irrtumsanfechtung umfasst nicht die Anfechtung wegen Arglist.

 

Für listige Irreführung ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung erforderlich; grobe Fahrlässigkeit reicht nicht aus. Das bewusste Verschweigen von Tatsachen begründet nur dann List, wenn eine Rechtspflicht zur Aufklärung bestand, was nach den Anschauungen des redlichen Verkehrs zu beurteilen ist. In dem besonderen Fall der Täuschung durch Verschweigen eines Umstands, von dem der Verschweigende annehmen musste, dass er für die Entschließung seines Geschäftspartners von Bedeutung ist oder doch von Bedeutung sein könnte, genügt die hypothetische Kausalität, dass nämlich die unterlassene Aufklärung, wenn sie erfolgt wäre, den Getäuschten von dem Geschäft überhaupt oder doch von einem Geschäft mit dem bestimmten Inhalt abgehalten hätte.

 

Bei Abschluss eines Kaufvertrags trifft den Verkäufer ua dann eine Aufklärungspflicht, wenn der Käufer zum Ausdruck brachte, dass er auf einen bestimmten Punkt besonderen Wert legt und daher informiert werden will. So gehört die wahrheitsgemäße und vollständige Aufklärung über bekannte Vorschäden va dann zu den Sorgfaltspflichten eines Verkäufers, wenn sich der Käufer ausdrücklich danach erkundigt. Bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis vom Vorliegen einer „Altlast“ bzw Bodenkontamination wird von der Rsp jedenfalls dann, wenn der Käufer entsprechend nachfragt, eine Verletzung der Aufklärungspflicht angenommen.

 

In concreto war dem Geschäftsführer der beklagten Partei die Kontamination zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags bekannt. Der Umstand, dass die von der beklagten Partei eingesetzte Verhandlungspartnerin der beklagten Partei keine Kenntnis von der Kontamination hatte, fällt der beklagten Partei zur Last, weil sich die juristische Person das Wissen ihres organschaftlichen Vertreters zurechnen lassen muss. Die beklagte Partei kann sich nicht dadurch entlasten, dass sie im Rahmen arbeitsteiligen Verfahrens eine „unwissende“ Vertreterin bei den Verhandlungen einsetzt, die Nachfragen der Käuferin - aufgrund ihres Unwissens - objektiv unrichtig beantwortet.

 

Ein arglistiges Verhalten der beklagten Partei in Bezug auf die Herbeiführung eines Irrtums bei der klagenden Partei ist demnach zu bejahen.

 

Rechtsfolgen des arglistig herbeigeführten Irrtums:

 

Die klagende Partei begehrt nicht Vertragsaufhebung, sondern Vertragsanpassung.

 

Vertragsanpassung ist nach der Rsp nur bei einem unwesentlichen Irrtum (wenn das Geschäft mit anderem Inhalt abgeschlossen worden wäre: RIS-Justiz RS0082957; auch bei Arglist: RS0014768) und nur dann möglich, wenn der Gegner im Zeitpunkt des Kontrahierens hypothetisch den Willen gehabt hätte, gegebenenfalls auch zu den Bedingungen, die der andere Teil nunmehr durchzusetzen bestrebt ist, abzuschließen. Bei der Vertragsanpassung ist nicht nur auf den Willen des Irrenden, sondern auch auf den des anderen Vertragsteils abzustellen. Die Irrtumsregeln haben nämlich den Zweck, jenen Zustand herbeizuführen, der bei irrtumsfreiem Handeln bestünde. Könnte der Irrende bei wesentlichem Irrtum, den er als unwesentlichen behandeln darf, den Vertrag stets aufrecht halten, dessen Inhalt aber beliebig verändern, so würde seinem Partner durch die Vertragsanpassung ein Vertragsinhalt aufgezwungen, den dieser nicht akzeptiert hätte, und es würde damit in die privatautonome Willensgestaltung der Parteien eingegriffen.

 

Der listig Irregeführte ist für die Voraussetzungen der §§ 870 und 872 ABGB behauptungs- und beweispflichtig, darunter auch für die Unwesentlichkeit des Irrtums iSd § 872 ABGB. Er muss insbesondere behaupten und beweisen, dass der Vertrag bei Kenntnis der wahren Umstände mit einem anderen Inhalt - hier: mit einem anderen Kaufpreis - abgeschlossen worden wäre.

 

Dieser Beweis wurde von der klagenden Partei erbracht: Nach den erstgerichtlichen Feststellungen hätte die klagende Partei die Liegenschaftsanteile „eventuell gekauft, dies jedoch zu einem geringeren Kaufpreis. Für den Fall, dass der Kaufpreis auf Seiten der beklagten Partei nicht verhandelbar gewesen wäre, hätte die klagende Partei die Option gehabt, den Ablauf der Mindestbestandsdauer von 20 Jahren abzuwarten und den Liegenschaftsanteil erst in weiterer Folge zu erwerben …, wobei sich dadurch seine rechtliche Position verbessert hätte“. Im Zusammenhang gesehen ist das Wort „eventuell“ so zu verstehen, dass die klagende Partei gekauft hätte, wenn die beklagte Partei mit einer entsprechenden Kaufpreisreduktion einverstanden gewesen wäre.

 

Es ist dann Sache des Täuschenden, Tatsachen zu behaupten und erforderlichenfalls auch zu beweisen, aus denen sich ein zuverlässiger Schluss dafür ableiten lässt, dass er bei Aufklärung des Irrtums den Vertrag nicht gegen ein angemessenes statt des vereinbarten Entgelts geschlossen hätte.

 

Nur wenn positiv feststeht, dass der Vertragspartner nicht zu den geänderten Bedingungen abgeschlossen hätte, ist die Vertragsanpassung abzulehnen. Andernfalls ist darauf abzustellen, mit welchem Inhalt redliche, nicht in einem Irrtum verfangene Parteien den Vertrag abgeschlossen hätten. Dahinter steht, dass dann, wenn eine Kontamination offen gelegt worden wäre, typischerweise der begehrte (nicht reduzierte) Kaufpreis von keinem potenziellen Käufer zu erlangen gewesen wäre, weshalb es nahe liegt, dass der Verkäufer - bei Verkaufsabsicht - einen reduzierten Kaufpreis akzeptiert.

 

Diesen ihr obliegenden Beweis, dass sie als Vertragspartnerin nicht zu geänderten Bedingungen abgeschlossen hätte, hat die beklagte Partei - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht erbracht, zumal eine entsprechende positive Feststellung nicht getroffen werden konnte. Daher kommt es nicht auf die Vorstellungen der arglistig handelnden beklagten Partei an; vielmehr ist entscheidend, wie redliche Parteien den Vertrag abgeschlossen hätten.

 

Auch wenn sich der in concreto vereinbarte Kaufpreis nach dem kalkulatorischen Restwert richtete, hätten redliche Parteien bei Kenntnis eine Reduktion vorgenommen. Der Kaufpreis war kein „Zwangskaufpreis“, weil die klagende Partei nicht nur die Option hatte, erst am Ende der 20jährigen Laufzeit das Leasingobjekt (zu besseren rechtlichen Bedingungen, nämlich ohne Ausschluss verschiedener möglicher Einwendungen) zu kaufen; sie hatte aber auch die Option, das Objekt überhaupt nicht zu kaufen.