OGH: Art 7 AUVB – ist die Funktionsbeeinträchtigung im in der Gliedertaxe genannten Invaliditätsgrad für die Verletzung eines Fußes bereits mitberücksichtigt?
Bei allen in der Gliedertaxe für einzelne Teilbereiche angeführten Invaliditätsgraden ist jeweils bereits mitberücksichtigt, wie sich ein unfallbedingter Verlust oder die unfallbedingte Gebrauchsbeschränkung eines rumpfferneren Körpergliedes auf den verbleibenden Gliederrest auswirkt; dass der Verlust eines rumpfferneren Gliedes auch die Gebrauchsfähigkeit des verbleibenden Teils beeinträchtigt, kann daher nicht zu einer Erhöhung der Leistung des Versicherers führen
Art 7 der AUVB, § 864a ABGB, § 914 ABGB, § 915 ABGB, § 6 ABGB
GZ 7 Ob 82/13d, 03.07.2013
Der Kläger ist bei der Beklagten im Rahmen einer Unfallversicherung gegen Invalidität versichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUVB 2006) und die Besonderen Bedingungen Nr 8341 zugrunde.
Art 7 der AUVB lautet auszugsweise:
„[...]
1.3 Wie wird der Invaliditätsgrad bemessen?
1.3.1 Bei völligem Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich die folgenden Invaliditätsgrade:
[...]
oder eines Fußes 50 %
...
des Gehörs eines Ohres 30 %
[...]
1.3.2 Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.
[...]“
Die Besonderen Bedingungen lauten auszugsweise wie folgt:
„Für die Bemessung der Invaliditätsleistung gelten in Ergänzung des Art 7 Punkt 1.2 AUVB 2006 (Wie wird die Invaliditätsleistung berechnet?) folgende zusätzliche Bestimmungen:
Übersteigt der gemäß den Art 7 Pkt 1.3 bis 1.5 festgestellte Invaliditätsgrad 25 %, so wird
- für den Teil von 26 % bis 50 % die Leistung um die Hälfte erhöht,
- für den Teil von 51 % bis 75 % die Leistung vervierfacht und
- für den Teil von 76 % bis 99 % die Leistung verzehnfacht.“
Strittig ist, ob die Dauerinvalidität pro Fuß mit 25 % (ohne Berücksichtigung der Minderbeschwielung) oder mit 27,5 % (unter Berücksichtigung der Minderbeschwielung) anzunehmen ist.
OGH: Für den Fall einer dauernden Invalidität des Versicherten hat der Versicherer die sich aus der Versicherungssumme und dem Grad der Invalidität zu berechnende Versicherungsleistung zu erbringen.
Die gem Art 7 1.3.1 der AUVB zwischen den Streitteilen vereinbarte Gliedertaxe bestimmt nach dem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gleiches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedertaxe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. Demgemäß beschreibt die benannte Bestimmung abgegrenzte Teilbereiche des Beines und ordnet jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe des Teilgliedes steigt. So wird etwa der Invaliditätsgrad bei Verlust oder Funktionsfähigkeit eines Fußes mit 50 % bestimmt. Muss also einem Versicherten ein Fuß unfallbedingt amputiert werden oder ist der Fuß wegen eines unfallbedingten Dauerschadens vollständig funktionsunfähig, steht der Invaliditätsgrad nach der Gliedertaxe - unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität - in dieser Höhe unverrückbar fest.
Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktions- oder Gebrauchsunfähigkeit wird der entsprechende Teil des Prozentsatzes angenommen. Die Funktions- oder Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedes wird üblicherweise in Bruchteilen der vollen Gebrauchsunfähigkeit ausgedrückt. Der in der Gliedertaxe vorgesehene Prozentsatz wird entsprechend dieses Bruchteils vermindert.
Der OGH legte die mit Art 7. 1.3.1 und Art 7.1.3.2 im Wesentlichen wortgleichen Bestimmungen (Z 2.1.2.2.1 AUB 99/2002) dahin aus, dass nach Wortlaut und Gliederung kein Zweifel daran besteht, dass bei allen in der Gliedertaxe für einzelne Teilbereiche angeführten Invaliditätsgraden jeweils bereits mitberücksichtigt ist, wie sich ein unfallbedingter Verlust oder die unfallbedingte Gebrauchsbeschränkung eines rumpfferneren Körpergliedes auf den verbleibenden Gliederrest auswirkt. Dass der Verlust eines rumpfferneren Gliedes auch die Gebrauchsfähigkeit des verbleibenden Teils beeinträchtigt, kann daher nicht zu einer Erhöhung der Leistung des Versicherers führen. Die zwangsläufigen Folgen der Unfallverletzung eines „Untergliedes“ für die Funktion der gesamten Extremität, zB Muskelverschmächtigungen, sind mit den Prozentsätzen der Gliedertaxe für Verlust und Funktionsunfähigkeit des distalen Gliedmaßenabschnitts bereits abgegolten und dürfen daher nicht zusätzlich berücksichtigt werden.
Das Berufungsgericht legte seiner Entscheidung diese von ihm auch zutreffend wiedergegebene Rsp des OGH zugrunde. Es ging weiters davon aus, dass die Minderbeschwielung der Fußsohlen lediglich eine Funktionsbeeinträchtigung der Beine infolge Muskelverlusts dokumentiere, die in dem in der Gliedertaxe genannten Invaliditätsgrad für die Verletzung des Fußes bereits mitberücksichtigt sei.
Für diese berufungsgerichtliche Beurteilung reichen jedoch die erstgerichtlichen Feststellungen ebenso wenig aus wie für die Beurteilung des Erstgerichts, die Minderbeschwielung indiziere eine Erhöhung des Fußwerts. Die im Rahmen der erstgerichtlichen Feststellungen enthaltene Aussage „auf Grund der auffälligen Minderbeschwielung errechnet sich ein Aufschlag von 1/20 Fußwert“ lässt weder erkennen, woraus diese genannte Minderbeschwielung überhaupt resultiert, noch ob es sich dabei um eine unfallbedingte Funktionsstörung des Fußes selbst oder aber um eine Ausstrahlung der Funktionsbeeinträchtigung des Fußes auf das Bein handelt.
In diesem Sinn sind die erstgerichtlichen Feststellungen zu ergänzen.