13.03.2008 Zivilrecht

OGH: Schadenersatz und Verletzung der Helmpflicht

In einer Schmerzengelddifferenzrechnung sind die konkreten und fiktiven Unfallfolgen einander gegenüber zu stellen; nur die Differenz unterliegt der Kürzung durch die Mitverschuldensquote


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Schmerzengeld, Verletzung der Sturzhelmpflicht, Mitverschulden
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 106 KFG

GZ 2 Ob 190/07s, 15.11.2007

Bei einem Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker eines Motorfahrrades und der Erstbeklagte als Lenker eines Kastenwagens beteiligt waren, erlitt der Kläger - er trug keinen Sturzhelm - schwere Schädelverletzungen (offener Schädelbruch). Bei Tragen eines Sturzhelmes hätte der Kläger mit sehr großer Wahrscheinlichkeit den offenen Schädelbruch nicht erlitten.

OGH: § 106 Abs 7 KFG beschränkt das Mitverschulden wegen Verletzung der Pflicht zum bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Sturzhelms ausdrücklich auf den Schmerzengeldanspruch. Auf sonstige Ansprüche des zum Tragen eines Sturzhelms verpflichteten Unfallopfers hat die Verletzung der Helmpflicht keine Auswirkungen. Der Geschädigte kann eine Kürzung des Schmerzengeldanspruches um das Mitverschulden durch den Nachweis abwenden, dass die Folge in dieser Schwere auch bei Gebrauch des Sturzhelms eingetreten wäre.

Der OGH hat zum vergleichbaren Fall der Verletzung der Gurtanlegepflicht (§ 106 Abs 2 KFG) bereits dargelegt, dass die Beschränkung des Mitverschuldens auf den Schmerzengeldanspruch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG verstößt, weil die sachliche Rechtfertigung für die erwähnte Beschränkung darin liege, dass der Gesetzgeber in der Nichtbenutzung der Sicherheitsgurten nur einen Verstoß mit geringem Schuldgehalt gesehen habe. Die gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Erwägungen des OGH zum Fall der Nichtbenutzung der Sicherheitsgurte auf die Verletzung der Sturzhelmpflicht zu übertragen, gerichtete Argumentation der Beklagten begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Die in der Revision geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen zur "Helmpflicht" lösen nicht für sich die Verpflichtung eines Rechtsmittelgerichtes aus, den VfGH anzurufen. Das Fehlen höchstgerichtlicher Judikatur, die ausdrücklich zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bestimmungen über die "Helmpflicht" Stellung nimmt, begründet ebenfalls nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage.

Eine Kürzung des Schmerzengeldes wegen Verletzung der Sturzhelmpflicht kommt nur bezüglich der vermeidbaren Verletzungen in Betracht. In einer Schmerzengelddifferenzrechnung sind die konkreten und fiktiven Unfallfolgen einander gegenüber zu stellen. Vom höheren Schmerzengeld für die konkreten Folgen (Gesamtschmerzengeld) ist das niedrigere Schmerzengeld für die fiktiven Unfallfolgen abzuziehen. Nur die Differenz unterliegt der Kürzung durch die Mitverschuldensquote.

Erachtete das Berufungsgericht im konkreten Fall die Beweisergebnisse für eine Feststellung des Ausmaßes der fiktiven Unfallfolgen (und damit der fiktiven Schmerzen) als nicht ausreichend bzw die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens für nicht notwendig, so ist dies ein vom OGH nicht zu überprüfender Akt der Beweiswürdigung. Scheidet die oben dargelegte "Kürzungsmethode" mangels Feststellbarkeit der vermeidbaren Verletzungen aus, so geht dies ohnehin nicht zu Lasten der Beklagten. Vertretbar ist ebenso die einzelfallbezogene Höhe der Mitverschuldensquote wegen Verletzung der Sturzhelmpflicht: Der (im Vergleich zum "Auslösungsverschulden") regelmäßig geringere Schuldgehalt eines (vergleichbaren) "Gurtenmitverschuldens" des Verletzten wird in stRsp bei der Gewichtung der Verschuldensanteile damit zum Ausdruck gebracht, dass die Verletzung der Gurtenanlegepflicht in der Regel mit etwa 25 % bewertet wird.