03.07.2008 Zivilrecht

OGH: Unterhaltsvorschuss und WanderarbeitnehmerVO

Art 13 Abs 2 lit a der VO 1408/71 erklärt - unabhängig vom Wohnsitz des Arbeitnehmers und vom Unternehmenssitz des Arbeitgebers - bei abhängiger Beschäftigung den Beschäftigungsort zum grundsätzlichen Anknüpfungspunkt


Schlagworte: Familienrecht, Unterhaltsvorschuss, WanderarbeitnehmerVO, Beschäftigungsort
Gesetze:

§ 2 UVG, Verordnung (EWG) Nr 1408/71

GZ 10 Ob 44/08f, 22.04.2008

Die am 16. Jänner 1992 geborene Shoshana B***** ist die Tochter von Shelley S***** und John L. B*****. Die Minderjährige und ihre Mutter sind Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika, der Vater ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs. Das Kind und die Mutter haben ihren Wohnsitz in Wien. Der Vater hat im Februar 2006 Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt aus der Bundesrepublik Deutschland nach Australien verlegt.

OGH: Nach dem österreichischen Unterhaltsvorschussrecht fehlt es der Antragstellerin an der in § 2 Abs 1 UVG normierten Anspruchsvoraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Als Konsequenz des EuGH-Urteils vom 15. 3. 2001 in der Rs C-85/99, Offermanns, nach der Unterhaltsvorschüsse unter den Begriff der Familienleistungen nach Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung (EWG) 1408/71 fallen und dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 der Verordnung unterliegen, haben in Österreich aufhältige Personen, für die die Verordnung 1408/71 gilt, unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine Vorschussleistung.

Art 2 der VO 1408/71 erstreckt ihren persönlichen Geltungsbereich auch auf die Familienangehörigen (Art 1 lit f VO 1408/71) eines unmittelbar Berechtigten. Ist der unmittelbar Berechtigte Staatsangehöriger eines EU- oder EWR-Staats und unterfällt er selbst dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung, so unterliegt auch ein Familienangehöriger dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung, unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit. Leitet sich eine (mögliche) Anspruchsberechtigung des Kindes von einem unmittelbar berechtigten Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaats ab, ist auch die Verordnung (EG) 859/2003, die die VO 1408/71 unter gewissen Voraussetzungen auf Drittstaatsangehörige ausdehnt, ohne Belang. Soweit der Entscheidung 1Ob171/05m Gegenteiliges zu entnehmen ist, wird der dort vertretene Standpunkt abgelehnt.

Angesichts des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Österreich und der Staatsangehörigkeit des Vaters ist das Vorhandensein eines grenzüberschreitenden Gemeinschaftsbezugs zu bejahen. Wegen der Staatsangehörigkeit des Vaters ist der Ansicht des Rekursgerichts, es fehle seit der Wohnsitznahme des Vaters in Australien an einem Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat, nicht zu folgen.

Hinsichtlich der Familienleistungen folgt die VO 1408/71 dem Beschäftigungslandprinzip (Art 73, 74 der VO 1408/71). Familienleistungen werden für Arbeitnehmer, Selbständige und Arbeitslose vom Träger im Beschäftigungsstaat erbracht, auch wenn die Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Art 13 Abs 2 lit a der VO 1408/71 erklärt - unabhängig vom Wohnsitz des Arbeitnehmers und vom Unternehmenssitz des Arbeitgebers - bei abhängiger Beschäftigung den Beschäftigungsort zum grundsätzlichen Anknüpfungspunkt.

Von entscheidender Bedeutung ist, ob der Vater zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz am 5. Oktober 2007 an einem Beschäftigungsort im EU- bzw EWR-Raum beschäftigt war. Dafür gibt es nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte. Selbst eine (in Australien ausgeübte) unselbständige Beschäftigung bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen könnte nichts daran ändern, weil nicht der Unternehmenssitz, sondern der Beschäftigungsort maßgeblich ist.